Schweizer Atomlobby macht Dampf
Auch im Nachbarland wird wieder über Atomkraft gestritten: 2013 soll in der Schweiz über die Rahmenbewilligung für neue Atomkraftwerke abgestimmt werden. Und die Atomlobby überzieht das Land schon jetzt mit einer gewaltigen Werbekampagne. Von der „Stromlücke“ ist wieder die Rede, von der Renaissance der Kernenergie, und überhaupt würden in der Schweiz ohne neue Atomkraftwerke bald die Lichter ausgehen. Wer steckt hinter diesem Werbefeldzug? Wer spendiert die Millionen? Und welche Politiker lassen sich einspannen?
Seit Monaten schon organisiert Burson-Marsteller, fünftgrößte PR-Agentur der Welt, für das Nuklearforum, die Fach- und Lobbyorganisation der Atombranche, Tagungen wie die «nuclea10» in Baden (Thema: «Rahmenbedingungen für die Renaissance der Kernenergie»), reserviert Internetadressen, die den Atombefürwortern ein Dorn im Auge sein könnten (www.moratorium.ch, www.atomkraftwerke.ch), «betreut» Politiker oder organisiert Medienreisen. Anfang September besuchte eine Gruppe von 14 Journalisten auf Einladung des Forums vier Tage lang die Baustelle des finnischen Reaktors Olkiluoto 3. «Le nucléaire finnois comme modèle?» («Finnische Kernenergie als Vorbild?»), titelte kurz darauf «La Liberté».
Fragen zur Finanzierung sind tabu
Die Aktivitäten zielen auf einen wichtigen Termin: 2013 wird in der Schweiz über die Rahmenbewilligung für neue Atomkraftwerke abgestimmt. Den Kampf für ein Ja lässt sich die Atomwirtschaft etwas kosten. So weist die Jahresrechnung des Nuklearforums einen respektablen Umsatz von 3,3 Millionen Franken aus. 2,7 Millionen davon stammen aus „Mitgliederbeiträgen und außerordentlichen Beiträgen“. Eine stolze Summe für einen Verein, dessen 419 Einzelmitglieder jährlich gerade 75 Franken pro Jahr bezahlen und der auch seine 101 Kollektivmitglieder nicht übermäßig zur Kasse bittet. Die Suva, größte Unfallversicherung der Schweiz, bezahlt ganze 380 Franken pro Jahr, der Stadtberner Energieversorger EWB 3100 Franken. Rechnet man diese Zahlen hoch, so kommt man auf ordentliche Einnahmen von maximal 400000 Franken — und somit auf vermeintlich unerklärliche Einnahmen von mindestens 2,3 Millionen.
Des Rätsels Lösung liegt in den Statuten. Dort ist festgehalten, dass die „wirtschaftlich leistungsfähigen Kollektivmitglieder, namentlich die Betreiber der Schweizer Kernkraftwerke“, einen Sonderobolus zu entrichten haben. Somit bezahlen die Schweizer Stromkunden über ihre Stromrechnung jedes Jahr über zwei Millionen Franken an das Nuklearforum – und wissen es nicht.
Interessant ist das vor allem im Fall der BKW Energie AG. Die Berner Kantonsregierung musste 2007 auf eine Anfrage im Großen Rat (Finanzieren StrombezügerInnen ihre eigene Manipulation?) zu den BKW-Beiträgen ans Nuklearforum Stellung nehmen. Die Antwort: „Der Jahresbeitrag der BKW FMB Energie AG ans Nuklearforum beträgt Fr. 4500“. Von weiteren Unterstützungsbeiträgen ans Nuklearforum kein Wort.
Bei dieser Auskunft soll es nach dem Willen der BKW auch bleiben: Man habe keine Ergänzungen, erklärt Sprecher Antonio Sommavilla auf Nachfrage. Auch Alpiq und Axpo, die führenden Schweizer Energieunternehmen, wollen sich nicht zur auffälligen Finanzierungspraxis beim Nuklearforum äußern – und dessen Präsidentin Corina Eichenberger schon gar nicht. „Das Nuklearforum Schweiz publiziert einen Jahresbericht und veröffentlicht darüber hinaus keine Informationen zu Vereinsinterna“, schreibt die Aargauer FDP-Nationalrätin.
Doch nicht nur über das Nuklearforum fließt Geld in atomfreundliche Organisationen, auch die Nagra gibt sich grosszügig. Die „Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle“ wird von den AKW-Betreibern und somit indirekt von den Schweizer Stromkunden finanziert. Von diesem Geld fließt jährlich eine namhafte Summe» an das Forum Vera («Verantwortung für die Entsorgung radioaktiver Abfälle»). Dessen Geschäftsführer, der Berner SP-Grossrat Markus Meyer, räumt ein, dass der Verein ohne das Nagra-Geld seine Aktivitäten reduzieren müsste. Neben der Nagra habe man noch „drei weitere Kollektivmitglieder, die größere Summen spenden“, erklärt Meyer. Welche das sind, will er nicht sagen.
