Ohne Kultur? Da wird mir ja übel!

Die Kultur liegt in den letzten Todeszuckungen und wenn die dritte Welle über uns hinweg­gefegt ist, arbeiten wir alle bei Tönnies, Daimler und in der Pflege? Ganz so schlimm kommt es hoffentlich nicht. Denn auch wenn die Theater­vorhänge gerade unten sind, gibt es Lebens­zeichen. Zum Beispiel die Workshops der Digitalen Theatertage am See sein, die einmal die Perspektive umdrehen, oder die Hoffnungs­schimmer des Theaters am Gleis in Winterthur auf coronataugliche Auftrittsmöglichkeiten.

„Schon wieder Pandemie, wenn wir unser Festival haben?“, dachten sich die VeranstalterInnen der Theatertage am See – und zogen das Amateurtheaterfestival kurzerhand ins Internet um. Jetzt bekommen wir nunmehr ein reichhaltiges Programm an Online-Workshops geboten, ganze elf an der Zahl über den Zeitraum von Ende März bis in den Mai hinein. Dieses Angebot hebt sich ganz angenehm von den sonstigen kulturellen Veranstaltungen insbesondere aus der Theaterwelt ab. Hier gibt’s keine Streams und Mitschnitte, mitmachen ist angesagt!

Digitale Theatertage mit Online-Workshops

Die ReferentInnen sind gegebenenfalls von früheren Theatertagen bekannt; die Kurse richten sich allerdings nicht nur an Theaterfreaks, sondern explizit auch an alle Laien, Interessierten und diejenigen, die eine Webcam und Zoom anschalten können. Die Kurszeiten sind individuell, mal an den Nachmittagen, Abenden oder auch kompakt am Wochenende. Sie dauern neun bis 20 Stunden lang, meist aufgeteilt auf drei oder mehr Abschnitte. Die Kurskosten betragen einheitlich 50,- Euro, für Mitglieder des Fördervereins Theatertage gibt es eine Ermäßigung.

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Interessierte können nun also zwischen spontanem Geschichtenerfinden, Drehbuchkonzeptionen, Stückeschreiben, Tanz- und Theaterpädagogie hin und her mäandrieren, Haltung vor dem Laptop bewahren und herausfinden, wie denn das Publikum auch vor dem Bildschirm bei Laune zu halten ist. Viel ist geboten, und auch wenn das alles in digital irgendwie nicht halb so schön und inspirierend ist, ist es doch wichtig, in solchen Veranstaltungen auch eine Chance zu sehen: Sie können Personen einen Zugang zum Theater eröffnen, der ihnen auf anderen Wegen verwehrt geblieben wäre. Denn Vernetzen, Austauschen und Leutesehen war niemals so wichtig wie jetzt. Vor allem, wenn dadurch die Chance besteht, den Kulturbetrieb vor Ort einigermaßen über Wasser zu halten.

Die digitalen Kurse im Überblick:

1 Helga Kröplin Präsenz, Entspannung Theaterspaß online
2 Birgit Reibel Klare Haltung im schnellen Wechsel – ein/e ErzählerIn – viele Figuren
3 Nicole Erichsen Storytelling online (Improtheater)
4 Ann Dargies Leben aus gestorben – Figuren-Schauspielarbeit
5 Nadine Schlockermann Bewegtes (Fremd)-Sprachenlernen mit Theater
6 Pia André Haltung (Tanztheater)
7 Lorenz Hippe Perspektiv-Wechsel Wir schreiben ein Stück
8 Volker Schubert Die Sprache der Bilder
9 Lior Shneior Das „Tanzmischpult“ digital
10 Jürgen von Bülow Theater goes Film
11 Mina Tinaburri
Ulli Ernitz
Theatermaske – vom Bau zum Spiel

Alle Details und Anmeldeinfos finden Sie hier.

Kekse, Kaffee und Butterbretschle sind leider nicht inklusive.

Theater am Gleis – Offene Hoffnungsschimmer

Momentan hält der Lockdown sowohl die deutsche als auch die schweizerische Seite des Sees in seinem Bann. Doch wo auf der deutschen kulturelle Einöde herrscht, keimen im Thurgau noch immer Hoffnungsschimmer auf, dass der dortige Lockdown für die Kulturbranche nicht in den April verlängert wird. Das Theater am Gleis in Winterthur hat zumindest ein kleines bisschen Hoffnung, dass es im Frühjahr wieder so etwas wie einen Spielbetrieb gibt. Deswegen alles Folgende cum grano salis – wie momentan üblich. Entsprechend aktuelle Daten gibt’s auf der Homepage.

