Sagenhafte Sagas isländischer Küche

Endlich kommen wieder einmal – nach Finanzkrise und Vulkanausbruch – er­freuliche Nachrichten aus Island. Die kleine Insel ist Gastland auf der Frank­furter Buchmesse; die größte Buchmesse der Welt findet vom 12. bis 16. Oktober statt. Islands Literatur ist hierzulande relativ bekannt – weniger weiß man über die Küche. Das einzige, was die Isländer über Monate im Bauch hatten, war Wut: Das Hellas des Nordens.

Allmählich ist aber Land in Sicht, wenngleich sich die Isländer über Jahre hinaus werden einschränken müssen – das fängt beim Speisezettel an, oft muss man sie als Sättigungsbei­lage mitessen. Im Klartext: Kleine Fische, in heißen Quellen gesotten, kleine Brötchen, Carpaggio von der Kirchenmaus. Dazu reicht man kleine Brötchen.

Aber die isländische Küche war über Jahrhunderte hinweg ohnehin nichts anderes als Mangelverwaltung: Karg, aber stark. Keiner kann das Grundprinzip so gut erklären wie Wikipedia: „Die wichtigste Zubereitungsart ist das Kochen.“ Das ist fein beobachtet. Wobei das natürlich auch umgekehrt gilt: „Die wichtigste Kochart ist die Zubereitung.“ Das Kochen von Vögeln z. B. ist eine isländische Spezialität, das Vögeln von Köchen eher nicht. Vor allem See­vögel wie Trottellumme, Tordalken und Gryllteisten kommen zum Einsatz, wobei erstere, also Trottellummen, lange Zeit nicht nur ornitologisch unterwegs waren, sondern auch im Bankenwesen, und bei letzterer, der Gryllteiste, der Grill im Preis leider nicht enthalten ist. Singvögel sind nicht mehr so beliebt, mal abgesehen von Björk, und selbst die nicht, anders gesagt: Die fetten Stare sind vorbei.

Die Isländer haben keine Kohle mehr, aber immerhin gibt es Geysire, in die man die Nudeln gleich so reinschmeißen kann. Moos – auf isländisch „Gestryppere“ – ist trotz internationaler Verflechtungen ausreichend vorhanden. Öfter begegnet man daher wie­der der famosen Moospastete auf den Speisekarten der Hauptstadt Islandabad, mit in Molke eingelegten Hammelhoden, súrsaôir hrútspungar, an Dauerampfer, auf Wunsch mit Krähenbeeren, wobei sich die eigentlich auch keiner mehr leisten kann. Obendrein sind die Portionen so klein, dass man sie getrost der Molekularküche zuordnen darf. Bzw. muss, resp. kann.

Die beliebte Fernsehköchin Sigurda Graubrotsdóttir kann leider bloß ausgefallene Gerichte präsentieren, also im wahrsten Sinne. Auf dem freien Markt findet man lediglich Walfleisch zwei­ter Wahl, alles andere endet im Export. Die beliebten Ponyburger kommen höchstens an Feiertagen auf den Tisch, Garnelen gar nicht. Immerhin gibt es seit zwei Jahrzehnten geothermal beheizte Gewächshäuser, so dass der Isländer nicht mehr auf den Export angewiesen ist. Über Jahrhunderte hinweg gab es weder Getreide noch Gemüse, weshalb das beliebteste Hobby der Isländerer Skorbut war.

In jenen dunklen Jahrhunderten wusste man sich behelfen mit Räuchern, Pökeln, Trocknen, Salzen, milchsauer einlegen und fermentieren, was auch schön die Situation nach dem Crash beschreibt: Man hat die Verantwortlichen ausgeräuchert, gepökelt und milch­sauer eingelegt. Vor allem das Räuchern hat in letzter Zeit eine Renaissance erlebt: Der Renner derzeit „Hamster bakken auf Schuppenflechte“, zubereitet im Original-Brodem des Vulkanes Ey-I-fuck you-all.

Hinzu kommt, dass wegen der globalen Erwärmung die Eisberge verschwinden, was sich negativ auf die Eisbergsalatgrundversorgung auswirkt. Somit wird auch Eisbärsalat knapp. Die See ist überfischt, die Harnsteinmakrele z. B. voll­ständig verschwunden. Aber Isländer haben sich immer zu helfen gewusst. Die Gerichte werden halt kleiner bis auf die, vor denen die Banker demnächst erscheinen müssen. Isländische Köche können Saucen mittlerweile so reduzieren, dass sie mit bloßem Auge kaum mehr zu sehen sind. Verbraucherminister Asgéir Smálhansson schwört die Isländerer auf traditionelle, weil preiswerte Gerichte ein: Sviô, das sind schwarz gesengte Schafsköpfe, oder slátur, in Schafs­magen eingelegte Innereien vom Schaf selbst. Immer öfter werden auch die Hammelbeine wieder lang gezogen. Und notfalls wachsen überall leckere Dünengräser. „Smakken Appetittùr!“

Autor: Thomas C. Breuer