„Man isst nicht nur für sich“

Das Bewusstsein für regionales und saisonales Gemüse steigt bei vielen VerbraucherInnen. Wer den direkten Kontakt zum Produzenten sucht und außerdem unabhängig vom Weltmarkt und Preisspekulationen konsumieren möchte, ist in einer SoLawi (Solidarische Landwirtschaft) gut aufgehoben. SoLawi Konstanz e.V. stellte ihr Konzept am 10. November im Ellenrieder-Gymnasium vor.

2018 startete SoLawi Konstanz in die erste Gemüsesaison. Bei der Bieterrunde im April schlossen sich rund 120 Mitglieder der Gemeinschaft an, was bedeutet: Sie beteiligen sich an einer solidarischen Interessengemeinschaft, die für den Zusammenschluss von Erzeuger und Verbraucher steht. Als Mitglied einer SoLawi sorgt man dafür, dass Produktpreise und Zwischenstationen auf dem Weg vom Erzeuger zum Verbraucher umgangen werden und im Gegenzug die Produktion direkt finanziert wird.

Wolfgang Läuger aus dem Kernteam erklärt die Hintergründe: „Durch die solidarische Landwirtschaft erlangen wir Unabhängigkeit vom Weltmarkt und von Preisspekulationen.“ Weltweit werde Ernährung zunehmend kommerzialisiert und Landwirtschaft immer ungesünder. „Wir wollen aber, dass sie gesund ist.“ Sie könnten zwar nicht die ganze Welt verändern, „aber wir wollen wenigstens in unserem Umfeld eine Alternative schaffen.“

Dass dieses Anliegen auf breites Interesse stößt, zeigten die zahlreichen BesucherInnen der Infoveranstaltung von SoLawi Konstanz, darunter auch einige Mitglieder, die die erste Saison bereits miterleben.

SoLawis sind immer gefragter

Die Initiatorinnen von SoLawi Konstanz sind Julia Reineke, Malinda Troester und Julia Zachenbacher. Letztere kennt das Prinzip bereits aus Stuttgart. Insgesamt gibt es aktuell mindestens 197 SoLawis in Deutschland, etwa 40 in der Schweiz, und es werden immer mehr. Die Drei holten sich 2017 weitere Leute mit ins Boot, allen voran ihren Gärtner, Josef Müller von der Reichenau. Auf 8000 Quadratmetern Freiland und 500 Quadratmetern Gewächshaus sorgt er dafür, dass die Gemeinschaft das ganze Jahr mit frischem, fair angebautem Biogemüse versorgt wird. Sein Beweggrund für die solidarische Landwirtschaft sei, „den Lebensmitteln wieder einen Wert zu geben“. Weg vom Qualitäts- und Preisdruck des Großmarkts, dafür kurze Wege vom Feld zu den Verteilstationen in der Stadt, Abfallreduktion und das Miteinander mit den Verbrauchern. Denn wer möchte, ist herzlich willkommen, bei Feldeinsätzen mitzuhelfen, und so mehr über die Herkunft der Nahrungsmittel und die damit verbundene Arbeit zu erfahren. „Wir müssen miteinander leben, ich bin auch von euch abhängig“, betont der Gärtner.

Das Prinzip SoLawi funktioniert so: Je nach Anzahl der Mitglieder pro Gemüsesaison, die immer von April bis März dauert, erstellt Josef Müller einen Anbauplan und ein Budget. „Das erste Jahr war sehr erfolgreich, wir konnten sogar ein Kühlhaus finanzieren“, meint er rückblickend. Die Mitgliedschaft dauert von Januar bis Dezember. In diesem Zeitraum zahlt jedes Mitglied einen Betrag für seinen Gemüseanteil. Im Sommer werden die aktuell sieben Verteilstationen in der Stadt zweimal beliefert, im Winter einmal. Seinen Anteil muss jeder selbständig dort abholen oder eine Person organisieren, die das Gemüse stellvertretend holt. Bei Abwesenheit, Ferien etc. ebenso. Ein Abo läuft immer über ein ganzes Jahr, denn durch den Beitrag wird die Finanzierung gesichert. In der Bieterrunde – die nächste für die Saison 2019 findet am 2. Dezember statt – können die Mitglieder anonym ein Gebot für ihren Anteil abgeben. Auch hier greift das Prinzip der Solidarität: Jeder gibt, was er kann, wer wenig verdient, kann weniger bieten, diejenigen mit dem dickeren Konto sollten fairerweise mehr beisteuern. Durch die Gebote muss das Budget letztlich gedeckt sein. Dadurch ist die Finanzierung des Anbaus, der Arbeitskräfte und alles, was dazu gehört, gesichert.

