Revolution oder Reformation: Wie antikapitalistisch muss, kann oder sollte die Klimabewegung sein?
Das Klimacamp Konstanz, kurz vor dem Jubiläum seines einjährigen Bestehens, lud an einem heißen Sommerabend zu einer Podiumsdiskussion zur Frage, ob die Klimabewegung selbst antikapitalistisch sein muss, und wenn ja, dann wie. Kann der Kapitalismus von der Logik des Profits abgekoppelt und mittels Reformen auf einen ökologischen Pfad umgestellt werden oder setzt eine klimagerechte Politik notwendig eine entschiedene Abkehr von diesem Wirtschaftsmodell voraus?
Die Diskutierenden stimmten im Plädoyer für eine ernsthafte klimapolitische Wende und in der Einschätzung der täglich wachsenden faktischen Dringlichkeit adäquater Maßnahmen überein, nur die Wahl der gangbaren Wege unterschied sich im Spektrum der verschiedenen Gruppierungen und individuellen Präferenzen. Zwar bestand also durchaus eine Einvernehmlichkeit in der Beurteilung der desaströsen Folgen der momentanen Wirtschaftsweise, denen einzig mit gravierenden Eingriffen Abhilfe geschaffen werden kann. Trotz dieses revolutionären Impetus des radikalen Bruchs mit dem Bestehenden sind in der spätmodernen Welt von heute, so will es scheinen, nur noch Mittel der Reformation denkbar, die jedoch drohen, die Probleme der Gegenwart letztlich nur zu verlängern. Die bleibende Hoffnung auf die Verbesserung liegt gleichwohl in der Erkenntnis, dass revolutionäre Situationen nie absehbar oder planbar waren und sind, sondern sie spontan entstehen und dann ihre Möglichkeitsräume ergriffen und gestaltet werden müssen. Ob just dann, wenn die Zeit endlich reif ist, die ergriffenen Mittel noch helfen, dies steht freilich auf einem anderen Blatt.
Die Abendröte des Westens
Kann sich der Kapitalismus ändern, können wir mit ihm, in ihm wirksam werden, oder müssen wir radikal mit ihm brechen, um auch nur den Hauch einer Chance einer klimagerechten Wirtschaft nebst der Aussicht einer lebenswerten Zukunft zu haben? Können wir in kapitalistischen Verhältnissen eine Konvergenz sozialer und ökologischer Gerechtigkeit(en) erreichen, oder pervertiert dies Wirtschaftssystem durch seine innere Logik jede Phalanx jener beiden Momente? Muss also eine jede klimagerechte Politik auch immer für soziale Gerechtigkeit eintreten; und was heißt das für das politische Instrument der Verteuerung? Brauchen wir eine demokratische Legitimation für die Maßnahmen der Abwendung der Klimakatastrophe, oder verlangt die Situation nach politischen Verantwortlichen, die schnell und unbeirrt jene Instrumente auch gegen Widerstände ergreifen, um das Schlimmste zu verhindern? Was machen wir mit jenen, die nicht wollen, noch nicht wollen können, wo doch die Zeit droht, uns verloren zu gehen?
Dass in einer endlichen Welt mit endlichen Ressourcen das Wachstum Grenzen hat, kann nicht überraschen, dennoch erleben wir gerade eindrücklich, welchen Preis die menschliche Kurzsicht auf das globale Klima und welchen Folgen unsere Hybris für die irdische Flora und Fauna hat. Die Warnungen Roms verhallten im Nichts, zumindest das politische und ökonomische Publikum stellte sich taub. In den vergangenen Dekaden wurde das Regime des Kapitals durch die deregulierende Globalisierung, durch die spekulative Extensivierung und digitale Hochfrequenzierung eher noch ausgedehnt. Die Durchdringung des entgrenzten Kapitalismus reicht mithin tiefer und weiter, alles und jede/r kann zum Spekulationssubjekt und -objekt im Debordschen Spektakel werden. Aus dem Nichts entsteht aber bekanntlich nichts: Über die Ausbeutung von Mensch und Natur wird der Gewinn im Kapitalismus wie eh und je von Unternehmer:innen privatisiert, und muss zugleich, wie es Aktiengesellschaften offen vorführen, immer mehr wachsen – selbst die Stasis der Gewinnmargen ist schon Indiz drohenden Untergangs. Dies Maximierungsstreben ist dem Kapitalismus inhärent, seine Effekte zugleich massiv. Um den Klimawandel effektiv zu begegnen gilt es, einen Ausweg aus diesen systemischen Dynamiken zu finden, und zugleich stellt sich die Frage ob dies mit, in oder gegen die bestehenden Verhältnisse zu erreichen ist: Revolution oder Reformation?
