Stocamine – die „kleine Asse“ am Oberrhein

Seit September 2010 warnen Experten der französischen Bergbaubehörde, dass Giftmüll aus der modernsten, sichersten und durch einen Brand zerstörten Giftmülldeponie Stocamine in wenigen Jahrhunderten eines der größten und wichtigsten Grundwasserreservoire Europas vergiften könnte. Die angekündigte Grundwasservergiftung im Elsass am Oberrhein droht, ein neuer „Fall Asse“ zu werden. Und wieder ist niemand verantwortlich.

Der Skandal um das Atommülllager Asse ist in aller Munde. Radioaktives Wasser schwappt durch das jahrzehntelang als sicher gepriesene „Endlager“. Anstelle von leicht- und mittelaktivem Atommüll war unter anderem hochradioaktives Plutonium eingelagert worden. Es war vertuscht, gelogen und betrogen worden und wie fast immer bei großen Umweltverbrechen sitzt keiner der Verantwortlichen im Gefängnis. Der Atommüll muss jetzt geborgen werden und die Folgekosten des Asseskandals von bis zu sechs Milliarden Euro tragen nicht die Atomkonzerne, sondern die SteuerzahlerInnen.

Stocamine – der Skandal um die „kleine Asse“ am Oberrhein ist weniger bekannt. Und doch hat die drohende Grundwasservergiftung am Oberrhein durch Zyanid, Arsen und chrom- und quecksilberhaltige Abfälle eine unglaubliche Geschichte.

Eine unschöne, aber typische Geschichte

Seit über hundert Jahren wird im elsässischen Kalibecken bei Mulhouse Kalisalz abgebaut und das dabei ebenfalls anfallende Steinsalz in den Rhein geleitet. Noch 1991 strömten in jeder Sekunde 115 Kilogramm Salz in die Haupttrinkwasserader von Millionen Europäern – jährlich 3600000 Tonnen Natrium-Chlorid. Salz wurde aber auch auf großen oberirdischen Halden gelagert und auf der Fessenheimer Insel in großen Becken zwischengelagert. Unglaubliche Mengen Salz wurden von den Halden abgewaschen, und alleine aus den Zwischenlagerbecken bei Fessenheim sind eine Million Tonnen Salz „einfach so“ ins Grundwasser gesickert.

Wenige Kilometer unterhalb der Fessenheimer Rheininsel finden sich im Elsass und in Südbaden bereits jetzt bis zu 50 Gramm Salz in einem Liter Grundwasser – Meerwasser enthält im Schnitt nur 35 Gramm. Die Anzeigen des BUND gegen Behörden und Verursacher führten nie zu Prozessen, kein Verantwortlicher wurde je bestraft. Die Sanierungskosten trägt nicht die immer noch existierende Verursacherfirma MDPA sondern die Allgemeinheit, und für die Untersuchungskosten kommen die europäischen Steuerzahlerinnen mit Interreg-Geldern auf.

Die fachliche Kritik der „Nörgler“ ist unbequem.

Das Gebiet des elsässischen Kalibeckens gleicht unterirdisch einem großen Schweizer Käse. Ökologisch sinnvoll wäre es natürlich gewesen, endlich das oberirdisch lagernde Salz wieder unter Tage zu bringen. Doch so etwas ökologisch Sinnvolles ist natürlich eine dumme Idee, denn es bringt keinen Gewinn. Große Gewinne aber bringt es, Giftmüll nicht etwa teuer aufzuarbeiten, sondern ihn billig unterirdisch zu „entsorgen“ (ein wunderbarer Neusprechbegriff). Und so wurde die Firma Stocamine gegründet mit dem Ziel, in den alten Bergwerken die größte, beste und sicherste Untertagedeponie Frankreichs zu schaffen und dort, kostengünstig für die Industrie, hoch gefährliche Industrieabfälle ein zu lagern. Atommüll und brennbare Abfälle sollten und durften nicht gelagert werden.

