Arrivederci Cavaliere
Sono triste. Wenn er denn tatsächlich geht. Er hat ja nie einen Hehl aus irgendwas gemacht. Er hat der Politik die Ehrlichkeit zurückgegeben. La verità! Auch unbequeme Wahrheiten über „paese di merda“. Zurück bleibt ein Haufen Zager, Zausel, Zauderer. Kurz vor seiner letzten Wahl hatte er seinen Landsleuten empfohlen: „Macht es wie ich und verdient mehr Geld!“ Aber er zeigte auch Herz: Gerade erst hat er der Amazonentruppe Gaddafis Asyl in seiner Villa an der Schwarzgeldküste angeboten.
Sono molto triste. Er hat den Italienern eine beeindruckende Sendervielfalt beschert: Berlusconi Uno, Berlusconi Due, Rete Silvio, Rai Berlusconi – und auf Rete Cavaliere werden rund um die Uhr Haarverpflanzungen live übertragen. Die Gesundheitspolitik: Viagra auf Krankenkasse und Gratis-Augenringmuskelmassagen für Männer ab 60. Herrlich. Und diese Ungeniertheit: Früher hiess es immer: „Toll trieben es die alten Römer“ – der Mailänder toppte das lässig und fand immer das passende Wort, z. B. in L’Aquila zu einer attraktiven Rettungsärztin: „Von Ihnen würde ich mich gerne wieder beleben lassen.“
Passend dazu an anderer Stelle: „Keiner meiner Minister ist so gut bestückt wie ich.“ Er hat das Leben stets aus der Vögelperspektive betrachtet, man könnte fast meinen, seine Mamma hätte ihn mit Lendenblütentee hochgepäppelt. Die anderen treiben es immer nur heimlich. Eine Frage nach seiner Treue hat er öffentlich so beantwortet: „Ich würde sagen, ich war oft treu!“
Gut, Italien hat ein paar Probleme. Immer mal wieder meldet sich der Ätna zu Wort – dafür haben sie Geld. Die Italiener stehen wie die Griechen am Abgrund, haben aber deutlich mehr Spaß dabei – dank Silvio, dem Paganini unter den Vergeigern.
Nicht wenige bei uns behaupten ja, Italien sei überschätzt. Der einzige Drei-Sterne-Koch in Rom heißt Heinz Beck und stammt aus Altötting. Der Italiener fährt längst Mercedes, Audi und BMW. Trinkt Tütencappuccino von Jacobs. Hechelt hinter der bella bionda aus Germania her. Liebt die Küche von Rimini, Wurschtl con krauti.
Ganze Karawanen von Wohnmobilen bewegen sich im September zum Oktoberfest über den Brenner nach München, Monaco di Baviera. Während wir Deutsche uns klaglos durch die dubiosesten toskanischen Rebsorten kämpfen, schlucken die Italiener hektoliterweise unsere Biervorräte weg. Bier macht schwerfällig. Das Leichte, Lockere, Mediterrane, das können die gar nicht mehr richtig. Die verlieren es … Hey, die Kastelruther Spatzen – das sind auch Italiener. Der Cavaliere darf guter Dinge sein. Bis es gegen ihn tatsächlich mal zu einem Prozess kommt, ist Dominique Strauss-Kahn längst Präsident von Frankreich und er selbst Karaoke-Animateur in Damaskus.
Autor: Thomas C. Breuer
Berlusconi wurde nicht abgewählt, sondern von den Börsenkursen zum Rücktritt gezwungen. Wäre es da nicht einfacher, die Regierungsgeschäfte direkt an die Banken/die Mafia zu übergeben?
Der „Dolce-Duce“ hat es in der Tat geschafft, das Land über anderthalb Jahrzehnte mit seinem mafiösen Privat-Faschismus zu unterjochen. Und die Italiener haben es nicht nur taten- und wehrlos hingenommen, sondern sind ihm immer weiter in Richtung Abgrund gefolgt.
Ohne die existenzbedrohliche Eurokrise und die daraus resultierende Druck- und Drohkulisse hätten wir wahrscheinlich noch bis zum viagrösen Exitus dieses Italo-Primaten warten müssen, denn freiwillig hätte er seine Pfründe niemals aufgegeben und das Feld geräumt.
An diesem Erbe – und an dieser Schande – wird Italien in der Tat noch lange und bitter zu schlucken haben. Da wird es noch etliche tausend Hektoliter Oktoberfestbier zum Nachspülen brauchen.
Schade, liebe Seemozer,
dass Euch zum Thema „Arrivederci Cavaliere“ nichts besseres einfällt, als auf den Yellow-Press-Zug aufzuspringen und über Berlusconis Haarverpflanzungen, Bunga-Bunga und Viagra zu schreiben.
Nun ja, ich schiebe das mal auf überreichlichen Genuss von „dubiosesten toskanischen Rebsorten“ an Orten, um die Italienkenner einen weiten Bogen machen.
Statt also Polemikem über Italiener, die Euch „hektoliterweise“ die Biervorräte wegtrinken, hätte ich in Seemoz lieber darüber gelesen, wie 17 Jahre Berlusconismus Parteien wie die Lega Nord und die Postfaschisten der Alleanza Nazionale salonfähig machten und welche gesellschaftlichen Auswirkungen damit verbunden waren und sind.
Wer sich für Berlusconis politisches Erbe mehr interessiert als für seine Frauengeschichten (oder Eure negativen Urlaubserlebnisse in Italien), sei nochmals auf Aram Mattiolis Buch „Viva Mussolini! Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis“ verwiesen, über das Pit Wuhrer hier im Dezember letzten Jahres geschrieben hat.
Und hier noch ein Interview mit Aram Mattioli in der Basler Zeitung zum Thema „Italien wird noch lange an Berlusconis Erbe zu beissen haben“.