Viel Geld für viel heiße Luft?

Wenn am Donnerstag der Haupt- und Finanzausschuss (HFA) tagt, reibt mensch sich bei der Lektüre der Sitzungsvorlagen die Augen. Während es keine Gelder fürs Schulschwimmen und anderen Kindersport gibt, scheinen anderswo die Haushaltsmittel nur so zu sprudeln, etwa wenn es darum geht, Unternehmensnetzwerke zu pampern. Was das für einen Sinn hat? Aus den Sitzungsunterlagen erfährt es die geneigte Bürgerschaft nicht, denn die liefern nur euphorischsten Marketing-Neusprech.

Natürlich macht es wenig Sinn, Sitzungsunterlagen für den Gemeinderat und seine Ausschüsse unter sprachlichen Gesichtspunkten zu studieren; aber manchmal ist eine Vorlage in einem derart grauenhaften Wolkenschieber-Denglisch verfasst, dass sich auch den geneigtesten LeserInnen die Fußnägel durch die Schuhsohlen bohren. Dies Denglisch ist aber nicht nur peinlich, sondern eine sprachliche Nebelwand, die es mit wachem Verstand zu durchdringen gilt.

Ein Beispiel gefällig?

In einem Dokument zur geplanten Reform der Stadtverwaltung, „Change 2030. Zukunft findet Stadt“ [sic, kein Witz!], das die Verwaltung sich nicht entblödet, auch noch „Heldenreise 2030“ zu nennen, steht folgendes: „Glücklicherweise ist OB Uli Burchardt einer, der den Wandel will – schließlich ist das Projekt aus seiner Initiative heraus entstanden – und zeigt auf, warum sich die Mühen und der Weg lohnen. Schwung bringen außerdem diejenigen Führungskräfte, die auch bei Gegenwind mit Überzeugung anpacken und Dinge umsetzen, dabei Spielräume lassen, Verantwortung übertragen und andere glänzen lassen können.“

Würg!

Der große Steuermann schreitet voran, lässt das Banner der guten Sache knattern, und die Massen folgen ihm, durchglüht von unverhohlener Begeisterung für die revolutionäre Tat.

„Sei schlau, mach‘ blau“ – das war einmal

Werktätige vergessen sogar die alte Proletarierweisheit „Sei schlau, mach‘ blau“, wenn sie anfeuernde Sätze lesen wie „die ersten sichtbaren Erfolge sind beflügelnd. Die Projektziele – von MitarbeiterInnen benannt – zu sehen war schon toll! Noch großartiger ist es zu erleben, dass sich etwas tut. Die Quick-Win-Projektteams treiben die ersten Sofortmaßnahmen-Projekte an und sorgen dafür, dass sie schnell und pragmatisch in die Umsetzung kommen. Dafür gebührt ihnen große Anerkennung und Dank, den sie sichtbar erfreut entgegennehmen.“

Wenn Dinge „in die Umsetzung kommen“ statt ganz klassisch „umgesetzt werden“ ist immer höchster Wolkenschieber-Alarm geboten. Aber wenn Menschen gar in „Quick-Win-Projektteams“ zusammengetrieben werden, sehnen sich alle Zeitgenossen mit etwas Lebenserfahrung unverzüglich nach dem guten alten Arbeitslager zurück, wo sie wenigstens nicht zusätzlich noch mit derart schönrednerischer Schleimscheißerei gedemütigt wurden.

Er ist nicht allein

So weit zum „Change 2030“, den der OB [„OB“ steht offenkundig für „Obama“, dies sei allen, die es noch nicht gemerkt haben, aus nichtöffentlicher Sitzung verraten] natürlich nicht allein stemmen muss. So viel Change und Dynamik, so viel speichelleckerischer Marketing-Neusprech findet nämlich anderswo ebenso begeisterte Anhänger: In der angeblich so freien Wirtschaft etwa, deren Führungskräfte schon seit langem auf derartiges Geblubber setzen, um Kunden und Arbeitnehmer besser auszunehmen.

Die Schnittmenge zwischen beiden, OB und Wirtschaft, ist deutlich erkennbar, etwa wenn die Verwaltung in ihrer „Heldenreise 2030“ fabuliert: „Andere sprechen […] von ‚erhöhter Arbeitgeberverbundenheit‘ – für uns trifft es die ‚Sonntag-Abend-Freude‘ noch besser.“ (Unter ArbeitnehmerInnen hingegen heißt derartiges Gewäsch „Lohnersatzhandlung“.)

