OB-Wahl: Kuno Schelmle schlägt Jobsharing vor

Da sich die kenntnisreichen Hintergrundberichte unseres neuen Mitarbeiters großer Beliebtheit erfreuen und das seemoz-LeserInnenvolk nach mehr dürstet, haben wir ihn erneut gebeten, sich exklusiv für uns auf die Socken zu machen und die allgemeine Wahlkampfstimmung zu erkunden. Nach mehrmaligem Drängen willigte Kuno Schelmle ein, kroch aus seiner Gartenlaube, mischte sich unter die Leute und stellte seine Lauscher auf. Und er weiß Erstaunliches zu erzählen.

Langsam reicht es mit dem Zirkus. Kam mir doch neulich ein Werbeblatt ins Haus. Ich hatte nicht darum gebeten. Ich vermute mal, der Verteiler hat meinen Aufkleber „Keine Werbung“ für einen Jux gehalten. E1NS heißt das armselige Papier, das, erklärte mir meine Nachbarin, angeblich 365 Haushalte in Petershausen-West erreicht. Auf der Titelseite prangt ein Konterfei der seit zwei Monaten rund um die Uhr hartnäckig-grimmassierenden OB-Kandidatin Sabine Reiser mit der aufdringlich fetten Unterzeile: „Eine Frau für Konstanz“. Das bringt sicher Kohle satt. Auf Seite zwei das Bild eines ebenso grinsenden Thomas Martens, der für dieses Baumvernichtungsunternehmen wohl als Redakteur tätig ist. Interessant sein Text zum Titel. Frau Reiser, schreibt Martens bemüht, sei „immer schneller am Ball als alle anderen und strahlte Ruhe auf dem Platz aus“. In seinem Intro gibt Martens noch an, dass am 3.Juli, also heute, eine Podiumsdiskussion zum Thema Wirtschaft statt finde und stößt damit im Zusammenhang die klare Drohung aus: „Wir lassen es darauf ankommen und sind wieder als Unparteiische auf dem Spielfeld“. Hat der Mann seinen Presseausweis bei einer Lotterie gewonnen?

Die unabhängige CDU-OB-Bewerberin Frau Reiser wird sich über diese ebenso unabhängige Berichterstattung diebisch freuen und noch einen Extraschein drauf legen, falls sie tatsächlich am 15. Juli vorne liegen sollte. Ausgeschlossen ist das nicht, da sie im ersten Wahlgang die meisten Stimmen (26,8 Prozent) eingefahren hat. Unverdrossen lässt sie über ihr Werbematerial wissen, dass sie gerne eine Oberbürgermeisterin für „alle Konstanzerinnen und Konstanzer“ sein möchte. Wer den Drang verspürt, der Kandidatin sein Herz auszuschütten, kann das jederzeit tun. Frau Reiser, die für alle „ein offenes Ohr“ hat und entzückt „über die Dächer der Konstanzer Altstadt“ schaut, freut sich ganz sakrisch über jeden Anruf. Sehr gerne telefoniert sie zu früher Morgenstund`, denn da hat sie jede Menge Zeit, sich ausführlich den Sorgen und Nöten der BürgerInnen zu widmen. Hier ihre Handynummer, die sie mir bei einem Gespräch an ihrem Wahlkampfstand gegeben hat: 0151-51950627.

SPD-Kandidat Sven Zylla kam auf sehr magere 14,3 Prozent. Kaum ein anderer OB-Bewerber aus der sozialdemokratischen Abteilung hat in den vergangenen Jahrzehnten so schlecht abgeschnitten. Das hat sich schon vor der Wahl angedeutet, denn auch den Balltretern um Schweinsteiger & Co brachte Zylla kein Glück. Da lief er zum Halbfinale gegen Italien mit einem Teil seiner Wahlkampf-Combo ins Costa ein, am Handgelenk einen schwarz-rot-goldenen Pulswärmer. Vor ihm eine Horde patriotisch-beseelter Fans, die bei der Nationalhymne aufstanden, ihre rechte Hand auf die geschwollene Leber pressten und schräg mitgrölten.