Jede Antwort auf diese Frage muss sich nicht nur mit der Definition des Ziels befassen, sondern auch eine Analyse dessen vornehmen, was Kapitalismus meint. Leider blieb die Diskussion just an diesem Punkt eher unspezifisch und konzentrierte sich auf die Konturierung möglicher Modelle der Veränderung. Natürlich kann eine Veranstaltung nie alle Aspekte gerade eines solch komplexen Phänomens einfangen, aber für die Frage, ob im Kapitalismus selbst transformative Potentiale angelegt sind, bedarf es einer Bestimmung dessen, was diese Ordnung ausmacht. Dem Podium selbst reichte der durchaus richtige Hinweis auf die Folgen der Profitlogik als zerstörerische Ausbeutung von Mensch und Natur. Anzufügen sind in dieser Beschreibung noch die Phänomene der Verschleierung, Entgrenzung und Entbindung, die ihren Teil zum Funktionieren kapitalistischer Ordnungen beitragen. Um es kurz zu fassen geht es hierbei um die Ausbildung komplexer Systeme der Produktion und deren örtliche und zeitliche Zerstreuung. Die Globalisierung bezeichnet eben nicht nur einen internationalen Markt und Warenverkehr, sondern auch spezifische ökonomische Verhältnisse von der Vervielfältigung von Lieferketten, Produktionsmittel und -formen.1 Die entscheidende Konsequenz ist, dass aus dieser Indirektheit individuelle und kollektive Verantwortungslosigkeit folgt. Nur weil die Verbraucher:innen die Betroffenen, die Ursprünge und Folgen ihres Konsums nicht sehen, können sie sich in der Selbstgewissheit eines opferlosen Wohlstands der westlichen Hemisphäre wiegen. Die Verschleierung ist in diesem globalisierten Wirtschaftssystem kein Zufall, sie ist neben dem Konkurrenzsystem, dass die Arbeiter:innen im globalen Maßstab gegeneinander ausspielt, die Bedingung der Möglichkeit inter- und transnationaler Ausbeutungsregime. Den Preis unserer Prosperität lagern wir aus, auf andere Orte und andere Zeiten – es ist ein Regime des Raubbaus und der verschleierten Kosten, Opfer und Gewinner.
Die Suche nach dem Anfang im Anderen
Die Funktionslogik dieses globalen Ausbeutungsregimes schränkt die Erfolgsaussichten von Reformen zumindest ein. Zunächst wird der Markt gemäß seiner Eigenlogik jeden Reformversuch überformen. Offenbar wird dies am Beispiel des E-Autos: Selbstredend ist dies zwar ein ökologischer Fortschritt und ein Versuch staatlicher Lenkung hin zur Nachhaltigkeit, zugleich hat dies einen absehbaren Boom im Markt für Akkus und Chips ausgelöst. Der Raubbau hat sich in der Folge nur verschoben, gerade weil die Politik des Westens die Ökologie weiter der Ökonomie unterordnet. Dabei wird das System des motorisierten Individualverkehrs nicht angetastet, sondern nur mit einem anderen Unterbau versorgt, aus dem wiederum maximaler privatwirtschaftlicher Gewinn gezogen wird. Demgemäß bleibt Skepsis gegenüber dem Vorschlag geboten, über ordoliberale Instrumente eine Art sozial-ökologischer Marktwirtschaft zu etablieren, die mit Mitteln der politischen Steuerung nicht nur für das nachhaltige Wirtschaften sorgt, sondern auch die externen Kosten einpreist und so einen umfassenden, realen Preis der Waren herstellt. Zwar ist die Taxierung der faktischen Kosten und Folgekosten ein wichtiger Baustein, der nicht-nachhaltige Waren und Produktionsweisen sanktioniert, zugleich ist es aber fraglich, ob so die systeminternen Fehlanreize tatsächlich behoben werden können und der Profitmaximiemierung keinen Fluchtpunkt liefert. Die Wirtschaftspolitik hat zudem die Tendenz, sich weniger in sinkenden Zahlen sozial-ökologischer Ungerechtigkeit als in der Prosperität des inländischen Bruttosozialprodukts zu sonnen, was wiederum die Chance konsequenter Reformen mindert.