Der Werktätige, der das Wochenende über mürrisch im Kreis seiner Lieben hocken, völlig vereinsamt seine Geliebten beschlafen oder widerwillig mit seinen Kumpels saufen muss, ehe er am Montag wieder seiner eigentlichen Leidenschaft, der Lohnarbeit im Kreise seiner wirklichen Familie – seiner Vorgesetzten und Ausbeuter nämlich, – nachgehen darf,  ist ein Bild, das sich gemeinhin nur in den Hirnen profitgeiler Arbeitgeber und Wirtschaftsführer findet. Der Werktätige selbst hingegen sieht am Sonntagabend vor seinem geistigen Auge eher einen Hammer in seiner einen und einen kräftigen Nagel in seiner anderen Hand … und befestigt dann mit wuchtigen Schlägen Investoren, Vorgesetzte, Teamleiter und andere Motivationsbeauftragte an guten alten Holzkreuzen, die an der Reichenaustraße bis ins Industriegebiet hinein aufgerichtet werden, bis kein einziger Platz mehr frei ist.

Und wehe, einer dieser Netzwerkler singt vom Kreuz herunter fußwippend „Always look on the bright side of life“, dann kann er noch richtig was erleben.

Largo? LAGO!

Da Uli Burchardt aber so ganz und gar von der dynamischen Denke unserer Manager und Investoren durchdrungen ist, sucht er fleißig deren Nähe, und dabei soll ihm der HFA morgen helfen.

Wieso braucht er dazu aber den HFA und später den Gemeinderat? Hüstel … weil es die Nähe dieser Menschen natürlich nicht umsonst gibt.

Auf der HFA-Tagesordnung stehen daher drei Tagesordnungspunkte zum „Handlungsprogramm Wirtschaft 2030: Stärkung der Netzwerke“, einem Lieblingsvorhaben des OBs, der sich gern im Funkeln des Geldes anderer Leute sonnt, wenn er seinen attraktiven Leib nicht gerade im Schatten des Bodenseeforums bräunt. Es geht dieses Mal um SolarLAGO (36.000 Euro pro Jahr für 2022-2024), BioLAGO (Investitionsbeihilfe im Jahr 2022 in Höhe von 62.125 Euro und über die Haushalte 2023-2024 [bis 30.06.2024] jeweils in Höhe von 87.500 Euro) und cyberLAGO (jährlich 70.000 € bis zum 30.06.2024). Als sei der Ausdruck „Netzwerk“ nicht schon genug der rückenerweichenden Selbstbefleckung, werden diese Wechselbälger in der Sitzungsvorlage auch noch schaumschlägerisch als „Clusterinitiativen“ bezeichnet.

Hier sollen also Jahr für Jahr von des OBs Freunden in der Wirtschaft einige Hunderttausend Euro verfrühstückt werden.

Gummistiefel und Atemschutz

Was um Himmelswillen aber sind all diese LAGOs? Mit Gummistiefeln und Atemschutz bewaffnet haben wir uns in die unterirdischen Kanal-Netzwerke vorgearbeitet und sind der Sache auf den schleimigen Grund gegangen wie einst Joseph Cotten und Orson Welles im „Dritten Mann“. Alle drei LAGOs sind eingetragene Vereine, e.V.s also, wie jeder Sport-, Kaninchenzüchter- und Schachverein auch. Ihr Wirken hingegen ist anders als das Wirken eines Briefmarkensammelvereins höchst luftiger Art: „Die Clusterinitiative BioLAGO e.V. konzentriert sich auf das Stärkefeld Life Sciences/Pharma im Handlungsprogramm Wirtschaft 2030 der Stadt Konstanz. Es vernetzt die Akteure von Wirtschaft und Wissenschaft und fördert damit besonders die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen mit ansonsten eingeschränkter eigener Entwicklungskapazität.“ Ähnliches tun die LAGOS für Solar und Cyber („Vernetzung & Stärkung der Konstanzer IT-Unternehmen und Ansprechpartner & Schnittstelle für andere Branchen“).

Bleiben wir bei der Gesundheitsbranche: „Mit den Investitionsbeihilfen der Stadt Konstanz will BioLAGO e.V. den Aufbau neuer, bedarfsorientierter Services und die Erarbeitung hochspezialisierter Expertisen ausbauen. In Form von drei Zukunftsbausteinen sollen immaterielle Vermögenswerte geschaffen werden, die den Erfolg der Clusterinitiative langfristig gewährleisten und einen direkten Mehrwert für die Gesundheitsbranche in der Region darstellen.“

Hören Sie den Marketing-Neusprech: „Mehrwert“, aber nicht wie in „Mehrwertsteuer“ sondern wie in „Dein Leben ist keinen Cent mehr wert, meines hingegen lässt sich mit Gold nicht aufwiegen“?