Wer so falsch singt, kann nur verlieren. Zylla nahm es halbwegs gelassen, ließ sich von einem jungen Parteifreund noch mehrmals fotografieren, um im Zweifel nachweisen zu können, dass er ein großes Herz für den Sport habe, und machte sich leise vom Acker. Wohl viel lieber hätte er nach dem Schlusspfiff gezwitschert: „Feiere gerade mit Freunden den tollen Sieg gegen die Italiener. Wahnsinn, ich bin so glücklich, der Erfolg gibt mir neue Kraft im Wahlkampf“. Die kann er brauchen, sollte er tatsächlich zum zweiten Wahlgang nochmal antreten. Tipp meinerseits: Bei der nächsten Podiumsdiskussion den Konstanzer Gassenhauer vom „Vögele-Beck“ nochmal vortragen, aber diesmal bitte dialektsicher. SPD-Stadtrat Herbert Weber wäre dafür der richtige Ansprechpartner. Das bringt mindestens 30 Stimmen extra. (So schnell kann es gehen: Sven Zylla hat vor wenigen Stunden bekannt gegeben, nicht wieder antreten zu wollen. Wer profitiert davon?)

Das hatte sich Sabine Seeliger wohl ganz anders vorgestellt. Nur Platz drei und gerade mal 20,1 Prozent. Die „dunkelgrüne“ OB-Bewerberin, konstatierte Südkurier-Lokalchef Jörg-Peter Rau nicht ohne Häme, habe ihr Wahlziel weit verfehlt. Da liegt der Kollege nicht ganz falsch. Seeliger hatte sich weitaus mehr erhofft und grübelt fortan bei einer Flasche Brisanti, woran es denn gelegen habe. Darf ich weiter helfen und Klartext formulieren? Nach der erfolgreichen Landtagswahl ist der grüne Peak längst überschritten und plätschert in der Flachwasserzone. Vom Verfall der hiesigen FGL („Freie Grüne Liste“) ganz zu schweigen. Die größte Fraktion im Konstanzer Gemeinderat gibt seit der letzten Kommunalwahl neben der CDU das schlechteste Bild ab. FGL-er stimmten teilweise für ein KKH, einige befürworteten die Kündigung von Müller-Esch (die den Steuerzahler rund eine Million Euro gekostet hat), deckten die desolate Personalpolitik ihrer Kollegin Jacobs-Krahnen bei der vhs, oder betätigten sich beim Thema Fasnachtskonzerte wie Charlotte Dreßen und Roland Wallisch, den mein Skatpartner nur noch „Schwallisch“ nennt, als kulturpolitische Heckenschützen.

Das alles und noch viel mehr trägt nicht dazu bei, die grüne OB-Bewerberin tatkräftig zu unterstützen. Seeligers Ablehnung des Ausbaus der B 33 sorgt für zusätzliche Kritik bei Mainstream-Grünen, die mit ihrer Blechkarosse auf den Bodanrück fahren, dort Bioquark und Fleisch von glücklichen Rindern kaufen und bei der Rückfahrt auf der B 33 im Stau stehen. Das mögen die nicht. Fazit: Gelingt es Seeliger nicht, das grüne Klientel ganz auf ihre Seite zu ziehen, dann wird es wohl nichts mit dem gewünschten Wahlsieg. Zu Gute halten muss man ihr auf jeden Fall, dass sie bislang die einzige war, die konkrete Vorschläge gemacht hat und auch erklären konnte, wie diese zu finanzieren sind. Aber der Verstand, nicht nur in Konstanz, ist eben eine Schnecke.

Zufrieden sein kann CDU-Mann Uli Burchardt mit seinen 25,9 Prozent. Er liegt nur knapp hinter Reiser und darf sich weiterhin der Hoffnung hingeben, der neue Konstanzer OB zu werden. Der Radolfzeller Unternehmer mit ebenfalls grünem Touch beschwörte während des Wahlkampfs ständig eine „nachhaltige Politik“, ohne im Detail zu erklären, was er damit genau meint. Egal, dachten sich die Wähler, der Mann sieht passabel aus und ist vorzeigbar. Das reicht auch seinen Unterstützern. Nicht anders ist es zu verstehen, wenn einer aus diesem Kreis unlängst verlauten ließ: „Viel Ahnung hat er nicht, aber er wird als OB keinen allzu großen Schaden anrichten“. So kann man es auch sehen. In Zeiten allerhöchster Not ist man eben mit Wenigem zufrieden. Da hilft uns auch die Begeisterung des seemoz-Redakteurs Holger Reile nicht weiter, der immer vom feinen Schuhwerk Burchardts schwärmt. Das geht mir allmählich auf den Keks. Ein Fachmann aus dieser Branche hat mir nämlich zugetragen, dass seine teuren Timberlandlatschen nachhaltig in China vernäht wurden. Am Ende sogar Kinderarbeit?