[the_ad id=“87862″]Weder haben wir die Hoffnung auf den Aufbruch einer Revolution noch ein wirkliches Vertrauen auf die Kraft und den Handlungsspielraum von Reformen. Die politische Ordnung hat hier ebenso hemmende Effekte wie das wirtschaftliche System: Da die Kosten, und sei es nur der Verzicht, so hoch sind, und die Einschnitte so tief, bedürfte eine Veränderung einen breiten politischen Konsens, der nicht nur von einer Partei getragen wird. Die Angst, Wahlen aufgrund unpopulärer Entscheidungen zu verlieren, trifft hierbei auf die beständige Gefahr, dass Oppositionen diese Maßnahmen politisieren und diese als neue Regierungen zurücknehmen können.2 Die regressiven Momente unserer Gegenwart lassen notwendige tiefgreifende Veränderungen wie die Forderung, wichtige Industrien zu vergesellschaften, zu realitätsfernen Phantasmen werden.
Zugleich war in der Diskussion dann und wann die leise Hoffnung auf einen weisen Monarchen zu hören, der, geläutert durch die Eingaben einer kritischen Öffentlichkeit und im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und dessen Auftrage des Schutzes aller Erdenkinder, eben diese nun endlich mit aufgeklärten Mitteln der Erziehung vor ihrem eigenen Handeln schützt. Sicher ist dies überzeichnet, gleichwohl wird so die Hoffnung auf eine entrückte Instanz deutlich, die sich dem bestehenden System und seiner Korrumpierung zu entziehen vermag und wirksame Mittel ergreifen kann, ohne falsche Rücksichten zu nehmen. Wirkliche Reformen verlangen einen Systembruch, ihr transformatives Potential geht mit einem revolutionären Impuls einher.
Am Ende stehen wir vor verschiedenen Dilemmata: Die Hoffnung auf ein Top-Down-Modell der Politik reibt sich an der Erkenntnis der Passivität, Ignoranz und Inkompetenz der Funktionsträger:innen; die Ideale der demokratischen Legitimierung und diskursiven Offenheit reiben sich an der Faktizität der objektiven Geltung in Zeiten der Krise, die keinen Widerspruch duldet.3 Die Wege, welche die Klimabewegung hier gehen wird, sind ebenso offen wie ihre Abwägung zwischen Revolution und Reformation.
Spuren des Möglichen
Ist ein anderes, ein nachhaltiges Wirtschaften in dieser Welt also überhaupt denkbar, oder möglich? Ein kleiner Schimmer, gleichwohl nie ganz rein in seinem Glanze, warfen die Berichte von Kooperativen, die sich nicht nur mir ihrer emanzipierten, basis-demokratischen Ausrichtung hervortaten, sondern auch durch ein ökologisches Bewusstsein der eigenen Produktion. Auch wenn diese Formen weiter den Bedingungen der Marktförmigkeit unterliegen, geht es hier um lokale Experimente, die zumindest den Keim einer anderen Wirtschaftsweise in sich tragen. Der Punkt ist: Wenn Menschen selbst vor Ort wirtschaften und Verantwortung tragen, stehen ihnen die Folgen ihres Tuns direkt vor Augen.4 Die Verschleierung als Grundlage radikaler Ausbeutung wird so zumindest eingeschränkt. Natürlich löst dies nicht die drängende Frage, wie wir eine auch nur im Ansatz hinreichende Klimapolitik bekommen, aber es gibt Hinweise auf Formen alternativen Wirtschaftens, wie sie ebenso Modelle der Kreislaufwirtschaft und der Gemeinwohlökonomie anbieten.
