Verleugnende Verdrängung – DDR-Rassismus und die Folgen

Im Rahmen des „Festival contre le racism“ hält Dr. Harry Waibel am 6. Juni um 19 Uhr an der Uni Konstanz einen Vortrag zu diesem Thema und stellt die Frage: Was hat der in der damaligen DDR herrschende Rassismus mit den heutigen Übergriffen – bis hin zu den NSU-Morden – zu tun? Als Einstimmung auf diesen Fragenkomplex schon mal vorab auf seemoz einige Thesen des Freiburger Historikers: Wie kommt es zum Beispiel, dass in den neuen Bundesländern dreimal mehr rassistische Übergriffe als in den alten Bundesländern stattfinden?

Seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten sehen wir uns mit einer rassistischen Revolte konfrontiert, deren Ziel es ist, elementare demokratische Werte, wie z. B. Menschen- und Bürgerrechte, zu vernichten. Die rassistischen Angriffe begannen in Deutschland nach der militärischen Niederlage des Nazismus und reichen mittlerweile bis zur terroristischen Gruppe „NSU“. In den neuen Bundesländern gibt es eine 2- bis 3-mal höhere Zahl rassistischer Angriffe, als in den westlichen Bundesländern. In Berlin weisen die östlichen Bezirke im Verhältnis zu den Bezirken im Westen eine ähnliche Schieflage auf.

Verharmlosung des Rassismus in der DDR

Diese Tatsachen benötigen eine Erklärung, die in der Historie der rassistischen Bewegungen der DDR und BRD zu finden sind. In Bezug auf die SBZ/DDR ist eine anhaltende Verharmlosung und Verleugnung des Rassismus durch ehemalige Funktionäre der SED bis heute zu konstatieren und sie geraten damit ebenfalls in den Fokus der historischen Aufklärung. In meiner neuen Veröffentlichung habe ich nahezu Tausend rassistische (und anti-semitische) Beispiele aufgeführt, die sich von Gräberschändungen jüdischer Friedhöfe, über die Ermordung des Mosambikaners Carlos Conceicao (18 Jahre) durch einen rassistischen Mob im September 1987 in Staßfurt (heute Sachsen-Anhalt) bis hin zur Ermordung eines Arbeiters (58 Jahre) im Juni 1990 in Erfurt erstrecken.

Der latente und manifeste Rassismus in der ost-deutschen Bevölkerung wurde während der Herrschaft der SED nahezu vollständig vor der Öffentlichkeit verheimlicht. Obligatorisch wurden rassistische Vorkommnisse in internen Schreiben der SED, der FDJ oder dem Ministerium der Staatssicherheit, als „Streng Geheim“, „Vertrauliche Verschlußsache“ deklariert und liefern so einen beredten Eindruck von der Funktionsweise politischer Zensur und Manipulation.

Pogromartige Angriffe auf Leib und Leben

Der Rassismus wurde bei der Behandlung der ausländischen ArbeiterInnen („Vertragsarbeiter“) sichtbar, deren Wohnen und Arbeiten durch die Gesetzgebung bestimmt war. In engen Räumen in speziellen Wohnheimen untergebracht, kontrolliert und gegängelt durch die Leitung der Wohnheime und durch offizielle Vertreter des Staates, wehrten sie sich immer wieder gegen die paternalistische Unterdrückung. Wenn es ihnen untersagt wurde, Besucher zu empfangen, auch und gerade wenn Männer Frauen oder Frauen Männer besuchten, dann bemerkten die ArbeiterInnen besonders schmerzhaft die Einengung ihrer Lebensumstände. In den Betrieben wurden sie zu den unbequemsten und schmutzigsten Arbeiten gezwungen, gegen die sie sich wieder und wieder mit Streiks zu wehren wussten. So kam es, um ein Beispiel zu nennen, zwischen 1975 und 1976 in acht Betrieben zu mehreren Arbeitsniederlegungen aus politischen und ökonomischen

Gründen von ca. 600 algerischen Arbeitern. Der latente Rassismus manifestierte sich in der Regel gegen diejenigen, die auf Grund äußerer Attribute als Nicht-Deutsche wahrgenommen werden konnten. Sie wurden mit brutaler Gewalt verfolgt und die Opfer dieser z. T. pogromartigen Angriffe auf Leib und Leben waren vor allem Algerier, Mosambikaner, Kubaner, Polen, Ungarn und Tschechoslowaken.

Zu den Opfern gehörten auch Soldaten und Offiziere der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte (GSSD), die zu bevorzugten Zielen der Rassisten wurden. Insgesamt wurden Ausländer aus ca. 30 Staaten Opfer rassistischer Gewalt und es gab mehrere Tote und ungezählte Verletzte. Damit man sich ein Bild machen kann von den rassistischen Verhältnissen, habe ich mit Erfurt eine Stadt ausgewählt, die als ein Beispiel für die rassistische Atmosphäre in Städten und Gemeinden der DDR dienen kann.

