Energiewende ja, aber bitte nicht in meinem Blickfeld

Ein Windpark mit drei Anlagen auf Verenafohren bei Wiechs am Randen seit diesem Frühjahr und das Zurückstellen der geplanten, gerade mal zwei Anlagen auf dem Kirnberg bei Steißlingen – das war’s dann wohl auf absehbare Zeit in Sachen Windenergie als Beitrag zur Energiewende im Landkreis Konstanz. Und wenn schon keine Windräder hier, dann bitte auch keine im benachbarten Kanton Schaffhausen.

Hier formiert sich gerade grenzüberschreitender Widerstand gegen das in der Planungsphase befindliche Windkraftprojekt „Chrooberg“ (dazu auch www.chroobach.ch) auf der Nordseite des Schienerbergs (Gemarkung Hemishofen/CH). Dafür ist eine Anpassung des „Kantonalen Richtplans“ Schaffhausens im Bereich Windenergie notwendig, der sich noch bis 20. Oktober in der öffentlichen Auslage befindet.

Am Einspruchsverfahren können sich auch deutsche „Betroffene“ beteiligen. Die Schweizer Gemeinde Hemishofen steht dem Projekt ablehnend gegenüber. Dieser Ablehnung haben sich nun auf deutscher Seite die Gemeinden Rielasingen-Worblingen und Öhningen angeschlossen. Und auch die Stadtverwaltung Singen hat eine entsprechende Stellungnahme vorbereitet, über die heute (Mittwoch 18.10.) im Ausschuss für Stadtplanung und Bauen vorberaten werden soll.

Die Argumente gegen den kleinen Windpark mit vier Anlagen sind die üblichen und sattsam bekannten: Kaum Wind zwischen Hochrhein-Bodensee und Schaffhausen, somit unwirtschaftlich; dafür bedrohte Rotmilane und der Vogelzug von Nord nach Süd; unberührte Naturlandschaft, prägende Kulturbauten und das Prädikat UNESCO-Weltkulturerbe (Pfahlbauten in Wangen und Insel Reichenau) wären bedroht; Touristen könnten wegbleiben und somit Arbeitsplätze verloren gehen; Werteverlust der Immobilien; Infraschall als Bedrohung für die Gesundheit … und – so aus der Vorlage der Stadt Singen: „Die städtebaulichen Ziele: ‚Erhalt des Landschaftsbildes‘ und ‚Erhalt der Sichtbeziehungen zwischen den Hegau Vulkanbergen und den Alpen‘ führten […] dazu, diese Potentialflächen als ‚nicht vorrangig für Windenergie geeignet einzustufen‘“.

Mit einer Liste solcher Argumente „Klimaschutz-ja-bitte-aber-nicht-sichtbar-vor-meiner-Haustür“ hat sich nun die Bürgerinitiative „Landschaftsschutz Schienerberg“ (www.lssb.de) an alle Kreisräte gewandt. Die Kreistagsfraktion der Grünen antwortet unmissverständlich mit einem „Offenen Brief“ an deren Sprecher Christoph Vestner, den wir hier wiedergeben:


Windenergie im Landkreis Konstanz und in der angrenzenden Schweiz, am Beispiel „Chroobach“

Stellungnahme der Grünen Kreistagsfraktion

Sehr geehrter Herr Vestner,
mit diesem Schreiben reagieren die Kreistagsgrünen auf Ihre Aufforderung, uns zum geplanten Windparkprojekt Chroobach zu positionieren: wir antworten in Form eines „Offenen Briefs“.

Deutschland und damit auch Baden-Württemberg haben sich in den 1990er Jahren und erneut im Kontext der Klimaverträge von Paris völkerrechtlich verpflichtet, die CO2 Emissionen drastisch zu reduzieren. Dies ist nur möglich

(1) über einen kompletten Übergang auf erneuerbare Energien,
(2) durch eine ständige Effizienzsteigerung bei der Nutzung von Energie und vor allem durch
(3) Suffizienz, das heißt, eine Verringerung des Energieverbrauchs um den Faktor 5 in den kommenden 30 Jahren.

Nur so kann uns gelingen, auch der nächsten Generation noch lebenswerte Existenzgrundlagen zu hinterlassen, den Kindern also, die derzeit geboren werden – auch in Ihrer Umgebung und vielleicht in Ihrer Familie, Herr Vestner.

Doch diese drei Gestaltungsfaktoren der Energiewende können zwar in Paris, Berlin oder auch in Stuttgart politisch verabredet werden – konkret gestaltet wird vor Ort, in den Landkreisen, Kommunen und auch von jedem einzelnen Bürger. Oder sind Sie der Meinung Herr Vestner, dass sich die Energiewende irgendwo in den Konferenzräumen materialisieren wird?

Vom Klimawandel, der durch den drastischen Anstieg der CO2 Emissionen anthropogen (durch den Menschen, Anm. d. Red.) verursacht wird, ist praktisch jeder Mensch schon jetzt betroffen. Lösungen kann es nur durch allgemeines subsidiäres Handeln geben. Eine Logik, die Prinzipien folgt wie „ich kann wenig beitragen – das bringt ja auch nichts – bei mir in der Region ist nichts möglich, die Energiewende muss anderswo erfolgen“ ist nicht akzeptabel.