Ob nun der Antikapitalismus oder die Klimabewegung für die Öffentlichkeit attraktiver sind, kann hier wie am Abend offen bleiben. Die zentrale Erkenntnis ist, dass beide Aspekte in einer noch zu bestimmenden Form zusammengehören. Gerade hier ist das Plädoyer für die Vermittlungs- und Aufklärungsarbeit weiterführend, die sich gegen jeden Versuch richten muss, beide Momente gegeneinander auszuspielen. Eine klimagerechte Politik darf sowenig die soziale Spaltung außer acht lassen wie die Sozialpolitik ökologische Aspekte ignorieren kann. Beides geht nur im Ausgleich, und dies gilt es, den Menschen nahezubringen. Es ist das Verdienst der Klimabewegung, bei dieser Vermittlung und der Sensibilisierung des öffentlichen Bewusstseins schon einen großen Schritt in die richtige Richtung geleistet zu haben.
Ein Platz blieb an diesem Abend leer, und wird es bleiben…
Text und Bilder: Tobias Braun
1. Ein Produkt kann nicht nur von überall herkommen, sondern auch aus Teilen unterschiedlichster Quellen bestehen und nicht zuletzt aus allen möglichen Arbeitsbedingungen entstanden sein. Die Produktsigel und -label, eigentlich ein Versuch der Ordnung dieser Unübersichtlichkeit, nehmen selbst Überhand und geben der Forderung nach einem Sigel der Sigel Raum. Auf der anderen Seite dieser Chimäre steht die Idee des kritischen Konsumenten…
2. Das plötzliche Ab- und Auftreten des ominösen Restrisikos von Kernenergie bei der Begründung der doppelten Wende bleibt hierfür exemplarisch.
3. Die Chiffre des sächsischen Kohlekumpels nimmt in den Diskursen eine heikle Rolle ein, sind diese doch ansonsten davon geprägt, Stereotype zu vermeiden und verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Biographien zu inkludieren.
4. Kein Bauer wird sein Feld so massiv ausbeuten, dass er die Fruchtbarkeit des Ackers gefährdet, so die simple Kernidee.
Ich fürchte, das ist eine Revival-Diskussion aus den späten 70er Jahren. Heute hat es die Welt mit Oligopolen und Oligarchen zu tun, deren Macht weit über die von Regierungen und Parlamenten hinausgeht. Beste Beispiele kommen von SPD und Grünen, die sich bei Monopolisten in Amerika schulen lassen und die über unsinnige Boykottmaßnahmen, gegen Russland beispielsweise, den deutschen Lohnabhängigen (dazu gehören auch Kapitalisten wie Zulieferer), durch Angebotsverknappung, die Butter vom Brot nehmen.
Wie sieht es beispielsweise mit dem Rechtsstaat aus, der gesetzlich verankert, Versicherungskonzerne geradezu ermuntert, Schäden nur teilweise oder gar nicht zu regulieren (Rentenspar- und Bausparverträge, Umweltkatastrophen wie Ahrtal oder etwas zurück liegend Corona und dadurch verursachte Betriebsschließungen).
Sind es nicht Diebe im Gesetz, die Landgrabbing oder Wasserraub zulassen, durch eine Rechtsprechung die nur internationalen Monopolisten dient, oder die eine Selbstbedienungsmentalitat von Parlamentariern zulässt, die unerhört hohe Vermittlungsprofite einstreichen und denen anschließend höchstrichterlich bescheinigt wird, dass sie nach der Gesetzeslage nicht Unrechtes, getan haben.
Gerade bei den derzeitigen Energiepreisen und Mieten wäre es dringend geboten einen Markt wieder herzustellen oder durch staatliche Notwehrmaßnahmen den Oligopolen die Macht der Preisgestaltung zu entreißen.
Dass man über die Nordstream 2 Boykottdrohungen Amerikas, den Energiemarkt westlichen Monopolisten überlassen hat ist Politkversagen im größten Umfang und liegt viel länger zurück als der Angriif auf die Ukraine, zumal ein Schurke lediglich durch andere ersetzt wurde, konkurrierende Angebote ausgeschlossen sind, Konkurrenz ausgeschaltet wurde und was die Umwelt sehr belasten wird eine völlig neue Verteillogistik beispielsweise für Flüssiggas errichtet werden muss..