Hochprozentiges für den Nikolaus
Nun ist’s wieder soweit: Allerlei Düfte umwabern den Weihnachtsmarkt auf der Konstanzer Marktstätte. Neben wenig Hochwertigem wird dort allerlei Krempel und Tand verkauft, der im Kaufhaus nebendran für die Hälfte des Preises zu haben ist. Aber egal, die Besucher mühen sich um vorweihnachtliche Stimmung und umlagern die Glühweinstände. Plötzlich aber, beim Anblick eines geschmolzenen Schokoladen-Osterhasen, der nun als halbranziger Nikolaus auf einen Käufer harrt, beamt mich eine Zeitreise ins Jahr 1968 zurück.
Ich war damals Mitglied einer katholischen Pfadfindergruppe und unser wackerer Fähnleinführer hatte beschlossen, mit unserer Hilfe der Allgemeinheit Gutes angedeihen zu lassen. Gesagt, getan – verkleidet als Nikolaus und Knecht Ruprecht sollten wir in die umliegenden Häuser geschickt werden, um diversen Familien in unserem Stadtviertel fröhliche Weihnachtsgrüße zu überbringen. Die Werbung für diese besondere Art der Heimsuchung war im Vorfeld gut gelaufen und wir hatten jede Menge Anmeldungen. Und zwar so viele, dass wir insgesamt zehn Paare zusammen stellen mussten.
Mein Freund Toni und ich bildeten eine dieser weihnachtlichen Seilschaften. Toni mutierte zum Knecht Ruprecht und ich, da ich bedeutend größer war, gab den bischöflichen Nikolaus. Vorab wurden die nötigen Textilien von unseren Müttern in Heimarbeit geschneidert und die aufzusagenden Texte in das goldene Nikolaus-Buch geklebt. So zogen wir los, in die finstere Nacht, begleitet von Ermahnungen, der allseits geschätzten Pfadfinderschaft nur ja keinen Schaden zuzufügen.
Damals war der Winter noch ein Winter, Schneegestöber und eisiger Wind pfiff uns gnadenlos um die Ohren. Aber Pfadfinder waren zu jener Zeit „hart wie Kruppstahl und zäh wie Leder“. Meinte zumindest unser Boss, der bisweilen leuchtenden Auges am Lagerfeuer gerne von seinen Zeiten bei der Hitlerjugend erzählte.
Bei der ersten Familie wurden wir freundlich und wohlwollend empfangen. Leicht verängstigte Kinder überstanden unsere Premiere ohne größeren Schaden und es herrschte allgemeine Zufriedenheit über unseren soliden Auftritt. Der Hausherr ließ einen Zwanziger springen und war voll des Lobes. Dann aber, kurz vor dem Verlassen der Wohnung, nahm das Schicksal seinen Lauf. Man bot uns Hochprozentiges an: „Damit der Nikolaus und sein Knecht net so frier’n müssen, trinken’s jetzt an guaten Schnaps“. Jeder Widerstand war zwecklos, aus dieser Nummer kamen wir nicht mehr raus. Also runter mit dem Enzian.
Mit brennenden Kehlen verließen wir den gemütlichen Ort und suchten die zweite Adresse auf. Auch hier verlief alles gut und ohne größere Zwischenfälle. Knecht Toni hob nur einmal drohend seine mächtige Rute und still war´s im Karton. Wieder wurde uns ein Schein überreicht und wir strebten dem Ausgang zu. „Wart´s, Bursch´n“, dröhnte der joviale Familienvater und streckte uns zwei randvoll gefüllte Schnapsgläser hin, „eine kleine Stärkung muass scho´ sei“.
Zwar hatten wir schon mal das ein oder andere Glas Gerstensaft durch unsere jugendlichen Kehlen laufen lassen, aber Schnaps hatten wir damals noch nicht im Programm. Der Umstand, dass wir uns mit leerem Magen auf den Weg gemacht hatten, verschärfte die Situation zusätzlich. Immerhin hatten wir noch sechs Besuche vor uns und wir hofften inständig, es würde ja wohl nicht überall Alkohol gereicht. War aber leider doch so.
Nach der fünften Vorstellung wurde es eng. Toni lief schwankend und mir war hundselend schlecht. Die fatale Mischung aus Enzian, Jägermeister, Cognac und Apfelkorn schwappte schon bis an die bischöfliche Halskrause und drohte sich jederzeit Bahn zu brechen. Unser nächster und auch letzter Auftritt ging dann in die Annalen der Münchner Pfadfinderschaft St. Georg ein und sorgte noch Jahre später für brüllendes Gelächter.
Wir standen deutlich schwankend vor dem reichlich irritierten Nachwuchs des ortsansässigen Sparkassenchefs. Ich lallte vernehmlich und Toni drohte jeden Moment aus seinen Stiefeln zu kippen. Das Spektakel drohte zur Farce zu werden und als ich laut und vernehmlich rülpste, beendete die Familie wohlweislich das Desaster. Kohle gab es keine, aber das war uns in diesem Moment völlig egal. Wir torkelten durch den Garten, schafften es gerade noch aus dem Gelände und übergaben uns dann gemeinsam auf der Garageneinfahrt des gepflegten Anwesens. Wir boten offensichtlich einen äußerst erbärmlichen Eindruck, standen schlotternd auf der Straße und hatten schlichtweg die Orientierung verloren.
Glücklicherweise hatte der Sparkassenchef die Situation richtig erkannt und telefonisch unsere Einsatzzentrale benachrichtigt. Wir wurden, mittlerweile war uns der Restalkohol völlig aus dem Gesicht gefallen, in einen VW-Bus geladen und nach Hause gebracht. Schemenhaft sehe ich heute noch das entsetzte Gesicht meiner Mutter. Vor ihr stand ein derangierter Nikolaus, dem der künstliche Bart nur mehr in Fetzen an der Backe hing. Fürwahr – Bischöfe sehen anders aus.
„Leider konnte unser Sohn die Schule nicht besuchen, weil er sich auf einer Weihnachtsfeier eine Lebensmittelvergiftung zugezogen hat“, so das freundliche Entschuldigungsschreiben meiner Eltern. Kurz darauf quittierten Toni und ich den Dienst bei den Pfadfindern. Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist.
H. Reile
Ich kann ja nur vermuten, aber diese Erfahrung könnte ein Mosaiksteinchen zu Deinem religionskritischen Engagement gewesen sein. Immerhin häufen sich auch andernorts die schlechten Bischöfe. Tolle Anekdote, glaube ich sofort, weil ich das einfach glauben will, und super lässig geschrieben.