Sehr geehrter Herr Vestner, wie Sie den aktuellen Berichterstattungen entnehmen können (u.a. Südkurier vom 14.10.2017) werden Deutschland und auch Baden-Württemberg die völkerrechtlich vereinbarten Ziele und Beiträge zur Energiewende krachend verfehlen. In Baden-Württemberg werden nach 27 Jahren Energiewende erst knappe 13% unseres Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen gedeckt, im Landkreis Konstanz sind es lediglich 7%. Mit diesem erschreckend geringen Wert ist unser Landkreis auch Schlusslicht in Baden-Württemberg. Fast zynisch ist, dass der größte Energie- und CO2-Einspareffekt, mit dem sich Deutschland auf der Weltbühne präsentiert, ein Geschenk des Zusammenbruchs der DDR und der dortigen umweltbelastenden Industrien war; würden diese herausgerechnet, wurden seit 1990 (in 27 Jahren) die CO2-Emissionen gerade einmal um 15% reduziert.

Leider müssen wir auch konstatieren, dass es die politisch verantwortlichen Strukturen in unserer Region (dazu zählen auch der Regionalverband und der Kreistag) bisher nicht für notwendig hielten, strategische Konzepte und vor allem Instrumente für die Gestaltung der Energiewende zu entwickeln – und das über einen Verlauf von 27 Jahren. So erklärt sich auch das marginale Ergebnis von lediglich 7 % erneuerbarer Energien. Warum sollen sich Bürger und Kommunen engagieren, wenn es keine Vorbilder gibt und darüber hinaus auch noch eine grundsätzliche Verhinderungskultur für die wichtigsten erneuerbaren Energieträger: Windenergieanlagen, Freiland-Photovoltaik und Solarthermie-Anlagen?

Sie behaupten, es sei Ihnen/Ihrer Bürgerinitiative ein Anliegen, sich für eine nachhaltige, umweltverträgliche und auch wirtschaftliche Entwicklung der erneuerbaren Energien zu engagieren. Sehr geehrter Herr Vestner, wir haben gründlich recherchiert, was Sie/Ihre Initiative bislang zur Konkretisierung Ihrer Forderungen für eine neue Energiewirtschaft hier in der Region beigetragen haben, welche Strategien und Maßnahmen Sie in Ihren Materialien und öffentlichen Statements dazu vorschlagen, bzw. wo Sie persönlich oder die von Ihnen vertretenen BI gestaltend über die Initiierung konkreter Projekte aktiv geworden wäre oder Projekte unterstützt hätte. Wir haben nicht ein einziges (sinnvolles) Projekt gefunden (Oder haben wir etwas übersehen?)

Stattdessen finden sich wiederholt folgende Positionen und Forderungen:
► Wir sind gegen Windenergie, weil sie unwirtschaftlich, hässlich und landschaftsverschandelnd ist.
► Wir sind gegen den Ausbau von Leitungstrassen, um den Windstrom aus dem Norden in den Süden zu bringen.
► Wir sind gegen den großflächigen Ausbau von Freiland PV-Anlagen, weil diese wertvolle Agrarflächen belegen und das Landschaftsbild zerstören.
► Wir sind gegen Bau von Speichern im Südschwarzwald, um kurzzeitig Überschussstrom aus Wind und Sonne zu speichern.

Sehr geehrter Herr Vestner, den kleinen Windpark Chroobach lehnen Sie und die von Ihnen vertretene Bürgerinitiative ab, weil er „hässlich“ und „überwiegend von deutschen Seite sichtbar ist“. Sicher ist: Die wenigen Windräder auf dem Chroobach werden weder den rasant fortschreitenden Klimawandel mit all seinen auch bei uns schon spürbaren negativen Folgen aufhalten, und sie können auch nur einen kleinen Beitrag zur regionalen Energiewende leisten. Und sicher ist auch, dass es im Norden wirtschaftlich bessere Standorte gibt. Aber nachhaltige und vor allem regional erzeugte Energie ist sehr wichtig, denn sie muss nicht über weite Strecken mit hohen Kosten für die Infrastruktur und Verlusten transportiert werden. Vielleicht gibt es auch in zwei Jahrzehnten noch sinnvollere Technologien zur Erzeugung von erneuerbarer Energie, dann sind die Windenergieanlagen in einer Woche abgebaut und wieder verschwunden. Argumente, dass Windräder „hässlich“ und „landschaftsverschandelnd“ seien und deshalb abgelehnt werden müssten, sind keine Fakten und in einem Diskurs auch nicht akzeptabel.

Sie bezeichnen unsere Umgebung als „unzerstörte Naturlandschaft“, Herr Vestner. Doch hier gibt es nicht einen Quadratmeter Umwelt, der nicht – schon mehrfach – durch uns Menschen umgestaltet wurde und überwiegend auch intensiv genutzt wird. Zu den von Menschen geplanten Nutzlandschaften gehören auch unsere Wälder, ja sogar unsere Schutzgebiete. In Sachen Nachhaltigkeit und Umweltwirkungen sind Windräder mindestens ebenso verträglich, in jedem Falle aber um ein Mehrfaches nachhaltiger als flächenverbrauchende Industriegebiete, Gewächshauslandschaften, Autobahnkreuze, Kiesabbaugebiete oder intensive Agrar- und Aufforstungsflächen usw.

Sehr geehrter Herr Vestner, vielleicht werden Sie einmal von Ihren Kindern und Enkeln gefragt werden, was Sie damals – also heute – persönlich geleistet haben, was Ihr Beitrag war, um den Klimawandel aufzuhalten, die notwendige Energiewende zu unterstützen und zu gestalten. Wir sind überzeugt davon, dass uns die folgenden Generationen einmal für unsere Verhinderungspolitik „brandmarken“ oder aber auch für unser Handeln, eine Energiewende auf den Weg gebracht zu haben „dankbar sein“ werden.

Die Kreistagsfraktion der Grünen unterstützt daher ausdrücklich das Vorhaben unserer Schweizer Nachbarn, einen kleinen Windpark auf dem Chroobach zu ermöglichen.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Rainer Luick, Dr. Anne Overlack, Fraktionssprecherin


MM/UP