T wie Technik
Teil fünf der seemoz-Serie über das spannende Leben des Fritz Mühlenweg am Bodensee: Schade, schon wieder musste ein schönes Zitat aus dem Skript für den „Literaturraum“ im künftigen Museum wegfallen: „Kinderbücher dieser Länge sind hier etwas ganz Aussergewöhnliches, da das amerikanische Kind und der Halbwüchsige leider wenig und ungern lesen. (Television ist ein Instrument des Teufels – und wie schön für Sie und Ihre Kinder, dass Sie kein Radio haben.)“
Eine Verlegerin erklärt so im Sommer 1952 einem Autor, warum sein Buch in der amerikanischen Ausgabe gekürzt erscheinen muss. Sie bemüht das Fernsehen (das es in der frühen BRD noch nicht gibt, erst zwei Jahre später wird die ARD beginnen …). Verleger finden immer Ausreden, wenn sie ungute Vorhaben durchbringen wollen. Samuel Fischer hatte, vereint mit seinem hervorragenden Lektor Moritz Heimann, 50 Jahre zuvor einem jungen Autor einreden wollen, dass sein „Buddenbrooks“-Roman um mehr als ein Drittel zu lang sei. Sie waren nicht erfolgreich gewesen. Thomas Mann beharrte auf der Langfassung, für sie erhielt er viel später den Nobelpreis.
Mit einem Autor, der Geld verdienen musste für eine Großfamilie, mit Fritz Mühlenweg im Jahr 1952 also, hatte es Helen Wolff von New York aus einfach. Nicht nur, weil der lizenzgebende Herder Verlag, der von den amerikanischen Tantiemen die Hälfte bekommen würde, dem Autor sanft Druck machte: bei einer so feinen Adresse wie Pantheon in New York müsse man Zugeständnisse machen…
„Ein wenig à la Sauerbruch, aber etwas besser“
Helen Wolff war damals erst 10 Jahre in New York, und man darf annehmen, dass ihr und Kurt Wolff in den ersten Jahren ihres Pantheon-Verlags die Gewöhnung an das andere Leseverhalten der Amerikaner schwer gefallen ist. Die befremdliche Zeitschrift „Reader‘s-Digest“ hatte damals schon mehr als eine Million Leser. Andererseits hätte Helen Wolff in ihren altersweisen Jahren sich in ihrem flott übernommenen Vorurteil widerlegt sehen können: Amerikanische Jugendliche mit erheblich höherem TV-Konsum haben ab den 70er-Jahren die 1000-Seiten-Klopper von Stephen King klaglos verschlungen.
Fritz Mühlenweg war mit den Kürzungen nicht unzufrieden, als er „Big Tiger and Christian“ Ende 1952 bekam. Er schätzte die Übertragung der Engländerinnen Isabel und Florence McHugh, und die Illustrationen von Raffaelo Busoni fand er „ein wenig à la Sauerbruch, aber etwas besser“. Bliebe zu wünschen: dass sich irgendwann jemand die Mühe macht, die amerikanische mit der deutschen Ausgabe zu vergleichen. Gut möglich, dass auch die größere Erfahrung der Wolffs beim Lektorieren von Texten erkennbar wird, die anspruchsvollere Sicht auf erzählerische Ökonomie. Beim deutschen Verlag hatten sie sich im heißen Herbst 1950, als der Riesenroman in wenigen Wochen hergestellt wurde, schlicht zu wenig Zeit nehmen können.
Keine Führer-Reden im Mühlenberg-Haus
Helen Wolff erwähnt in ihrem Brief auch, dass Mühlenweg ja nicht einmal Radio habe. Im Haus Mühlenweg gab es tatsächlich kein Radio – in den Jahren des Dritten Reichs waren so die Schreistimme des Führers und die kriegerischen Sondermeldungen unhörbar geblieben. Auch die Übertragung der Boxkämpfe von Max Schmeling …Die Ablehnung des neuen Mediums Hörfunk hatte sich bei Mühlenweg aber schon in den 20er-Jahren geformt. Sie ist ein Teil seiner partiellen Technikfeindschaft oder auch: eines antimodernen Beharrungsvermögens.
Auch Autos mochte er nicht, machte nie den Führerschein, blieb ein begeisterter Zugfahrer. Er hatte in seiner Kindheit eine Welt fast ohne Autos erlebt, weniger gefährlich, weniger laut. Dass es auf einmal lebensgefährlich wurde, eine Straße zu überqueren, hielt er für pervers. Beim Zugfahren – 10.000 Kilometer Anfahrt von Berlin nach China, in den Fünfzigerjahren an 300 Tagen auf Lesereisen zwischen Nordsee und Alpen – kam man mit anderen ins Gespräch…
Sein Verzicht auf Radio bekam aber noch eine andere Dimension: Er hielt die Beschleunigung der sogenannten Neuigkeiten mit ihrer Scheinwelt der Aktualität für überflüssig. Schlimme Nachrichten erfährt man besser erst später, das erspart ungute Aufregungen: dies hatte ihm bei der Langsamkeitslehre mongolischer Nomaden eingeleuchtet. Seine Politikferne, die sich mit der Rückkehr aus der Mongolei verstärkte, war so leichter durchzuhalten.
Letztlich wünschte er sich – wie manch andere seiner Generation – Lebensumstände zurück, in der das Tempo der technischen Moderne nicht alles durchdrang. Als er die Landung der ersten Junkers-Maschine in der Gobi erlebte, Januar 1932, kam ihm die Epochenschwelle gespenstisch vor: Wozu Kamele noch 70 Tage brauchten, auch um das Flugbenzin zum Auftanken von Peking her zu befördern, diese Strecke hatte die W33 in einem Tag überflogen.
Autor: Ekkehard Faude