Boger
Boger, geboren in Zuffenhausen, als Kaufmann beruflich gescheitert, arbeitete ab 1933 im Dienst der Politischen Polizei des NS-Regimes in Friedrichshafen. Ab 1942 war er in Auschwitz stationiert, folterte und mordete und wurde „berühmt“ als „Teufel von Auschwitz“. Nach seiner Verurteilung im Frankfurter Auschwitz-Prozess saß er im Gefängnis für alte Männer in Singen. Gerhard Zahner hat dazu eine szenische Lesung verfasst
Gerhard Zahner führt mit Werner Wille eine fiktive Figur ein. Wille, ein Christenmensch, möchte am 24. Dezember 1976 in der Singener Strafanstalt einem Gefangenen „Frohe Weihnachten“ wünschen. Er trifft zufällig auf Wilhelm Boger. Ein Gespräch beginnt… .
In der szenischen Lesung erinnern die Schauspieler Otto Edelmann und Raphael Bachmann am morgigen Donnerstag, 20 Uhr, in der Konstanzer Zimmerbühne an den Nazi-Mörder. Zahner, Anwalt in Konstanz, befasste sich als Student mit der Rechtsprechung zum Nationalsozialismus. Durch Peter Weiss‘ Theaterstück „Die Ermittlung“, das den Frankfurter Auschwitz-Prozess thematisiert, sei er auf Boger gestoßen.
Dass er als gebürtiger Singener auf seinem Schulweg jeden Tag an dem Gefängnis, in dem Boger saß, vorbeilief, sei ihm erst später bewusst geworden. „Dem, den ich suchte, bin ich begegnet, und ich erkannte, dass Auschwitz ganz nah ist“, sagt Zahner. Und zeichnet das Gespräch zwischen Boger und einem Singener Bürger nach, der den Gefangenen an Heiligabend im Gefängnis besucht. Am Schluss lässt Zahner den Protagonisten über sich selbst reflektieren, indem er ihm Worte der Opfer in den Mund legt.
Am 24. Dezember 2011 wurde das Stück in der Kapelle auf dem Alten Friedhof in Singen uraufgeführt. Von dort aus sieht man das Gefängnis, in dem Boger von 1965 bis 1977 saß. An das Polizeigebäude in Friedrichshafen, wo Boger ab 1933 Menschen misshandelte und folterte, erinnert heute eine Tafel.
Im Entnazifizierungsverfahren gegen Boger im Jahr 1951 wurden auch Friedrichshafener Parteien aufgefordert, Stellung zu nehmen, weiß Zahner. Sie schwiegen, obwohl ihre Vertreter wussten, dass Boger einer der Schlimmsten war. Es ist zu vermuten, dass er starke Fürsprecher hatte. 1949 stellte die Ravensburger Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Boger ein. Er war wegen Körperverletzung, die er 1936 im Polizeidienst begangen haben soll, angeklagt.
Autor: hpk (mit Material von af der SZ)
Vorstellung: BOGER, Szenische Lesung von Gerhard Zahner; Otto Edelmann (Wilhelm Boger), Raphael Bachmann (Werner Wille); Donnerstag, 18. April`13 / 20:00 Uhr, (Türöffnung: 19:00 Uhr); ZIMMERBÜHNE in der NIEDERBURG, St. Johanngase 2 (beim Münsterplatz); Eintritt: 12.-/ 8.- € (Schüler & Studenten); Reservierung: angelika.homburger@googlemail.com oder T: 0049(0)7531/ 917263
Boger – schon wieder verpasst – es geht um Scham!
Diese Vorstellung der Konfrontation mit einem Folterer habe ich leider verpasst, aber ich wünsche mir von Herzen weitere Aufführungen des Lehrstücks deutscher Nachkriegs-Begegnung – Dietmar Dieckmann hat mir in Singen letztes Jahr nach der Verlegung von Stoplersteinen mal davon erzählt und meine Frau Petra Ebenhoch hat das Stück schon gesehen.
Auch ich ging arglos in Singen von 1962 bis 1975 zur Schule. Erst in die Waldeck-Schule, dann ins Hegau-Gymnasium (da, wo sich das Gefängnis befindet) und die letzten drei Jahre ins neue Friedrich Wöhler Gymnasium.
1965 wurde Boger im München zu lebenslänglich und 15 Jahren Haft verurteilt. (lebenslänglich heißt 15 Jahre).
Von 1964 bis 1965 schaute ich nach Unterrichtsende gelegentlich in die Werkräume der Grund/Haupt und Realschule, weil es vom Hausmeister organisierte Filmvorführungen gab. Was war da für einen Neujährigen zu sehen: Grandiose kriegsverherrlichende Filmrollen der Deutschen Wochenschau von 1941 bis 1944 – hart über dem Limit – hart wie Kruppstahl.
Mit 17 habe ich mich dann für die Kriegsdienstverweigerung entschieden – Schwächling, Drückeberger – später beim Eignungstest war ich für die Bundeswehr leider topfit – erst in der dritten Verhandlung 1982 1 Jahr vor dem Studium-Abschluss wurden endlich meine Gewissensgründe in Freiburg anerkannt. Hätte damals nicht ein guter Rechtanwalt der deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK)und evangelischer Theologe aus Villingen mir als Katholik (inzwischen ausgetreten – wegen der Kreuzzüge, der Inquisition, des Mordes an den indigenen Völkern, der Teufelsaustreibung, der Hexenverfolgung, der Bigotterie – Atheist und pazifistischer Humanist/Kommunist/Sozialist/Anarchist – ja bitte)weitergeholfen, wäre ich schon früh in den staatenlosen Untergrund abgetaucht.
Damals 1939 ging es in harten Erwägungen auch anders: Anton Schießl, der Mann meiner Patentante, Arbeiter bei Georg Fischer verstümmelte sich die rechte Hand, indem er sie in eine Walze drückte, um nicht in den Krieg ziehen zu müssen. Herbert Wagner, mein Patenonkel wechselte von Alu-Singen als Werkzeugmacher ins Schlachthaus – eher Tiere töten als Menschen.
Wofür ich mich schäme – ähnlich wie Siegmar Gabriel – dafür, dass der Vater bis 1945 ein Nazi war.
Aber mein Vater änderte sich nach Kriegsende, alles war nun möglich, meine Eltern setzten sich für Schul-Patenschaften und Entwicklungshilfe ein und als mein Vater starb, sprachen auf den Friedhof sowohl die Geschäftsleitung von Alu Singen wie auch die Gewerkschaftsfunktionäre ihre Würdigung aus.
Doch die Scham bleibt wegen der jäh und brutal beendeten Lebenslinien, die durch die Faschisten ausgelöscht wurden.
Wie hieß noch mal die manchmal strenge Klassenlehrerin in der Grundschule – Mengele ! – allerdings nur Zufall und eher kein Zufall der Panzer, das Maskottchen auf dem Schreibtisch des letzten Schulrektors.
Uns bleibt die Aufgabe, reinen Tisch zu machen mit den falschen Ehrenbürgern und weitere Verdunkelungen rechtzeitig aufzudecken, deswegen lohnt es sich, antifaschistische Aktionen zu unterstützen.