Zwei Fotos, zwei Welten – auf dem Stefansplatz
Der Feierabendmarkt auf dem Sankt-Stephans-Platz bietet nach Angaben der Veranstalter die einmalige Möglichkeit, „regionale Frische-produkte zur ‚blauen Stunde‘ einzukaufen. Neben einem kleinen Wochenmarktangebot versorgen auch zwei Caterer die Markt-besucherInnen zum Start ins Wochenende mit Kaffee- und Holzofenspezialitäten.“ Eine großartige Idee, aber sie hat auch ihre Schattenseiten, wie Fotos beweisen …
Nachdem es gestern Vorschläge für einen lebenswerteren Benediktinerplatz gab, wandte sich eine enragierte Leserin an uns: Der Benediktinerplatz sei nicht der einzige Platz mit Tücken in Konstanz. Nein, auch am Stephansplatz in Konstanz sei nur manches Gold, was da angeblich so glänze, und das mache sich besonders beim Feierabendmarkt bemerkbar.
[the_ad id=“79559″]
Aus Sicht der Veranstalter herrschen dort natürlich paradiesische Zustände: Das Pressefoto der Marketing & Tourismus Konstanz GmbH oben links zeigt ein hübsches, trotz seiner schweren Lauchlast auf den Wolken des ungetrübten Einkaufsglücks dahinschwebendes Pärchen. Natürlich trägt auf diesem Bild die Frau das Gemüse und der Mann die Verantwortung, so ist es bekanntlich in der unveränderlichen Natur des Menschen festgeschrieben, und deshalb sind die beiden ja auch so zauberhaft anzusehen und erkennbar glücklich verliebt (in wen auch immer).
Doch die Wirklichkeit beim Feierabendmarkt auf dem Sankt-Stephans-Platz ist zur blauen Stunde eine etwas ernüchterndere, und daran ist nicht nur der teils ziemlich unebene BürgerInnensteig schuld, in dessen Abgründen schon ganze Koteletts auf Nimmerwiedersehen verschwunden sein sollen. Nein, Ursache ist das Essensangebot, denn gerade zum Feierabend wird ja nicht nur eingekauft, sondern auch kräftig geplauscht und gespachtelt. Das geschieht natürlich am liebsten in der Gruppe, in der sich so herrlich boshaft über andere Menschen herziehen lässt, während einem Bratensaft und Mayonnaise vom Kinn tropfen und klebrige Finger machen.
Während beim Weinfest auf demselben Platz (übrigens einem ehemaligen Friedhof, manchmal hört man beim beherzten Auftreten auf den teils mürben Asphalt die altersschwachen Gebeine der müden Ahnen unter der Schuhsohle knacken) die Stehendpinkler neben den zahllosen Sitzreihen den Abscheu ihrer Mitmenschen auf sich ziehen, ist es auf dem Feierabendmarkt genau anders herum: Der Mangel an ausreichenden Sitzmöglichkeiten für die Sitzendesser ist es, der der menschlichen Geselligkeit teils heftigen Abbruch tut und so manchen ZeitgenossInnen das Loblied auf den edlen Koch im Halse steckenbleiben lässt wie einen im Rollmops übersehenen Zahnstocher.
Essen auf der Bordsteinkante, verweilen, wo der Köter von nebenan unter verächtlichem Schnauben beide Beine oder Schlimmeres hebt – erst das garantiert das erhabene Gefühl gepflegter Gastlichkeit, das auf dem oberen – auf den zweiten Blick doch ziemlich sterilen – Werbefoto von einfühlsameren BetrachterInnen so schmerzlich vermisst wird.
Text: O. Pugliese (Fotos: Oben MTK/Dagmar Schwelle. Unten: Franzis von Stechow)
Na ja, wenn schon dann BenediktinerInnenplatz*in. Und beim Stolpern aufpassen, daß nicht nur das Kotellet*in in die Ritzen fällt, sondern auch noch das Hirn in allen Diversitäten, weil die späte Stund‘ all zu blau ward. Aber das Leben auf der Bordsteinkante, gar als Schwalbe, ist es nicht eine große Freud‘ im System Konsum am See? Prostitution in Konstanz hat doch Tradition. Imperia. Klein Venedig. Klein Paris. Casino. Lago. Was also tun? Ein jeder trage des anderen Gemüse. Verantwortung wird eh überbewertet.