Mykola Neumann, Jurist und parteiloser OB-Kandidat, ist ein freundlicher Zeitgenosse. Völlig chancenlos wirbt er seit Wochen für sich und seine Ziele, die kaum ein Jota von denen anderer abweichen. Bei der Südkurier-Diskussion hat Neumann zwei wunderbare Versprecher vorgetragen. Er genieße immer die herrliche Seesicht, wenn er „mit der U-Bahn nach Radolfzell“ fahre. Geht mir übrigens auch so, wenn ich mit dem U-Boot zwischen Wallhausen und Überlingen verkehre. Beim Thema Wirtschaft kam noch einer: „Sogar in Bonn“ sei man bisweilen ratlos bei der Bewältigung wirtschaftlicher Probleme. Trotzdem Applaus für diese weitreichende Erkenntnis. Genau ein Prozent der Stimmen konnte Neumann einfahren. 2000 Euro hat ihn bislang sein Wahlkampf gekostet. Günstiger hätte er es wohl kaum haben können, um seine Kanzlei bekannt zu machen. Ähnlich verhält es sich mit der Kandidatur seines Juristenkollegen Martin Luitle (1,9 Prozent). Fast täglich in der Zeitung und vertreten auf allen Podien – da lohnt sich der zeitliche Aufwand allemal.

Weniger für Pirat Benno Buchczyk. Der Singener antwortet auf Fragen, die ihn überfordern, gerne mit sympathischer Bescheidenheit: „Ich bin nicht Gott“. Soviel Ehrlichkeit kommt nicht gut im Wahlkampf. Nur 1,1 Prozent sind ärmlich für den Vertreter einer Partei, die zwar kaum etwas zu sagen hat, aber bundesweit bei rund 12 Prozent liegt. Pirat Benno ist bei seinen „Parteifreunden“ offensichtlich nicht beliebt. Besser abgeschnitten mit 4,6 Prozent hat Werbefachmann Henning Tratsch oder so ähnlich. Seine Vorschläge sind allerdings gewöhnungsbedürftig. An seinem Wahlkampfstand hat er einer interessierten Bürgerin erklärt, dass man im kulturellen Bereich viel Geld sparen könnte. Ich habe darauf hin den betreffenden Haushalt genauer angesehen. Resultat: Folgt man Tratschs Hirnwindungen, dann müsste das Rosgartenmuseum umgehend geschlossen werden. Der Kandidat empfiehlt sich für höhere Aufgaben in Bonn oder sonstwo.

Kurz vor dem ersten Urnengang machte ein anderer auf sich aufmerksam, den man schon längst vergessen hat. Klaus Frank, kürzlich aus dem Gemeinderat ausgeschieden und nach Sindelfingen verzogen, will es nochmal krachen lassen. Vergangenen Samstag schaltete er eine viertelseitige Anzeige im Südkurier, die schätzungsweise mehrere tausend Euronen verschlang. Darin ließ er wissen, dass man ihn natürlich zum OB wählen könne, obwohl er offiziell gar nicht kandidiere. Wem die KandidatInnen nicht passen, der solle ins leere Feld seinen Namen eintragen, fordert der selbstverliebte Klaus Frank die „lieben Konstanzerinnen und Konstanzer“ auf. Und weiter schreibt er: „Sollte ich wider Erwarten tatsächlich zum Oberbürgermeister gewählt werden, so kehre ich natürlich sofort mit meiner Familie zurück….“. Ob der Bursche einen gewaltigen Sprung in der Schüssel habe, fragte mein Nachbar beim gemeinsamen Sonntagsfrühstück. Sieht so aus, aber ich nehme mal an, die Frank´sche Heimsuchung wird uns allen erspart bleiben. Nicht nur seine Familie wird’s ihm danken.