„Algerier in Ketten“

Dort wurden im August 1975 mehrere algerische Arbeiter von rassistischen Deutschen angegriffen und es gab Verletzte. Die pogromartigen Ausschreitungen, sie dauerten drei bis vier Tage, begannen mit dem Ruf „Schlagt die Algerier tot“ und danach wurden Algerier von einem rassistischen Mob durch die Stadt gehetzt. Am 12. August verhinderten 50 bis 60 deutsche Rassisten, dass Algerier zu ihrem Wohnheim kommen konnten. Daraufhin geleiteten Sicherheitskräfte die Algerier in das Gebäude der Post und führten sie durch den Hintereingang zum verdeckten Abtransport zum Wohnheim. Mittlerweile war die Anzahl der Angreifer vor der Hauptpost auf ca. 150 bis 300 Personen angewachsen und es wurde die „Herausgabe der Algerier“ gefordert. In Sprechchören und Zwischenrufen wurde gerufen: „totschlagen“, „aufhängen“, „Algerier in Ketten“ oder „schlagt die Bullen tot“. Als der rassistische Mob mit Gewalt in das Gebäude einzudringen versuchte, löste die Volkspolizei die spontane Versammlung mit Schlagstöcken und dem Einsatz von Hunden auf. Insgesamt wurden 19 Personen vorläufig festgenommen.

Am 13. August hatten sich wieder ca. 150 Personen versammelt und es kam zu „lautstarken und provozierenden Diskussionen“ mit Volkspolizisten. Zur gleichen Zeit wurde vor dem Wohnheim der Algerier, eine mit Stöcken bewaffnete Gruppe von Rassisten, von der Polizei aufgelöst und fünf „Rädelsführer und Rowdys“ wurden vorläufig festgenommen. Diesen Pogromen gingen, in den Monaten Juni und Juli 1975 in Gaststätten und bei Tanzveranstaltungen, mehrere tätliche Auseinandersetzungen zwischen Deutschen, Algeriern und Ungarn voraus. Die nationalistische und rassistische Hetze („Ihr schwarzen Schweine, haut ab nach Hause) gegen Algerier (Muslime) ging republikweit weiter und führte dann zum fast vollständigen Rückzug der algerischen Arbeiter aus der DDR durch die algerische Regierung.

Skandalöse Urteile

Seit diesen Ereignissen gab und gibt es bis in die Gegenwart hinein in der Stadt Erfurt und ihrer Umgebung immer wieder rassistische bzw. anti-semitische Angriffe, so, als am 25. Juni 1990 ein Arbeiter (58 Jahre) erschlagen wurde. Am 3. August 1992 wurde in Erfurt-Stotternheim ein polnischer Arbeiter (24 Jahre) von drei Skinheads getötet und am 27. Januar 2003 wurde ein Arbeitsloser (48 Jahre) von einem Rassisten (23 Jahre) getötet. Der Täter wurde vom Landgericht Erfurt im Jahr 2008 nur zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt und dabei wurde die politische Dimension der Tötung geleugnet.

Die Ursachen für diese Entwicklung sind komplex und dazu gehört die mangelnde Ent-Nazifizierung und der große Frieden mit alten Nazis, die als Funktionseliten beim Aufbau und der Verwaltung des Staates und der Gesellschaft der DDR dringend gebraucht wurden. Die SED befolgte den Beschluss der Komunistischen Internationale vom August 1935 (Dimitroff-Formel), wo der Faschismus gerade nicht als rassistisches Projekt, sondern als politisch-ökonomisches Terrorsystem betrachtet wurde, dass sich wesentlich gegen die deutsche bzw. internationale Arbeiterbewegung gerichtet hätte. So beschloss der 3. Parteitag der SED im Juli 1950, dass die Wurzeln für Faschismus und Rassismus „mit Stumpf und Stiel ausgerottet“ worden wären. Was für ein Irrtum.

Rassistische Ideologie nicht ausreichend wahrgenommen

Diese, der ökonomistischen Position innewohnende Verharmlosung und Verleugnung des Rassismus bzw. Anti-Semitismus setzte sich durch, und noch im Jahr 1986 verharmloste der Minister für Staatssicherheit (MfS), Erich Mielke, die neo-nazistischen Aktivitäten in der DDR als „Wichtigtuerei“.

Anfang des Jahres 1988 erklärte die Hauptabteilung I des MfS in einer Analyse solche Vorgänge damit, dass es sich hier nicht um „ideologische Positionen“, sondern um unkritisch wieder gegebene Tendenzen aus dem feindlichen Westen handeln würde. Am 11. August 1989 behauptete die staatliche Nachrichtenagentur ADN, Informationen über neo-nazistische Tendenzen in der DDR wären „purer Unsinn“. Den bis heute aktiven Juristen, Polizisten und Politikern (z. B. in Thüringen oder Sachsen) ist eine ähnliche Verharmlosung und Verleugnung anzumerken und das Versagen der Sicherheitskräfte bei der Aufklärung der Verbrechen der Terroristen der rassistischen Gruppe „NSU“ ist zu einem nicht unerheblichen Teil darauf zurückzuführen, dass die rassistische und nationalistische Ideologie, der U. Mundlos, U. Böhnhardt und B. Zschäpe verfallen sind, nicht ausreichend wahrgenommen werden konnte.

Autor: Harry Waibel