Flächenverbrauch: Eindämmen statt einheizen

flaechenverbrauchNABU und BUND in Baden-Württemberg appellieren an die Landesregierung, den Flächenverbrauch bis 2020 auf maximal drei Hektar pro Tag einzudämmen. Aktuellen Bestrebungen, im Baurecht naturschutz­rechtliche Auflagen zu schwächen, um Freiflächen schneller bebauen zu können, erteilten sie im Rahmen einer Presse­konferenz bei den „Naturschutztagen am Bodensee“ in Radolfzell eine Absage.

Pro Tag werden in Baden-Württemberg 5,2 Hektar überplant oder überbaut. Zur Einordung: In nur drei Jahren summiert sich das rechnerisch auf knapp 60 Quadratkilometer, der Gesamtfläche Radolfzells. „Die Freiflächen zerrinnen uns wie Sand zwischen den Fingern. Leidtragende sind unzählige Pflanzen und Tiere, deren Heimat Tag für Tag unter Beton und Asphalt verschwindet. Und leidtragend ist die Landwirtschaft, der kontinuierlich Wiesen- und Ackerflächen verloren gehen“, kritisieren BUND-Landesgeschäftsführerin Sylvia Pilarsky-Grosch und NABU-Landesvorsitzender Johannes Enssle. „Vor diesem Hintergrund ist klar: Es darf definitiv nicht noch einfacher werden, Freiflächen zu verbauen. Im Gegenteil: Das Land ist aufgefordert, das Ziel der Netto-Null nicht aus den Augen zu verlieren.“

Grün-Rot hatte in den vergangenen Jahren die Hinweise zur Plausibilitätsprüfung verschärft. Diese schreibt vor, dass Kommunen ihren Bedarf an neuen Bauflächen nachweisen müssen, bevor sie Baugebiete ausweisen dürfen. „Die Plausibilitätsprüfung zeigt Wirkung, weil sie die überzogenen Wünsche mancher Kommunen auf ein angemessenes Maß zurechtstutzt“, sagt Pilarsky-Grosch. „Grün-Schwarz muss deshalb an diesem Werkzeug festhalten und dafür sorgen, dass die Hinweise zur Plausibilitätsprüfung konsequent befolgt werden.“

Kritisch sehen die Verbände, dass bislang die Landratsämter für die Genehmigung von Flächennutzungsplänen zuständig sind, also der Pläne, die die Raumnutzung im großen Maßstab regeln. „Diese Aufgabe sollte bei den Regierungspräsidien liegen“, fordert Enssle. Ziel müsse sein, dass die Genehmigungsbehörden die Planungen der Kommunen untersagen, wenn sie hinsichtlich des Flächenverbrauchs, des Naturschutzes und der Nachhaltigkeit untragbar sind. „Für solch einen unpopulären Schritt sind die Landratsämter oft zu nah an den Kommunen dran. Die Regierungspräsidien könnten hier besser eingreifen“, sagt Enssle.

Mit Sorge verfolgen BUND und NABU, dass sowohl bei der derzeitigen Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes als auch im Zuge der „Wohnraum-Allianz“ unter Federführung von Landes-Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut über die Absenkung von Umweltstandards und die Erleichterung von Flächenausweisungen zu Lasten der Natur debattiert wird. Die Wohnraum-Allianz ist ein Zusammenschluss verschiedener Akteure aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung unter Einbeziehung der Naturschutzverbände und hat zum Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

„Die ökologischen Standards dienen dem Gemeinwohl und schützen die biologische Vielfalt. Dass das dringend nötig ist, zeigt schon ein kurzer Blick in die Roten Listen. Ganz sicher sind die Umweltstandards nicht der Grund dafür, dass es zu wenig bezahlbaren Wohnraum gibt“, stellen die Verbandsspitzen klar. „Im Gegenteil: Offensichtich entstehen auf Freiflächen meist keine günstigen Wohnungen, sondern raumgreifende Wohlstandsbebauung mit Ein- und Zweifamilienhäusern.“ BUND und NABU warnen, dass hier im Namen des sozialen Wohnungsbaus ökologische Grundanforderungen torpediert werden sollen.

Hintergrund: Staatliche Ziele zum Flächenverbrauch

Den Flächenverbrauch zu senken, ist erklärtes Ziel der Bundes- wie der Landesregierung. Bis 2020 soll der Verbrauch bundesweit auf 30 Hektar pro Tag zurückgehen. Anteilig berechnet ergibt sich dadurch für Baden-Württemberg ein maximaler Flächenverbrauch von drei Hektar pro Tag – also knapp 45 Prozent weniger als zuletzt. Als langfristiges Ziel steht unverändert die Netto-Null im grün-schwarzen Koalitionsvertrag.

Die Anzahl der in Deutschland lebenden Menschen ist insgesamt stabil, beziehungsweise sogar rückläufig. In Baden-Württemberg nimmt die Bevölkerung dagegen zu, von 2005 bis 2015 um 145 000 Personen. Allerdings vermehrte sich im selben Zeitraum die Anzahl der Wohnungen um 314 000. Da eine Wohnung im Schnitt vier Räume umfasst, entspricht das einem Zuwachs von rund 1,3 Millionen Räumen. Die Anzahl der Räume hat also fast um den Faktor 10 stärker zugenommen als die der Menschen. Der fortwährende Mehrbedarf an Wohnraum ist daher – auch nach Angaben der Wohnwirtschaft – vor allem dadurch begründet, dass die beanspruchte Wohnfläche pro Person ansteigt, auch aufgrund der wachsenden Zahl an Alleinlebenden.

MM