BUND und NABU fordern: „Schutz von Streuobstwiesen endlich ernst nehmen!“
Bei ihrer Pressekonferenz zum Start der 46. Naturschutztage haben kürzlich die beiden Umweltverbände NABU und BUND den ungebremsten Flächenfraß in Baden-Württemberg und seine Folgen für die Artenvielfalt und das Klima kritisiert. Besonders unbefriedigend sei der mangelhafte Schutz von Streuobstwiesen. Ihre Kritik sowie geplante Maßnahmen erläutern die beiden Verbände nun in einer gemeinsamen Pressemitteilung.
Die Behörden im Land schützen Flächen im Allgemeinen und Streuobstwiesen im Besonderen trotz der eindeutigen Gesetzeslage nicht ausreichend vor Bebauung. Das ist aus vielen Gründen fatal: Streuobstwiesen sind ein wichtiger Lebensraum, sie leisten einen großen Beitrag für die Artenvielfalt. Außerdem binden sie CO2 und schützen damit das Klima. Um den Flächenfraß zu stoppen, haben die beiden Naturschutzverbände juristische Schritte ergriffen und planen weitere Maßnahmen.
Flächenfraß für Straßen und Gewerbegebiete
„Tagtäglich werden in Baden-Württemberg 6,2 Hektar Fläche zubetoniert und bebaut. Immer wieder fallen dabei jahrzehntealte Streuobstwiesen Baggern und Kettensägen zum Opfer“, beschreiben die Landesvorsitzenden Sylvia Pilarsky-Grosch (BUND) und Johannes Enssle (NABU) die schwierige Lage. „Dies widerspricht den Zielen der Landesregierung zum Arten- und Klimaschutz sowie zur Erreichung der Netto-Null bis 2035 beim Flächenverbrauch.“
In den seltensten Fällen entsteht auf den gerodeten Flächen sozialer Wohnungsbau. Meistens werden Straßen gebaut, die neuen Verkehr verursachen, sowie Gewerbegebiete und Einfamilienhäuser. „Für viele Kommunen scheint es offenbar einfacher, auf der grünen Wiese zu planen, als im Innenbereich der Siedlungen nachzuverdichten“, so die beiden Landesvorsitzenden. Äcker für den Anbau von Lebensmitteln gehen dadurch verloren und im Fall von Streuobstwiesen wertvolle Biotope und Naherholungsgebiete.
Die Praxis ist umso brisanter, da der Schutz von Streuobstwiesen ein zentraler Punkt des 2020 verabschiedeten Biodiversitätsstärkungsgesetzes (Biodiv-Gesetz) ist. Dessen § 33a Naturschutzgesetz besagt, dass Rodungen von Streuobstwiesen nur in Ausnahmefällen genehmigt werden dürfen. In diesen Fällen sind Ausgleichsmaßnahmen vorgeschrieben. Das Problem: Es braucht Jahrzehnte, bis ein so artenreicher Lebensraum wie eine gewachsene Streuobstwiese auch nur annähernd wiederhergestellt werden kann. Neu gepflanzte Bäume nehmen zudem nicht so viel Kohlenstoffdioxid aus der Luft auf, wie 50, 60 oder gar 100 Jahre alte Exemplare.
„Das Biodiversitätsstärkungsgesetz ist ein zahnloser Tiger, wenn die Landratsämter es nicht so vollziehen, wie es gedacht ist. Dann muss es die Landesregierung nachbessern. Aktuell sind auch verschiedene Gerichtsverfahren anhängig, die hoffentlich zur Klärung beitragen, wie das Gesetz zu interpretieren ist“, betont Sylvia Pilarsky-Grosch.
Naturschutzverbände werden oft spät über Rodungen informiert
Die Realität sieht mancherorts düster aus, wie Johannes Enssle, Vorsitzender des NABU Baden-Württemberg, beschreibt: „Wir erleben in der Praxis, dass Landratsämter Anträge von Kommunen zur Rodung von Streuobstwiesen mehr oder weniger durchwinken und wir als Naturschutzverbände viel zu spät informiert werden.“
Ein Beispiel dafür ist die Fällung von teils über 100 Jahre alten Bäumen mit Bruthöhlen und Refugien für seltene Vogel- und Fledermausarten in Bretten-Gölshausen (Kreis Karlsruhe). Der NABU hatte Widerspruch dagegen eingelegt, wurde aber erst vom Landratsamt Karlsruhe über die Rodungen informiert, als die Bagger schon auf der Wiese standen. Die verzögerte Zustellung des Bescheids hatte verhindert, dass der NABU noch rechtzeitig Rechtsschutz einholen konnte. Daraufhin reichte der NABU eine Fachaufsichtsbeschwerde gegen das Landratsamt ein. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat in einem Urteil kurz vor Weihnachten auf den Eilantrag des NABU reagiert, die weitere Rodung gestoppt und die Vorgehensweise des Landratsamts gerügt. Sie sei eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips.
In Allensbach am Bodensee ist ebenfalls eine wertvolle Streuobstwiese durch Bebauung akut bedroht. Auch in diesem Fall hatten die Umweltschützer*innen nur verzögert von der Umwandlungsgenehmigung des Landratsamts Konstanz erfahren. Der BUND legte daraufhin im August 2022 Widerspruch gegen die Genehmigung ein. „Seit nun mehr als drei Monaten hat das Landratsamt nicht über unseren Widerspruch entschieden“, moniert Sylvia Pilarsky-Grosch.
Landesregierung und Verwaltung müssen aktiv werden
Die Vorsitzenden von NABU und BUND appellieren eindringlich an die Landesregierung und die Verwaltung, die Versiegelung von Flächen einzudämmen sowie den Schutz von Flächen im Allgemeinen und den Schutz von Streuobstwiesen im Besonderen endlich ernst zu nehmen und sich an die eigenen Ziele zum Schutz von Klima, Artenvielfalt und Naturflächen zu halten. Gleichzeitig fordern sie die Landratsämter auf, den Rechtsschutz zu beachten und gegenüber den Flächenfraßplänen der Kommunen standhaft zu bleiben.
Konkret fordern sie, die Festschreibung der Beteiligung der Naturschutzverbände am Verfahren für Ausnahmegenehmigungen im Streuobstwiesenschutz und die Entscheidung selbst auf die Regierungspräsidien zu verlagern. Um der Natur zu ihrem Recht zu verhelfen, werden die Verbände auch weiterhin von juristischen Mitteln Gebrauch machen.
Autor*in: MM/cl