Wir sind die Mehrheit der Steuerhinterzieher
Wir sind die Mehrheit, die gefühlte zumindest. Wir wehren uns gegen die täglichen Verunglimpfungen in der deutschen Presse, die uns Betrug vorwirft. Betrug? Wir verpulvern unsere Steuergelder nur nicht für Kriege in Afrika und nicht für zweifelhaften Sexualunterricht an schwäbischen Schulen. Wir sparen unsere Steuern in der Schweiz.
Uli Hoeness und Alice Schwarzer und Herr Zumwinkel und „Bum-Bum-Becker“ und der F1-Vettel sind nur die Spitze des Eisbergs. Ich beispielsweise bin Handwerksmeister in Konstanz-Petershausen und mein Freund Kasper ist Kleinunternehmer in Singen und sein Kumpel immer noch Versicherungsagent in Friedrichshafen. Mein Anwalt übrigens, Sie wissen schon, der auf der Laube, ist auch im Club. Und wir alle haben ein Konto voller Schwarzgeld auf Schweizer Banken, dessen Zinserträge wir in Deutschland nicht versteuern. Na und? Das macht doch jeder. Wenn er denn nicht Arbeitnehmer ist, dem der Fiskus die Lohnsteuer schon bei der Gehaltsabrechnung weg pfändet.
Das mit der Schweiz ist auch richtig praktisch, praktischer zumindest als ein Nummernkonto in der Karibik. Wir können flott mal über die Grenze huschen, den Bankster unseres Vertrauens besuchen und ein paar Scheinchen mit nach Hause nehmen, von denen meine Frau nichts erfahren muss. Übrigens: Nur Rentnerpaare aus Niedersachsen lassen sich von Grenzern erwischen – wir nämlich wissen, welche Grenzübergänge wir benutzen müssen, haben wir schon als Kinder gelernt.
Gut, die Zahl der Selbstanzeigen im Konstanzer Finanzamt ist sprunghaft gestiegen. Weicheier gibt es eben überall und zu jeder Zeit. Ich kenne auch einige aus der Konstanzer Schickeria, die jetzt wie die armen Sünderlein – aber bitte bei aller Diskretion – beim Finanzamt anklopfen. Doch keine Angst, ich werde hier keine Namen nennen (an der Bar im „Weinteufele“ könnte das anders sein).
Aber wie jetzt über uns, die schweigende Mehrheit, hergezogen wird, ist schon ehrenrührig. Als wären wir Gesetzesbrecher, gerade wir, die ehrbaren deutschen Handwerker und gesetzestreuen Anwälte und allzeit hilfreichen Ärzte. Denken Sie nur daran, wenn Sie mal wieder einen Fachmann für die Klospülung brauchen oder Ihre Prostata schon wieder Ärger macht – wir gehören alle dazu.
Aber mit dem Stillschweigen ist nun Schluss. Wir protestieren jetzt via Internet – hat auch den Vorteil, dass unsere Anonymität gewahrt bleibt. Wenn jeder daher gelaufene Lehrer petitiert, können auch wir eine Petition vom Stapel lassen. Etwa so: Was Präsidenten und Minister können, können wir auch. Gleiches Recht für alle. Freiheit für deutsche Autofahrer, äh (das mit dem ADAC war jetzt nicht so gut) Steuerzahler, meine ich. Ich melde mich wieder, wenn wir die ersten 100 000 Unterstützer beisammen haben. Also morgen oder so
Autor: HP Gier
@Matthias: Und was heisst das nun? Dass Deutsche nicht mehr ins Ausland ziehen dürfen, weil sie daheim einen höheren Marktwert haben? Denn in der Schweiz z.B. dürfte Federers Marktwert mindestens gleich hoch sein, wie jener Vettels oder Schumis. Und Sennas Marktwert war in Brasilien mit Sicherheit höher als jener von Schumi. Einheimisches Gewächs halt. Abgesehen davon ist der Marktwert ja nicht wegen der Nationalität entstanden, sondern weil die Herren ihrem Gewerbe mit sehr viel Können und Erfolg nachgehen. Die wiederum haben nichts mit der Nationalität zu tun.
Aber was die Tatsache, aus einem bevölkerungsreichen Land zu stammen, mit der Steuerdiskussion zu tun hat, erschliesst sich mir nicht. Man kann alle drei der Steuerflucht verdächtigen, aber eben nicht der Steuerhinterziehung. Letztere ist strafbar, Erstere macht sich keiner Sympathie erfreuen, ist aber nicht strafbar.
Das Argument bei Schumi/Vettel/Becker stimmt nur bedingt, denn sie haben ihren Marktwert ihrer deutschen Nationalität zu verdanken. Ein Federer z.B. ist zweifelsohne sportlich ebenbürtig, hätte aber als Deutscher auch einen noch höheren Marktwert. Das ist zugegebenermaßen schwer zu beweisen, aber man sollte darüber mal nachdenken.
Natürlich ist Steuerhinterziehung ein Tatbestand, der konsequent verfolgt werden sollte. Schliesslich müssen diejenigen, die keine Steuern hinterziehen können, dann die Ausgaben des Staates allein berappen. Allerdings kann ich nur in dem Staat Steuern vorenthalten, in dem ich lebe und verdiene – denn es gilt das Wohnsitzprozip.
Dort wo ich wohne, habe ich Steuern zu bezahlen. Und das ist bei Vettel, Becker und Schumi eben nicht Deutschland, sondern die Schweiz. So lange diese also das Geld, das sie in Deutschland verdienen, auch in Deutschland versteuern (betrifft Honorare, Löhne etc.), den grossen Rest aber an ihren Wohnsitzen in der Schweiz, so lange sind sie keine Steuerhinterzieher. Sonst wären auch alle anderen Deutschen Steuerhinterzieher, die zum Arbeiten in die Schweiz gezogen sind oder nach Spanien, in die USA (oder wohin auch immer) ausgewandert sind. Die beschuldigt ja zurecht auch niemand.
Zumal man ja weder bei Schumi noch bei Vettel oder Becker behaupten kann, der deutsche Staat habe nun besonders viel in sie oder ihre Ausbildung investiert. Da haben deutsche Ärzte oder Ingenieure, die auswandern, zuvor mehr gekostet.