Könnten Palästinenser den israelischen Staat lieben?

Rolf Verleger ist ein streitbarer Jude in Deutschland. So hat er eine eigene, gleichwohl jüdische Sicht auf Geschichte und Politik des Staates Israel, die er in Konstanz vorstellen wird. Seine „Position zwischen den Fronten“ hat ihm nicht nur Freunde gemacht unter den Juden in Deutschland – eine Einladung im vorigen Jahr nach Konstanz zum Beispiel wurde „wegen Kommunikationsproblemen“ abgesagt. Vor seinem Vortrag in der Volkshochschule Konstanz/Singen sprach seemoz mit Professor Verleger

„Jüdisch zu sein und pro-israelisch zu sein, das gehört in den Augen vieler Menschen – Juden wie Nicht-Juden – zusammen“, schreiben Sie in der Einleitung Ihres Buches ‚Israels Irrweg‘. Für Sie allerdings scheint diese Gleichung nicht zu gelten.

Judentum ist eine Religion, Israel ist ein Staat. Staatsgründung kann und sollte kein religiöser Akt sein. Das sind verschiedene Welten. In der Tat war bis zur Ermordung und Vertreibung der europäischen Juden 1940 der Zionismus eine kleine Minderheit im Judentum – Zionismus war die Bewegung zur Gründung einer Heimstätte für Juden in Palästina. Und nur eine Minderheit in dieser Minderheit waren die sogenannten Revisionisten, die nicht nur eine Heimstätte, sondern einen jüdischen Staat gründen wollten…

…dennoch besteht die Gleichung zwischen Nationalismus und Religion…

…in neuerer Zeit wurde für viele Juden der revisionistische Zionismus zur Ersatzreligion. Gründe dafür sind die bittere historische Erfahrung, die daraus abgeleitete Selbststilisierung von uns Juden als die ewigen Opfer, Identifikationsschwierigkeiten mit traditionellen religiösen Inhalten und die pure Lust an der Macht. Bei diesen Leuten besteht die Gleichung zwischen Nationalismus und Religion sehr wohl.

Trifft das auch auf die Politik Deutschlands zu?

Diese Gleichsetzung von Judentum und Israel trifft sich leider mit den Bequemlichkeiten deutscher Politiker, die sich vormachen, man könne die Unmenschlichkeiten der Nazis gegen die Juden Europas dadurch begleichen, dass man einen jüdischen Staat in Asien unterstützt.

An anderer Stelle Ihres Buches fragen Sie: „Gibt es aktuell irgendeinen einsehbaren Grund für Palästinenser, den israelischen Staat nicht zu hassen?“ Auch diese Einschätzung dürfte Ihnen keine neuen Freunde beschert haben.

Sinn dieser Frage ist es, Gründe zu schaffen, dass Palästinenser den israelischen Staat lieben könnten: Das sollte ein Staat sein, der mit ihnen partnerschaftlich und respektvoll umgeht. Tatsächlich leugnet aber der israelische Staat die Vertreibung der Palästinenser von 1948 und ihre folgende Enteignung und verweigert ihnen aktuell – in verschiedenem Ausmaß von Gaza über die Westbank, Jerusalem und das israelische Kernland – Menschenrechte und volle Bürgerrechte.

Diese und andere Äußerungen führten dazu, dass Sie von jüdischen Funktionären in Deutschland geradezu abgestraft wurden. Die Kampagne gipfelte darin, dass die Jüdische Gemeinschaft Schleswig-Holstein Ihnen 2009 Ihr Mandat als Delegierter im Zentralrats-Direktorium entzog. Schmerzt solche Kaltstellung?

Ein Delegierter muss in wesentlichen Fragen die Meinung derjenigen vertreten, die ihn delegieren. Von daher ist meine Abwahl nicht zu beanstanden. Es ist eher anerkennenswert, dass mir meine Leute so lange die Stange gehalten haben. Ja, diese Kaltstellung schmerzt. Ich bin gerne auf die Direktoriumssitzungen gegangen, es waren überwiegend nette Leute, ich hatte auch etwas Vernünftiges zu sagen; es ist ein Verlust für mich und für das Direktorium.

Sie verbindet vieles mit unserer Region. Sie wurden 1951 in Ravensburg geboren, studierten in Konstanz.

Ich war deswegen auch noch oft in Konstanz und komme immer gerne hierher. Nicht nur für Diskussionsveranstaltungen.

Sie lehren jetzt in Lübeck. Fällt es einem als Psychologie-Professor leichter, sich in die emotionale Gemengelage zwischen Deutschen, Israelis und Palästinensern einzufinden?

In meinem Beruf beschäftige ich mich vor allem mit Dingen, die ein bisschen besser messbar sind als Schuldgefühle, nämlich mit dem Einfluss von Aufmerksamkeit und Handlungskontrolle auf EEG-Potentiale. Aber sicher hat man als Psychologe den generellen Anspruch, Handlungen zu erklären und die Motive aller Beteiligten zu verstehen. Und so wende ich dies auch auf das Israel-Palästina-Problem an. Darüber hinaus hatte mein Wunsch, Psychologie zu studieren, – ohne dass mir das damals bewusst war – natürlich viel damit zu tun, meine Lage als Kind von Überlebenden im Deutschland der Nachkriegszeit besser zu verstehen.

Die Diskussionsveranstaltung mit Prof. Dr. Verleger findet statt am Montag, 15.11., von 20 bis 21.30 Uhr, im Astoriasaal der Volkshochschule Konstanz, Katzgasse. Eintritt: Fünf Euro

Autor: Die Fragen stellte H.- P. Koch