Nadja Zela – Greetings to Andromeda. Requiem

1. April – 20 Uhr

Mit Musik geht es los, aber nicht minder theatralisch: Nadja Zela samt Band und Orchester kommt mit ihrem Doppelalbum nach Winterthur. Ihr ‚Schweizer Requiem‘ zeugt von tiefsinniger Beschäftigung mit dem Tod und, viel wichtiger, wie man da wieder rauskommt. Gewählter musikalischer Modus ist gewissermaßen die Rockband auf Abwegen: mit Chören, Soundscapes, klassischen Instrumenten, analogen Synthesizern und einem Riesenhaufen musikalisch expressivem Ausdruck. Und für alle, die zum Konzert verhindert sind: nadjazela.bandcamp.com

Les Madames Papoullies – Improvisiert: Auf Buchfühlung

5. April – 20 Uhr

Alles, was zwischen zwei Buchdeckel passt, wird zum Teil des Impro-Abends mit Sara Faoro und Andrea Leutert, egal ob Krimi, Kinder- oder Kochbuch. Alles entsteht aus dem Moment und produziert so seinen ganz eigenen Charme.

Mia & De Lang Willi

7. April – 15 Uhr
10. April – 15 Uhr
11 April – 11 Uhr

Ein Familientheaterstück ab 5 Jahren. Mia wird alles auf dem goldenen digitalen Tablet serviert. Dabei ist sie gar keine Prinzessin. Dann wird sie aus ihrem digitalen Paradies verstossen und bekommt es mit dem langen Willi zu tun: die personifizierte Langeweile. Im Wechselbad der Launen gehen die Wogen hoch. Der Spaß beginnt. Wird sie es schaffen, Willi niederzuringen?

Gopf, Martha!

17. April – 11 Uhr

Mehr Kindertheater zur Bespaßung fernab von Handy, Tablet und Konsorten!

„Ich wett ich hett … ich wett ich wär …“, denkt sich der Bäcker. Schön wär’s, so unbeschwert in den Tag zu leben wie seine Hündin Martha. Doch Martha möchte lieber in der Backstube mit anpacken, als immer nur im Weg zu stehen.

„Wuff-Wuff“, beschwert sich Martha. „I letschter Zyt spinnsch!“, gibt der Bäcker zurück. Doch Martha will es auch mal probieren, „Brötli“ backen, Schürze und Hut anziehen, „Wuff!“ – „Chunnt nid i Frag!“, bellt der Bäcker zurück. … Und wenn doch? Könnte Martha Cremeschnitten füllen? Wie lange würde der Bäcker das Hundeleben genießen?

Neuhaus

17. April – 20 Uhr

Neuhaus ist das Solo-Loop-Projekt des Geigers Yves Neuhaus. Neuhaus gibt sich der Faszination der Live-Loops hin und frönt den ständigen Wiederholungen und Überlagerungen. Mit Violine, Kontrabass und Drummachines schichtet und kreiert Neuhaus weite Soundwelten. Diese ergänzt er mit Live-Perkussion und elektronischen Drumbeats. Neuhaus’ Musik ist das Gegenteil von schnelllebig. Sie taucht in tiefe Sphären ab, verfolgt Träume, tanzt schwelgend in Erinnerungen und kostet den Moment voll aus.

Grundrauschen – Still! Hören Sie das Nichts?

23. April – 20 Uhr
24. April – 20 Uhr
25. April – 19 Uhr

Wie nehmen wir Stille wahr? Dieses empfindliche Gebilde, das sich bei einem Annäherungsversuch im selben Moment verflüchtigt. Grundrauschen ist entleerte Aktion. Ist es deshalb das Andere der Stille? Eines ist jedenfalls klar: Grundrauschen und Stille sind allgegenwärtig und unüberhörbar. Zwei Antipoden, die sich nicht festhalten und fassen lassen. Oder etwa doch?

Marokko oder die Schule brennt

30. April – 20 Uhr

Ein ehemaliger Lehrer wandert nach Marokko aus und eine junge Frau, ebenfalls ehemalige Lehrerin, trampt per Autostopp Richtung Süden. Das Stück erzählt von der Entwicklung an den Schulen, die einem Lehrer das Berufsleben vergällte und der zeitgleich an der ihm fremden Kultur seiner Wahlheimat Marokko verzweifelt. Ihm gegenüber die Verkörperung der angepassten, erschöpften Lehrerin. Deren Figur stolpert in abenteuerliche Situationen, durchleuchtet dabei ihr berufliches Scheitern und erfindet sich bald brandneu, frech und froh.

Das Stück behandelt ein aktuelles Thema. Mehr und mehr Bürokratie macht Lehrpersonen, Eltern und SchülerInnen zu schaffen. Eine mangelhaft durchdachte und schlecht finanzierte Reform jagt die nächste. Demotivation bei den Kindern, Erschöpfung bei den Lehrpersonen sind die Folge davon.

MM/jh (Bild: Nik Spoerri)