G wie Gelddenken
Was macht einer, der aus Asien weg muss und eigentlich nur weiß, was er NICHT mehr tun will ? – nicht mehr ins kleinstädtische Konstanz, nicht mehr in ein Kaufmannsleben? Nicht mehr in ein Leben des Kapitalismusvollzugs der Marke „Einzelhandel“, der sich an sechs Tagen der Woche zwischen Bestellmengen, Warenwaage und Ladenkasse erfüllte: Teil vier der seemoz-Serie über das spannende Leben des Fritz Mühlenweg am Bodensee.
Nicht mehr als Chef der Drogerie Kornbeck in der Konstanzer Kanzleistraße, die sein Großvater gegründet und seine Eltern zu einem florierenden Unternehmen ausgebaut hatten: eine strategische Fleißarbeit, ihr Ertrag war in Grundstücken angelegt worden.
Dieser Stuhl war ihm gerichtet, verstärkt nach dem Tod seines älteren Bruders Hans – dessen Name auf der Gefallenenliste im Eingang der Lutherkirche blieb.
Mehr als zehn Jahre lang hatte Fritz Mühlenweg brav die Erwartungen der Kaufmannsfamilie und der arrivierten Gesellschaft der Garnisonsstadt erfüllt: Nach der Lehre in Bielefeld hatte er die Braunschweiger Drogistenakademie mit Bravour absolviert, hatte sich in verschiedenen Anstellungen in Drogerien und Großhandel des Rhein-Main-Gebiets weitergebildet. Als sich 1923 das Nierenleiden seines Vaters verschlimmerte, kehrte er nach Konstanz zurück und übernahm an der Seite seiner Mutter die Geschäftsführung.
Für die Angestellten wollte er eine Weihnachtsgratifikation
Aber dieser Sohn hatte befremdliche Ideen nach Haus gebracht, er forderte etwa die Einführung einer Weihnachtsgratifikation für die Angestellten. Seine Mutter Elise blieb hart, der kluge, ohnehin als Freimaurer offener denkende Vater Ludwig Mühlenweg wollte die Anregung aufnehmen.
Zu ahnen ist: Dem Sohn war die Durchdringung aller Lebensbezüge durch Kapitalismus-Prozesse und Gelddenken während der Jahre der galoppierenden Inflation suspekt geworden. Dass eine Besitzerfamilie wie selbstverständlich ihren Reichtum mehrte, indem sie schlechter bezahlte Angestellte vom gemeinsam erarbeiteten Gewinn ausschloss, – auch diese Kernlehre der bürgerlichen Gesellschaft wollte seinem Gerechtigkeitsdenken nicht mehr einleuchten. Dabei lassen sich keine sozialdemokratischen oder kommunistischen Sympathien bei ihm nachweisen, er wurde kein Parteigänger. Es ging ihm um Redlichkeit und eine Bewahrung dessen, was er „mein lebendiges Ich“ nannte.
Nach dem Tod des Vaters verstärkte sich eine Lebenskrise, deren Strudel nur schwer fassbar sind. Er malte damals schon, und sein bester Freund Eugen Hepp – auch er ein Kaufmannssohn – versuchte es an der Münchner Akademie. Es gab das Gerücht, Mühlenweg habe die Drogerie in einer überregionalen Zeitung zum Kauf angeboten, die Mutter wollte davon aber nichts wissen. Seine Fluchtphantasien gingen um Auswanderung, heimlich bewarb er sich in Berlin bei der „Luft Hansa“.
Der 28-Jährige brach in Richtung eines respektablen Unternehmen aus, immerhin unter dem weltberühmtem Sven Hedin als Chef. Elise Mühlenweg konnte so das Ausscheren kommunizieren in einem Stadtgeschwätz, dem sie ausgesetzt war. Und der Sohn wollte in den Briefen, die er aus der Gobi mit vage schlechtem Gewissen an die Mutter schrieb, ihre Zuversicht auch nicht mindern, dass er nach zweidrei Jahren wieder in die geregelte bürgerliche Bahn einschwenken würde.
Riskieren konnte er seinen Aufbruch, der einen Abbruch nur mühsam tarnte, weil er aus dem väterlichen Pflichterbe für einige Jahre gesichert war. Das Sein bestimmt doch hin und wieder das Bewusstsein: die Rücklagen erlaubten ihm erst einmal freieres Handeln. Aber sein Verhältnis zu Geld blieb gebrochen; dass es dazu dienen sollte, sich zu vermehren, dieser Unheilslehre mochte er nicht mehr folgen.
Seiner Freundin finanzierte er das Studium
Seiner Jugendfreundin, Tochter einer italienischen Immigrantenfamilie in Konstanz (auch von ihr setzte er sich in seiner späten Adoleszenzkrise in Richtung Mongolei ab…), dieser Pierina Zandonella gab er heimlich die Verfügung über sein Konto, sodass sie ihr Studium in Freiburg mitfinanzieren konnte: er sei froh, dass „der tote Mammon“ zu etwas nütze sei, schrieb er ihr. Er hatte, so lässt sich sagen, im eigenen Denken einen Grund gelegt, der ihn für die Großzügigkeit und die schlichten Gesetze der Nomaden empfänglich machte.
Ein Blick weiter voraus: Noch dem Familienvater im Allensbach der Vierzigerjahre wird die häusliche Ökonomie durch sein Erbe aus der Konstanzer Kanzleistraße erleichtert. Mit Bildern allein, verkauft in einer engen Region, bringt auch ein fleißiges Malerehepaar 7 Kinder nur schwer durch. Nach 1945 wird Elisabeth Mühlenweg, weil sie im katholischen Buchmarkt der westdeutschen Restaurationszeit als Illustratorin gefragt ist, das Familienbudget sichern und ihrem Mann das Schreiben seines ersten Romans ermöglichen (– in dem christlicher Glaube nicht vorkommt).
Ein paar kurze Jahre lang wird Fritz Mühlenweg dann durch den Erfolg seiner Mongoleiromane und Kinderbücher vom Verlag eine monatliche Grundversorgung als Vorschuss bekommen. Die Härten eines freien Künstlerlebens werden ihn erst in den letzten Lebensjahren einholen, wenn ein Schlaganfall weitere Lesereisen des 57-jährigen Schriftstellers verhindert.
Vorabdruck aus dem im Herbst erscheinenden Buch: Ekkehard Faude: Fritz Mühlenweg – Museum eines Lebens. Copyright Libelle Verlag
Bilderklärung: Das Foto, entstanden im Mai 1927 in Gobi, zeigt Fritz Mühlenweg, wie er gerade 80 angekaufte Kamele bezahlt. Mexikanische Silberdollars waren damals die einzig akzeptierte Währung.
Autor: Ekkehard Faude