Solidarität trägt auch Risiken in sich

Für den Produzenten bedeutet dies eine Entlastung vom Preisdruck. „Die Finanzierung muss gemeinsam gestemmt werden durch alle Mitglieder. Es gibt allerdings nicht nur schöne Seiten bei einer SoLawi, denn auch die Risiken müssen gemeinsam getragen werden“, sagt Bernhard Clasen vom Kernteam. Doch scheinen die positiven Aspekte zu überwiegen, wie aus Erfahrungsberichten aus der ersten Saison zu hören ist: Die Arbeitseinsätze auf dem Feld seien zwar körperlich anstrengend gewesen, aber man lernte viel über Gemüseanbau, es entstanden Kontakte und tolle Gespräche, der schöne Ausblick entschädigte die Mühen und das gemeinsame Picknick blieb in bester Erinnerung.

Helmut Müller, Landwirt vom Müllerhof in Kaltbrunn (s. Foto), ist für die Kartoffeln zuständig und begeistert vom Prinzip SoLawi: Er arbeitet seit 36 Jahren biologisch, seit 30 Jahren nach dem Demeter-Prinzip, aber die solidarische Landwirtschaft kannte er noch nicht. „Ich war angenehm überrascht, dass Leute aus der Stadt daran Interesse haben. Und dann kamen da doch tatsächlich ein paar Kerle und haben mir geholfen, die Kartoffeln raus zunehmen!“ Für ihn seien die Werte, die man heute für Gemüse ansetzt, furchtbar: Größe und Farbe müssten vor allem stimmen. Dadurch würden 50 Prozent des Materials bereits aussortiert. „Das ist für mich immer sehr traurig.“

Mehr Denken am Herd

Bei einer SoLawi zählen andere Werte, da kommt auf den Tisch, was auf dem Feld eben gerade wächst. Im Sommer war es so viel, dass man einmachen musste. Für Ideen und Projekte gibt es denn auch zahlreiche Arbeitsgemeinschaften, wie eine Einmach AG, eine Rezept AG oder Kräuter AG. Ein Teilnehmer schwärmt, dass er einen völlig anderen Zugang zu Lebensmitteln bekommen habe: „Man muss sich plötzlich Gedanken machen über Zeug, das man gar nicht kennt, wie Rotebeetestängel und -blätter oder Bohnenkraut!“ Er hätte durch andere Mitglieder tolle Tipps bekommen, wie man die Dinge verwerten könne. Eine andere Frau schwört auf Karotten- und Kohlrabigrün: „Ich bin Fan geworden von den Blättern. Darin steckt ein viel höherer Nährstoffgehalt als in der Rübe oder Knolle selbst. Ich mache mir daraus z.B. Smoothies.“

Man müsse mehr nachdenken, sich mehr Zeit nehmen beim Kochen und bei der Verwertung. Dies sei wie eine Zeitreise zu den Großeltern, die mit dem, was in der jeweiligen Jahreszeit wuchs, ihre Ernährung sicherten. „Man isst nicht nur für sich“, meint ein Teilnehmer, hier gehe es um mehr.
Wer SoLawi mit dem Gemüse vom Wochenmarkt oder einer Gemüsekiste vergleiche, liege falsch, unterstreicht Julia Reineke vom Vorstand: „Im Gegensatz dazu kaufen wir nichts dazu, es kann auch mal eine Woche mehr oder weniger Anteil geben.“ Und der Gärtner ergänzt: „Im Winter heißt das Rüben, Kohl, Kohl und nochmals Kohl, das kann ich nicht ändern. Wir werden an Weihnachten sicher keine Erdbeeren haben.“

Wer 2019 in eine faire, regionale und biologische Gemüsesaison starten möchte, sollte am 2. Dezember, 14 Uhr, ins Ellenrieder-Gymnasium zur Bieterrunde kommen oder die OrganisatorInnen kontaktieren: info@solawi-konstanz.de.

Judith Schuck (Text und Foto)