Wehverschneeungen
Alle reden vom Wetter – ausnahmsweise auch seemoz. Denn Wetterfrösche und ihre Kriegsberichte von der Kaltfront haben Konjunktur: Überall liegen Flughäfen still – nur in Skandinavien nicht; Züge bleiben im Schnee stecken – nur in Sibirien und Alaska nicht; Schneestürme fegen über das Land – nur bei uns rieselt leise der Schnee; alle wollten weiße Weihnachten, aber doch bitte nicht so. Da macht sich unser Berufsspötter Thomas C. Breuer so seine Gedanken – und kommt bei solchen Kapriolen selbst ins Schleudern.
Vor wenigen Tagen sendete der NDR einen ‚Brennpunkt‘ zum Thema: Schneechaos. Der überraschte Schwarzwälder lernte, dass in ganz Schleswig-Holstein die Schule ausgefallen war – wegen 15 Zentimetern Schnee. Auch der WDR änderte sein Programm. Ein Reporter meldete, dass der Verkehr bei Remscheid derzeit reibungslos läuft. Nun sollte man ja meinen, dass ein ‚Brennpunkt‘ zur Schneeschmelze beiträgt. Da brennt aber nichts, zumindest nicht beim NDR.
Zu großer Form laufen jetzt die Wetterfrösche auf. Der Tag ist nicht mehr fern, da der nächste Temperatursturz so angekündigt wird: „Von den Machern von Hurrikan Katrina: Hier kommt Daisy, ein Tief, wie es tiefer nicht sein kann. Überzieht arglose Landstriche mit Schnee und Eis. Es gibt kein Entrinnen.“ Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo der nächste Tiefdruck her. Klirrende Kälte hat das Land im eisigen Griff, von einem Moment auf den anderen ist das Leben schockgefrostet. Unschuldige Menschen müssen ganze Wochen in ihren Autos verbringen, eingeschlossen von unerbittlichen Schneemassen, wie die Welt sie nie gesehen hat. Die Apococacalypse trägt eine Farbe: Weiß“
Spätestens seit dem 09er-Winter droht schon beim Wetterbericht die Gefahr, in ein richtiges Angstgestöber zu geraten, längst herrscht ein Klima des Schreckens. Dauernd soll ich als armer Zuschauer in Panik geraten wegen des Wetters, als hätte ich nicht schon so genug zu tun. Von wegen „Schneeflöckchen, Weißröckchen“ – plötzlich bietet der Winter ausnahmslos Schneestürme. Früher hieß das: „Winterwetter“. Sogar die sonst so besonnene ‚Süddeutsche Zeitung‘ hat zu Hamsterkäufen geraten, dabei mag ich die Viecher nicht mal.
Über allem liegt der metallische Geruch von Angst. Die Cryophobie ist übrigens die Angst vor Kälte, Eis und Frost. Das Wetter wird zum event stilisiert, radikalisiert, eine Art meteorologische Talibanisierung. Das haben wir natürlich von den Amerikanern übernommen, wo ein Schauer längst zum „rainstorm“ upgegradet wurde und der „rainstorm“ zum „hurricane“ oder wenigstens zum Tornado. Ein Schneetreiben ist ergo mindestens ein Blizzard. Weather goes to Hollywood, das Wetter geht nach Hollywood, das garantiert Einschaltquoten. Das Wetter wird nicht nur dramatisiert, sondern gleich melodramatisiert. Oder, da dieser Trend aus den USA kommt: marshmelodramatisiert.
‚Bild am Sonntag‘ wetterte: „Die weiße Angst – sind wir zu weich für den Winter?“ So gesehen ist jedes Tief definitiv ein Produktief, vor allem für Hersteller von Winterreifen und Allwetterkleidung. Ich merke das ja an mir: Ich besorge mir neuerdings stets frühzeitig Streumaterial, der Umwelt zuliebe natürlich Schüssler-Salze.
Und gleich nach der Eiszeit kommt der Frühling mit seinen hinterhältigen Pollenattacken. Danach läuft schon gleich „und es war Sommer“, die schlimmste Zeit im Leben. Sahara! Kongo! Dehydration! Drei Tage Sonnenschein am Stück verdichten sich spornstreichs zur Dürre! Die wird gelegentlich unterbrochen von heftigen Unwettern mit Hagelkörnern von der Größe des Saarlands. Jeder Schauer treibt einem Schauer den Rücken hinunter. Und erst der Herbst mit seinen niederträchtigen Orkanspenden. Und wieder der Winter: Überall ist Funtensee.
Schneeverwehungen? Wehverschneeungen! Der Himmel ist die Bedrohung – the sky. Sky Dumont – ist doch ein Alptraum. Der Begriff ‚Wetter‘ kommt übrigens aus dem Englischen: The wetter, the better. Wie heißen die vier schlimmsten Feinde der Deutschen Bahn? Frühling, Sommer, Herbst und Winter.
Drohende Sturmfluten machen jeden Deich zum Schlotterdeich. Wir schlottern nicht vor Kälte, sondern vor Angst. Bibbern kann gleichzeitig frösteln und ängstigen bedeuten. Der Schweizer sagt bei Angst: „I ha de Bibber.“ In Großbritannien setzt die BBC jetzt unfähige Wetterfrösche vor die Tür. So ein Quark, denn da ist es kalt. Sie sollten sie an die Franzosen verkaufen, die essen sie wenigstens auf, zum Donnerwetter.
Autor: Thomas C. Breuer