Zwei Fotos, zwei Welten – auf dem Stefansplatz

Der Feierabendmarkt auf dem Sankt-Stephans-Platz bietet nach Angaben der Veranstalter die einmalige Möglichkeit, „regionale Frische-produkte zur ‚blauen Stunde‘ einzukaufen. Neben einem kleinen Wochenmarktangebot versorgen auch zwei Caterer die Markt-besucherInnen zum Start ins Wochenende mit Kaffee- und Holzofenspezialitäten.“ Eine großartige Idee, aber sie hat auch ihre Schattenseiten, wie Fotos beweisen …

Nachdem es gestern Vorschläge für einen lebenswerteren Benediktinerplatz gab, wandte sich eine enragierte Leserin an uns: Der Benediktinerplatz sei nicht der einzige Platz mit Tücken in Konstanz. Nein, auch am Stephansplatz in Konstanz sei nur manches Gold, was da angeblich so glänze, und das mache sich besonders beim Feierabendmarkt bemerkbar.

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Aus Sicht der Veranstalter herrschen dort natürlich paradiesische Zustände: Das Pressefoto der Marketing & Tourismus Konstanz GmbH oben links zeigt ein hübsches, trotz seiner schweren Lauchlast auf den Wolken des ungetrübten Einkaufsglücks dahinschwebendes Pärchen. Natürlich trägt auf diesem Bild die Frau das Gemüse und der Mann die Verantwortung, so ist es bekanntlich in der unveränderlichen Natur des Menschen festgeschrieben, und deshalb sind die beiden ja auch so zauberhaft anzusehen und erkennbar glücklich verliebt (in wen auch immer).

Doch die Wirklichkeit beim Feierabendmarkt auf dem Sankt-Stephans-Platz ist zur blauen Stunde eine etwas ernüchterndere, und daran ist nicht nur der teils ziemlich unebene BürgerInnensteig schuld, in dessen Abgründen schon ganze Koteletts auf Nimmerwiedersehen verschwunden sein sollen. Nein, Ursache ist das Essensangebot, denn gerade zum Feierabend wird ja nicht nur eingekauft, sondern auch kräftig geplauscht und gespachtelt. Das geschieht natürlich am liebsten in der Gruppe, in der sich so herrlich boshaft über andere Menschen herziehen lässt, während einem Bratensaft und Mayonnaise vom Kinn tropfen und klebrige Finger machen.

Während beim Weinfest auf demselben Platz (übrigens einem ehemaligen Friedhof, manchmal hört man beim beherzten Auftreten auf den teils mürben Asphalt die altersschwachen Gebeine der müden Ahnen unter der Schuhsohle knacken) die Stehendpinkler neben den zahllosen Sitzreihen den Abscheu ihrer Mitmenschen auf sich ziehen, ist es auf dem Feierabendmarkt genau anders herum: Der Mangel an ausreichenden Sitzmöglichkeiten für die Sitzendesser ist es, der der menschlichen Geselligkeit teils heftigen Abbruch tut und so manchen ZeitgenossInnen das Loblied auf den edlen Koch im Halse steckenbleiben lässt wie einen im Rollmops übersehenen Zahnstocher.

Essen auf der Bordsteinkante, verweilen, wo der Köter von nebenan unter verächtlichem Schnauben beide Beine oder Schlimmeres hebt – erst das garantiert das erhabene Gefühl gepflegter Gastlichkeit, das auf dem oberen – auf den zweiten Blick doch ziemlich sterilen – Werbefoto von einfühlsameren BetrachterInnen so schmerzlich vermisst wird.

Text: O. Pugliese (Fotos: Oben MTK/Dagmar Schwelle. Unten: Franzis von Stechow)