Als scheinbar unabhängige Organisation, die bei der Bevölkerung um Verständnis für den Bau eines atomaren Endlagers wirbt, ist das Forum Vera für die AKW-Betreiber und somit auch für die Nagra Gold wert. So organisiert der Verein fleißig öffentliche Exkursionen zum Nagra-Felslabor im Jura oder bietet Podiumsdiskussionen und Lehrerkurse an. Der letzte fand Ende September im malerischen Schloss Hünigen bei Konolfingen statt. Thema der abschließenden Podiumsdiskussion: „Gibt es bei den erneuerbaren Energien auch Abfälle?“ „Es ist skandalös, dass wir über unsere Stromrechnung solche Veranstaltungen mitfinanzieren“, meint dazu der Geschäftsleiter der atomkritischen Schweizerischen Energie-Stiftung, Jürg Buri.
Bei der Atomlobby sitzt das Geld locker
Nicht darben müssen offensichtlich auch andere Organisationen im Dunstkreis der Atomwirtschaft: Die Arbeitsgruppe Christen und Energie (ACE) – in ihrem Vorstand sitzt unter anderem der Luzerner CVP-Nationalrat Pius Segmüller – sowie das Forum Medizin und Energie (FME) leben eindeutig über den üblichen finanziellen Möglichkeiten kleiner Vereine. Beide nehmen für die Führung ihrer Geschäftsstelle die Dienste der Zürcher PR-Agentur Frey Communications in Anspruch. Deren Geschäftsführer Daniel Frey sitzt auch in beiden Vorständen. Das FME, das nach eigenen Angaben 200 Mitglieder hat, die 30 Franken Jahresbeitrag bezahlen, publizierte zudem im Herbst 2009 eine Broschüre zum Thema „Kinderleukämie und Kernkraftwerke — (K)ein Grund zur Sorge?“ Wer das aufwendig gestaltete Werk, das nach Ansicht von Atomkraftgegnern die Gefahren von AKWs verharmlost, tatsächlich finanziert hat, will das FME nicht offen legen.
Wie locker das Geld sitzt, wenn Atomkraft im Spiel ist, zeigt auch das Beispiel der BKW. Das halbstaatliche bernische Unternehmen machte im Herbst 2009 eine halbe Million Franken locker, um im Kanton Waadt eine Konsultativabstimmung zu bekämpfen. In dieser konnten sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger darüber äussern, ob die Regierung zur Verlängerung der Betriebsbewilligung für das AKW Mühleberg ja oder nein sagen sollte.
Die Erfahrungen aus früheren Abstimmungen lassen erahnen, dass auch 2013, wenn es an der Urne um die Rahmenbewilligungen für zwei neue Atomkraftwerke geht, reichlich Geld für eine Pro-Atom-Kampagne fließen wird. Als es 2003 zwei atomkritische Volksinitiativen zu bekämpfen galt, spannte das Nuklearforum (das damals noch „Schweizerische Vereinigung für Atomenergie“ hieß) mit Economiesuisse zusammen. 15 Millionen Franken soll der Wirtschaftsdachverband, bei dem Axpo-Chef Heinz Karrer im Vorstand sitzt, in die Kampagne gesteckt haben – eine Zahl, die Economiesuisse nie bestätigte.
Deren Präsident Gerold Bührer lässt jedoch schon heute keinen Zweifel daran, dass sich sein Verband auch bei der Abstimmung über die Rahmenbewilligungen für die neuen AKWs im Jahr 2013 für die Option Atomkraft einsetzen wird. „Man kann es drehen und wenden, wie man will“, erklärte er Anfang September am ‚Tag der Wirtschaft‘: „Am Ersatz der auslaufenden Kernkraftwerke führt nichts vorbei“.
Lobby im Bundeshaus
Die Schweizer Stromwirtschaft ist auch im Bundeshaus gut vernetzt. So sind rund 100 Parlamentarier Mitglied der Aktion für eine vernünftige Energiepolitik (Aves). Ihr Präsident ist der Zuger FDP-Ständerat Rolf Schweiger, der auch bei Vera („Verantwortung für die Entsorgung radioaktiver Abfälle“) im Vorstand sitzt. Ebenfalls knapp 100 Ratsmitglieder gehören der Lobbyorganisation Energieforum an.
Auch die AKW-Betreiber selber sind gut vertreten: Rolf Büttiker (FDP) und Markus Zemp (CVP) etwa sitzen im Verwaltungsrat des AKWs Leibstadt. Die AKWs Beznau und Gösgen werden durch Ständerat Philipp Stähelin (CVP) vertreten. Im Verwaltungsrat von Gösgen sitzt auch Pirmin Bischof (CVP). Der Glarner FDP-Ständerat Pankraz Freitag amtet als Verwaltungsratsvizepräsident der Axpo Holding und als Präsident der Nagra.
Wie wichtig eine Vertretung im Bundeshaus ist, zeigen zwei Personalien des Nuklearforums: Nationalrat Christian Wasserfallen (FDP) sitzt dort im Vorstand. Daneben präsidiert er die Aves-Regionalgruppe Bern und wirbt im Forum Pro Mühleberg für ein neues AKW im Kanton Bern. Seit 2009 ist Corina Eichenberger (FDP) Präsidentin des Forums. Im Nationalrat hat sie sich bislang nicht durch energiepolitische Vorstöße hervorgetan. Überraschend kam ihre Wahl für Jürg Buri von der atomkritischen Energiestiftung dennoch nicht. «Die Atomlobby hat festgestellt, dass Frauen und jüngere Menschen der Atomenergie eher ablehnend gegenüberstehen. Im Hinblick auf die Abstimmung im Jahr 2013 versucht man deshalb jetzt, auch diese Gruppen zu erreichen“.
Autor: Thomas Agnelli