Angst vor einem neuen Tschernobyl

seemoz-Engen„Mitten in einem prächtigen Frühling brachen die Gewitter über den Hegau herein, und die frisch bestellten Felder, die saftigen Wiesen und ergrünten Wälder, Straßen und Spielplätze waren von dem radioaktiven Niederschlag, der sich von Tschernobyl über ganz Europa ausbreitete, verseucht“. Bei der Mahnwache, zu der die Initiativen ‚KlaRgegenAtom‘ und ‚Sterntreffen Benken‘ jüngst nach Engen eingeladen hatten, ging es aber mehr noch um die Zukunft mit Atomkraft.

Dietmar Messmer, 2. Vorsitzender von KLAR, wies auf den Zusammenhang von militärischer und ziviler Nutzung von Atomkraft hin. Mit den Atombomben, von denen auch einige auf deutschem Boden einsatzbereit lagern, und mit den Atomkraftwerken lebten die Menschen in Europa in einem Risikopotential von unvorstellbarem Ausmaß. Die Kosten für atomare Unfälle wie Tschernobyl und Fukushima würden auf über 130 Milliarden Euro geschätzt.

Europas AKWs schimmeln vor sich hin

Jutta Gaukler ergänzte mit konkreten Erlebnissen aus den direkt betroffenen Gebieten in Weißrussland und Japan. Ein Viertel der Fläche Weißrusslands sei nach Tschernobyl zur unbewohnbaren Zone erklärt worden. Die Folgen der Katastrophe seien im ganzen Land hautnah spürbar, auch wenn offiziell das Wort „Tschernobyl“ aus dem Vokabular gestrichen wurde. Das heiße, in der letzten Diktatur Europas dürfe niemand darüber sprechen, geschweige denn gegen Atomkraft agitieren. Der Gipfel des Zynismus sei die erklärte Absicht des weißrussischen Diktators, im Norden des Landes an der Grenze zu Litauen ein neues AKW zu bauen; genau in dem Gebiet, wohin mit deutscher Hilfe viele Familien aus den kontaminierten Gebieten übergesiedelt seien. Dabei gäbe es eine billigere und ungefährliche Alternative: Die Erneuerbaren Energien weltweit. Deren Vormarsch sei in Deutschland von der Politik und Wirtschaft ausgebremst worden, ein Skandal und ein fatales Zeichen für Länder wie Weißrussland. Umso wichtiger sei das weitere Bürgerengagement trotz der derzeit erschwerten Bedingungen.

Thomas Jochim wies auf die aktuellen Gefahren für die Region und Europa durch die Atomkraft hin. Was nütze ein beschlossener Atomausstieg, ein bestimmter Abschalttermin, wenn im letzten verbliebenen Meiler doch noch die Katastrophe ausbreche. Besonders unkalkulierbar seien die Risiken der Überalterung und Materialermüdung, wie die verschiedenen Berichte über Störfälle in Europas Atomanlagen bewiesen.

Endlager für Atommüll in 25 Kilometer Entfernung

In 50 Kilometer Entfernung vom Hegau in der Hauptwindrichtung arbeite auf einer Insel in der Aare das älteste AKW der Welt: Beznau in der Schweiz, mit erheblichen Alterungserscheinungen weder erdbeben-, noch überschwemmungs-, noch flugzeugabsturzsicher. Direkt daneben sei das Zwischenlager Würenlingen mit über hundert Castoren, nicht flugzeugabsturzsicher, aber in der Einflugschneise zu Zürich-Kloten. Und außer Beznau produzierten noch vier weitere AKWs  in der Schweiz mit den genannten Risiken weiter Atommüll.

In nur 25 Kilometer Luftlinie entfernt von Engen, 5 Kilometer südlich vom Rheinfall, plant die Schweiz ihr Endlager für hochradioaktiven Atommüll. Das idyllische Weindorf Benken und das nahe gelegene  Marthalen wurden in die engere Wahl genommen. Die dort geplante große Atomanlage, in der in einem Hochsicherheitstrakt der radioaktive Inhalt der Castoren in kleinere Einheiten zur sog. Endlagerung verpackt werden soll, bedeute ein ganz neues Risiko für die Region. Der radioaktive Inhalt nur eines Castors entspreche in etwa dem, der bei der Explosion von Tschernobyl freigesetzt wurde, so Thomas Jochim.

All dieses Wissen, so Jochim weiter, müsse in logischer Konsequenz zur sofortigen Abschaltung aller Atomanlagen führen. Doch das Gegenteil sei im Moment der Fall. Die europäische Energiekommission plane eine Renaissance der Atomkraft mit dem Vorwand, die Klimaerwärmung zu bekämpfen. Massive Subventionen für den AKW-Neubau Hinkley Point C in England seien von ihr genehmigt worden, und willige Länder der EU wie Polen u.a. sollen bei ihren Plänen für neue AKW unterstützt werden. Das atomfreie EU-Land Österreich habe Klage gegen diese Bevorzugung von Atomkraft beim europäischen Gerichtshof erhoben, und die Elektrizitätswerke Schönau haben bei der europäischen Energiekommission Beschwerde dagegen eingereicht.

Protest in Benken

Jochim rief dazu auf, sich aktiv gegen Atomkraft und für die Erneuerbaren Energien einzusetzen. „Wo immer möglich Energie sparen, zum Öko-Strom wechseln, die eigene Lebensweise auf nachhaltig umstellen!“ Und ganz konkret bat er, unter www.ews-schoenau.de/kampagne. die Beschwerde gegen die Förderung neuer Atomkraftwerke mit der Unterschrift zu unterstützen.

Einige Zuhörer ergriffen spontan das Wort und äußerten ihre Betroffenheit, auch mit Erinnerungen an die Ereignisse vor 29 Jahren. Eine Frau aus Marthalen von den Kernfrauen  (www.kernfrauen.ch) lud ausdrücklich zu den Sterntreffen Benken ein. Die Unterstützung aus Deutschland gegen das Atommüllendlager, vor allem gegen die Atomfabrik, sei sehr wichtig. Das nächste Treffen ist am Sonntag, 17. Mai, um 14.00 Uhr am Dorfbrunnen in Benken.

PM/hpk