Es gab im linksrheinischen Konstanz zahlreiche Bestattungsplätze (um 1600 herum etwa 15). Auch die Stephanskirche war im Norden, Osten und vor allem Süden von Gräbern umgeben. Ein großes Stück des heutigen Stephansplatzes zur Kirche hin gehörte zu deren Kirchhof. Dort, wo heute Markt gehalten wird, liegen „die Toten in drei, an manchen Stellen sogar in vier Bestattungslagen übereinander“. Während einer Pestepidemie wurden 1439 die Gräber gar so knapp, „das man zu Crützlingen fünf oder sechs menschen in ain grub lait, desglichen och ze sant Stefan“.
1541 gab es dann so viele Pesttote, dass alle innerstädtischen Kirchhöfe geschlossen und die Beisetzungen am Schottenplatz außerhalb der Stadtmauern vorgenommen wurden. 1545 wurde der Kirchhof bei St. Stephan eingeebnet und die umgebende Mauer abgebrochen.
Allerdings begann man bald wieder mit innerstädtischen Beerdigungen, auch die Mauer um den Kirchhof von St. Stephan wurde 1561 auf den Fundamenten der alten Mauer errichtet, und am St. Nikolaustag desselben Jahres wurde der wiederhergestellte Kirchhof feierlich wiedereröffnet. Ein Grab dort kostete 10 Gulden „Bodenbruchgeld“, für eine Beerdigung in der Kirche selbst wurden 50 Gulden fällig.
1785 wurden dann aus hygienischen Gründen sämtliche innerstädtischen Kirchhöfe geschlossen, und linksrheinisch verblieb nur noch der Schottenfriedhof beim heutigen Humboldt, der ja außerhalb der Stadtmauern lag. Dies „war das Ende des ältesten Konstanzer Kirchhofes, der den Konstanzern über tausend Jahre als Begräbnisplatz gedient hatte“. 1811 wurde dann die einsturzgefährdete Mauer abgerissen und der leicht erhöhte Kirchhof bis auf das Niveau des umliegenden Platzes abgetragen, dabei aufgefundene Gebeine wurden vermutlich „nicht auf dem Schottenfriedhof, sondern im Inneren der Stephanskirche beigesetzt“. Alte Grabsteine, auf die niemand Anspruch erhob, wurden vom städtischen Werkhof zu neuen umgearbeitet und „günstig abgegeben“.
An den Kirchhof von St. Stephan angrenzend unterhielten auch die Franziskaner neben ihrem Kloster mit der Klosterkirche (in der sich heute der Bürgersaal befindet) einen Klostergarten sowie einen eigenen Kirchhof auf dem heutigen Stephansplatz – dieser Kirchhof befand sich unter dem Hecker-Balkon sowie rechts davon, wo der Untergrund noch heute besonders unegal ist. Gräber liegen hier „bis zu einer Tiefe von zwei Metern unter dem Platz, oft in drei Lagen übereinander“.
Quelle: Gernot Blechner, Wo die Konstanzer ihre Toten begruben. Von den römischen Straßengräbern zum Hauptfriedhof, in: Delphin-Kreis (Hrsg.), Das DelphinBuch 8. Konstanzer Beiträge zu Geschichte und Gegenwart, Konstanz 2006, S. 218-335.
Die fehlenden Sitzgelegenheiten für Nichtlaucher sind ja schon im Namen des Platzes angelegt (zur besseren Lesbarkeit hier mit einem Apostroph zuviel):
Sankt-Steh-Fun’s-Platz
Da muss man sich also nicht unbedingt wundern. Darf es aber trotzdem ruhig.
BürgerInnensteig? Ernsthaft? Oh Mann….
P.S.: Der ehemalige Friedhof befindet sich übrigens unter dem Schottenplatz (ugs. auch als Humboldt-Schulhof bezeichnet)! – Daher z.B. auch die gleichnamige Friedhofskapelle am Rande desselbigen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schottenkapelle_St._Jakob_(Konstanz)