Das Todesröcheln der armen Reichen

Die Branchen, die hier gefördert werden, lassen seit Jahren keineswegs das Todesröcheln der Insolvenzverfahren, sondern die Fanfarenstöße hoher Profite hören. Und da muss die Stadt Konstanz ihnen mit öffentlichen Geldern unter die Arme greifen, damit diese Armen sich treffen, vernetzwerken und darüber debattieren können, wie sich aus Arbeitnehmern und öffentlichen Aufträgen noch mehr Kohle herauspressen lässt?

Ist das ein Witz?

Die wollen sich nicht allesamt freiwillig mit ihresgleichen und ihrem Gesinnungsgenossen, dem OB, treffen und ihren Kaffee bei dieser Netzwerkerei aus eigener Tasche zahlen? Aber der OB ist doch ihr Freund!?! Was ist das eigentlich für eine Freundschaft?!? Oder ist es gar echte Liebe – mit all ihren Widersprüchen??!

Und der Zukunft zugewandt …

Der OB hat viele Freunde, und daher ist er auch der Freund aller anderen KonstanzerInnen, die mit den LAGOs nichts zu tun haben, und ganz besonders liebt er die Kinder. Nicht so, wie Sie jetzt vielleicht denken, denn das tut er wirklich nicht, sondern so, wie es sich gehört.

In einer Vorlage für den Sport- und den Bildungsausschuss am 28.6. lobte seine Verwaltung denn auch die Pläne, das Schulschwimmen mit 140.220 Euro und den „SportGarten“ für Kinder (eine Art Spaß-Exerzierplatz für Kita-InsassInnen) mit ca. 80.000 Euro zu finanzieren, über den grünen Klee.

Leider, leider seien das zwar höchst löbliche und notwenige Projekte, aber leider, leider sei dafür leider kein Geld übrig, so dass sich diese Projekte die roten Radieschen von unten angucken müssten. „Aufgrund der erforderlichen Haushaltskonsolidierung besteht jedoch im Doppelhaushalt 2023/24 kein Spielraum, das Konzept zusätzlich mit Sondermitteln umzusetzen. Daher muss die Umsetzung des an sich wertvollen Konzepts auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Alternativ könnte eine Finanzierung über Einsparungen an anderer Stelle im Rahmen der Beratungen in der Haushaltsstrukturkommission diskutiert und dem Gemeinderat zur Entscheidung vorgelegt werden.“

Das erscheint zwar ziemlich kurz gedacht, weil ein Kind, das mangels Schwimmunterrichts beim Planschen in der Schmugglerbucht ersäuft, ja später kein Unternehmen mehr gründen kann, das Gewerbesteuer zahlt und mit oder gar für den OB netzwerkelt, aber meist sind das ja eh Kinder aus der Unterschicht, die sich keinen privaten Schwimmunterricht leisten kann, und die es dank unserer gesellschaftlichen Mechanismen ohnehin zu nichts bringen werden.

Liebe? Ja. Was? Aber wen?

Hören Sie die Nachtigallen trapsen? Die armen Kinder liebt der OB zwar, aber für sie hat er leider, leider, keinen Cent übrig. Für seine durch die Bank stinkreichen und zudem leidlich erwachsenen Freunde aus der Wirtschaft, die gern ähnliche Neusprech-Girlanden wie er in die Landschaft hängen, spendiert er aber nur zu gern einen Haufen Zaster aus öffentlichen Mitteln.

Es könnte aber – gegen den heftigsten Widerstand des OBs – vielleicht doch noch eine Chance für die Kinder geben: Das Schulschwimmen und den SportGarten – wenn an anderer Stelle gespart wird? Dann raten Sie mal, wo noch ordentlich was zu sparen wäre.

Der Witz an der Sache ist wohl, dass gewisse Kreise jederzeit gern bereit sind, einem nackten Mann im Obdachlosenheim in die Tasche zu greifen, dass sich ihre Hände aber nie in die Taschen eines Reichen verirren würden.

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Das höchst infantile Dokument zur „Heldenreise 2030“ können Sie, wenn Sie sich denn trauen, hier lesen. Darin wird übrigens auf der glücksverheißenden Seite 13 ein wichtiges Ziel beschrieben: „BürgerInnen fühlen sich ernstgenommen und erleben, dass sie im Fokus der Verwaltung stehen.“ Im alten China, wo Phönixe und Lehrer der allertiefsten Weisheiten sich in wahren Prachtalleen auf die Füße traten, wurde eine solche Behauptung noch als Fluch verstanden: „Möge das Auge der Obrigkeit stets auf Dir ruhen.“

Text: O. Pugliese, Bild: (c) Douglas Wolfsperger