Die restlichen „Glühwürmchen“, wie sie hier schon mal bezeichnet wurden, waren mit ihren Ergebnissen angeblich zufrieden. Sylvia Grossmann (0,5 Prozent) konnte ihren Bekanntheitsgrad steigern, was sicher dazu führen wird, dass ab sofort ihr Handel mit südamerikanischen Socken und mundgeblasenen Seifen gewaltig boomt. Thomas Linz (0,4 Prozent) will sich bis 2030 ausnahmslos seinem Langzeitstudium widmen, Andreas Kaltenbach (immerhin 2,2 Prozent) sucht jetzt schon die Narrenkappe für den 11.11. raus und Klaus Springer (0,1 Prozent) macht erstmal Urlaub in Polen. Roman Urban (0,5 Prozent) wird auf der Insel Reichenau zur Zeit medikamentös neu eingestellt und liebäugelt damit, auch zum zweiten Wahlgang anzutreten.

Einen ganz klaren Wahl-Gewinner gibt es: Den Südkurier. Weniger, was die dünnen Inhalte während der vergangenen Wochen angeht, mehr schon, wenn man grob hoch rechnet, was die Anzeigen der jeweiligen KandidatInnen in die Verlagskasse spülten. Da dürften mindestens 100 000 Euro geflossen sein. Jetzt zieht sich der dröge Wahlkrampf noch zwei weitere Wochen hin und die wundersame Geldvermehrung wird kein Ende nehmen. Südkurier-Geschäftsführer Reiner Wiesner darf zufrieden sein. Wäre doch spannend, zu erfahren, was da unter´m Strich zusammen kommt. Aber mit der Transparenz im eigenen Hause stand das Blatt schon immer auf Kriegsfuß.

Nun dauert es weitere zwei Wochen, bis wir endgültig wissen, wer Horst Frank beerbt. Gestern wurden kritische Stimmen laut, als bekannt wurde, dass die Wahlbeteiligung mit 42 Prozent doch etwas dürftig war. Ein lautes Genöle hub an und anwesende Journalisten gingen sogar zur Wählerbeschimpfung über. Ganz langsam, Freunde. Wen soll man denn da guten Gewissens wählen? Die KandidatInnen sind weitgehend austauschbar, fahl, ohne Kanten, Herzblut oder Witz, dazu profil- und humorlos, wohlmeinende Spießer aus der satten Mitte unserer ebenso spießigen Gesellschaft. Mit Wehmut erinnere ich mich an die grandiosen Auftritte von Helmut Palmer bei den OB-Wahlkämpfen in Singen und Konstanz in den 1980-er Jahren. Der „Remstalrebell“ trat im Mönchskostüm auf, las den Herrschenden die Leviten und brachte die überfüllten Säle zum Kochen. Da steppte der Bär.

Wenn ich mir die aktuellen OB-BewerberInnen so anschaue, drängt sich mir der Verdacht auf, diese KandidatInnen entstammen allesamt einer Klonwerkstatt, die irgendwo auf der Schwäbischen Alb dementsprechende Modelle zusammen schraubt und den Parteien zum Kauf anbietet. Sehr gut läuft der Politklon für das flache Land, der auf Knopfdruck nach Transparenz, Bürgerbeteiligung, Bürgernähe und nachhaltiger Politik kräht, ohne genau zu erklären, wie er seine Sprechblasen mit Inhalt füllt. Diese Ausgabe ist auch als handliches Tischmodell zu erwerben, schmückt jeden Haushalt und trägt bei geselligen Abenden zur Unterhaltung bei.

Vorschlag in Güte: Die momentan vier erstplatzierten Klons übernehmen den Job, jede(r) für zwei Jahre. Somit könnten wir uns den groben Unfug eines zweiten Wahlgangs schenken und die eingesparten Kosten einer sozialen Initiative spenden. Acht Jahre sind eh zu lang, das machen auch die neuen Hochleistungs-Batterien aus der Klon-Extraklasse nicht mit. Klappt auch das nicht, wird Konstanz ab sofort vom zuständigen Regierungspräsidium unter Zwangsverwaltung gestellt.

Wären Sie, liebe LeserInnen damit einverstanden? Teilen Sie mir doch bitte umgehend mit, wenn Sie noch weitere Ideen haben, die zur allgemeinen Bewusstseinserweiterung einen Beitrag leisten. Herzlichen Dank vorab.

Autor: Kuno Schelmle

Anmerkung der Redaktion: Nach Sven Zylla haben wohl auch Luithle, Kaltenbach, Tartsch, Grossmann  und Buchczyk eingesehen, dass ein zweiter Wahlgang für sie keinen Sinn hätte. Dem kann man nur zustimmen.