Vor der Inbetriebnahme im Jahr 1999 gab es die allseits bekannten Rituale. UmweltschützerInnen von Alsace Nature, vom BUND aus Südbaden und örtliche, elsässische Bürgerinitiativen warnten vor den massiven Gefahren und Billiglösungen und organisierten Einsprachen und Proteste. Auf der anderen Seite gaben Behörden, Betreiber und „Experten“ Entwarnung. Es ist dieser eine Satz, den UmweltschützerInnen immer wieder hören und der in den Medien in solchen Zusammenhängen häufig zu lesen ist: „Nach übereinstimmender Ansicht der Experten gibt es keinerlei ernstzunehmende Gefahren“. Die fachliche Kritik der „Nörgler“ ist unbequem.

Der Deponieleiter der Stocamine hatte vor Inbetriebnahme der Giftmülldeponie noch lautstark verkündet, in die sicherste und beste Deponie Frankreichs zwar hoch giftiges, aber absolut unbrennbares Material dauerhaft sicher einzulagern. Gefährliche Gifte des Industriezeitalters waren also in sicheren Händen und für hunderttausende von Jahren sicher „entsorgt“. Von 1999 bis 2002 wurden rund 45.000 Tonnen hochgiftiger Industrieabfälle eingelagert, darunter Zyanid, Arsen sowie chrom- und quecksilberhaltige, nicht brennbare Substanzen.

Als „der nicht brennbare Giftmüll“ brannte

Im September 2002 bemerkten Bergleute der neben Stocamine liegenden Kaligrube giftigen Rauch, einige Bergarbeiter trugen gesundheitliche Schäden davon. Sie flohen aus dem weit von der Deponie entfernten Bergwerk, das dann auch für immer geschlossen werden musste, denn das „Unmögliche“ war eingetreten. Der laut Werksleitung „absolut nicht brennbare Giftmüll“ brannte über Wochen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz schenkte der Stocamine daraufhin in einer symbolischen Aktion einen Rauchmelder, denn solche Sicherheitsvorkehrungen waren in der größten Giftmüllgrube Frankreichs nicht vorgesehen.

Die Giftmülldeponie musste geschlossen werden. Die Verantwortlichen bekamen lächerliche Strafen, gegen die sie erfolgreich in Berufung gegangen sind. Der Leiter von Stocamine kam mit einer Geldstrafe von 5000 Euro davon. Die in erster Instanz verhängte Bewährungsstrafe von vier Monaten hob das Berufungsgericht im April 2009 wieder auf.

„Alle Angaben ohne Gewähr“

Am 16/09/2010 berichtete die französische Zeitung L’Alsace über den aktuellen Stand in Sachen Stocamine: » Die hochgiftigen Abfälle in dem Stollen zu belassen, ist den Experten zufolge aber auch keine gute Lösung. Der Stollen werde in hundert bis 150 Jahren von Grundwasser überschwemmt, längerfristig – etwa in 600 Jahren – könnten dann toxische Substanzen durch Strebe an die Oberfläche kommen. Dadurch könnte das Grundwasser in der Umgebung der Deponie ungenießbar werden, warnen die Bergbau-Experten. Die Autoren des Berichts empfehlen nun, soviel Müll zu bergen, wie dies ohne Gefahr möglich ist. Gleichzeitig müssten Lösungen für die Giftabfälle gefunden werden, die nicht zu Tage befördert werden können.“

Stocamine und Asse sind zwei Beispiele, die zeigen, wie unverantwortlich mit den giftigsten Giften des Industriezeitalters umgegangen wird. Mit Sorge schaut der BUND auf die von reinen Gewinninteressen geleitete Atomdebatte und auf die höchst umstrittenen geplanten Atommülllager in Gorleben, Bure und Benken, wo es wieder einmal heißt, dass „nach übereinstimmender Ansicht der Experten langfristig alles absolut sicher sein wird“. Was stets fehlt, ist der Zusatz: „Alle Angaben ohne Gewähr“.

Es fehlt das Lernen aus gemachten Fehlern, es fehlt investigativer Journalismus, es fehlen gerechte Gerichtsverfahren und Urteile bei großen Umweltvergehen. Es fehlt vor allem die Verantwortung für zukünftige Generationen. Und der Öffentlichkeit und der Umweltbewegung fehlt es manchmal an der nötigen Empörung.

Autor:Axel Mayer/BUND-Geschäftsführer, Freiburg