Wenn rote Großeltern erzählen
Seit April gibt es diesen Gesprächskreis, der Zeitzeugen aus der Region zu Wort kommen lässt. Und wer schon immer wissen wollte, wie Nachbarn das Kriegsende, die deutsche Wiederbewaffnung, die Kuba-Krise, den Mauerbau oder ihren -fall ganz persönlich erlebt haben, sollte sich diese Veranstaltungsreihe nicht entgehen lassen. Aktuell berichtet Ruth Weiler aus Singen und in Singen über die Geschichte des westdeutschen Friedenskomitees – und über sein Verbot
Die über 80jährige Ruth Weiler aus Singen, aktives SPD- und Gewerkschaftsmitglied seit frühester Jugend, gehörte der Freien Demokratischen Jugend seit 1948 als Sekretärin und Instrukteurin an. 1952 trat sie dem Friedenskomitee bei. Sie war in beiden Organisationen bis zu deren Verbot hauptamtlich tätig und kann vieles über die Anfänge der Friedensbewegung und der sozialistischen Jugend in der Bundesrepublik erzählen.
Die Veranstalter – Arbeiterwohlfahrt KV Konstanz e.V. (AWO) und Marxistischer Gesprächskreis Konstanz-Singen – freuen sich über viele wissbegierige, gerade junge Teilnehmer sowie über Zeitzeugen, die von eigenen Erlebnissen berichten können und wollen.
Die Gesprächsrunde findet statt am Samstag, 26. Oktober, um 15 Uhr im Arbeitslosenzentrum der Arbeiterwohlfahrt, Heinrich-Weber-Platz 2 in Singen.
Autor: PM
Ja, es war eine beeindruckende und Mut machende Veranstaltung. Dank gebührt Ruth Weiler die sehr gut vorbereitet ihren Vortrag gehalten hat. Eine erstklassige Leistung, auch in Anbetracht ihres Alters.
Eine mutige Frau erzählte von Rassismus und Friedensbemühungen.
Ruth Weiler, geboren am 2. August 1928, berichtete detailliert aus der Zeit des NS-Regimes, der Zeit der Befreiung durch die Allliierten und der frühen Zeit des jungen Europas bis Ende der 50iger Jahre.
Ein erster Denkanstoß war die Bemerkung einer Mitschülerin, als sie mit Freundinnen abends durch Singen unterwegs waren: Wenn jetzt ein Schwarzer ihr entgegen käme, würde sie ihn erschießen. Ruth widersprach sofort, denn sie war sozialdemokratisch humanistisch erzogen worden. Eine Freundin zog sie dann zur Seite, riet ihr zur Vorsicht mit solch mitfühlenden Äußerungen. Deren Nachbar, ein Zeuge Jehovas, war erst am Abend zuvor von der Gestapo verschleppt worden.
Ruth brach nach der Realschule das nationale Pflichtjahr in der Nähe Karlsruhes ab, weil sie dort bereits die Härten des Krieges wie Mangelwirtschaft und Bombardierungen miterleben musste. Wegen dieser Verweigerung, sich der Volksgemeinschaft unterzuordnen, bekam sie keine Lehrstelle. Sie kümmerte sich um den elterlichen Haushalt und die jüngeren Geschwister. Doch auch Singen wurde mehrfach in den letzten Kriegsjahren bombardiert, wegen der logistischen Bedeutung des Eisenbahnknotenpunktes. Am 2. Weihnachtsfeiertag 1944 gab es einen Fliegeralarm – die Familie Weiler wollte eigentlich eine Gaststätte nach der Eisenbahnunterführung besuchen – um einen sicheren Unterschlupf zu finden, rannten sie in einen Luftschutzkeller im Maggi Fabrikgelände. Dort untergekommen, hörte Ruth wie einige Jungen zu Mädchen in einem nebenstehenden Haus riefen, sich nach dem Angriff wieder zu sehen. Nach dem Bombardement hatte im Nachbarhaus kein Mädchen überlebt.
Das Kriegsende wurde von Ruth Weiler herbei gesehnt. Ihr Vater, geboren 1902, ein weißer Jahrgang, für den 1. Weltkrieg zu jung, von 1919 bis 1935 gab es keine Wehrpflicht, dann in den letzten Kriegsmonaten des 2. Weltkriegs noch zum Volkssturm beordert, konnte sich vor Kriegsende von der Truppe absetzen, bekam bei Freunden Versteck und Zivilkleidung und entkam so einer Gefangennahme als Deserteur.
Für Ruth hieß es nach Kriegsende – sie feierte die Befreiung vom kriegstreibenden Faschismus – sich mit anderen jungen Menschen in der freien demokratischen Jugend zusammenzuschließen und für ein friedliches neues Deutschland einzutreten. Sie konnte jetzt als gewerkschaftlich orientierte Funktionärin des Friedenskomitees ihr Organisationstalent entfalten.
Doch die demokratischen Freiheiten hatten enge Grenzen. Die FDJ – freie deutsche Jugend – die stärkste Jugendbewegung im Osten wie im Westen Deutschlands, war der Remilitarisierungspolitik der nazilastigen ersten Bundesregierung ein Dorn im Auge. Bestrebungen, SPD und KPD zu vereinen, wurden bereits vor 1948 von Seiten der Alliierten und Teilen der SPD abgelehnt. 1951 wurde die FDJ verboten, 1955 die Bundeswehr gegründet und 1956 die KPD verboten. (Ehemalige Nazirichter, auch Befürworter der Nürnberger Rassegesetze von 1935, waren am KPD Verbot beteiligt.)
Bis 1955 wehrten sich europaweit Friedensaktivisten gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands. 1954 nahm Ruth Weiler an einem Koordinierungstreffen von Pazifisten in Modena in Italien teil. Während des Treffens entstand aber eine harte Gangart gegen deutsche Teilnehmer, weil in der Umgebung von Modena die deutschen Faschisten italienische Partisanen ermordet hatten. So kam es unglücklicherweise dazu, dass Ruth als unliebsame Deutsche von dem Treffen ausgeschlossen wurde und sie unverzüglich als unerwünschte Person das Land zu verlassen hatte.
Ruth Weiler blieb ihrer Hoffnung auf eine friedliche Welt treu. 1958 konnte sie an einem internationalen Friedenskongress in Stockholm teilnehmen. Dort traf sie Aktivisten aus allen Kontinenten und ihr wurde bewusst, dass schwarze Menschen nicht nur englisch sprechen, sondern auch sehr viele französisch sprechende Afrikaner dabei waren. Ziel der Konferenz war es, einer atomaren Aufrüstung der Militärblöcke Einhalt zu gebieten. Dies Ziel und das Eintreten für Abrüstung gilt bis heute und wird Jahr für Jahr bei den Ostermärschen vorgetragen.
In ihrem zweistündigen Vortrag betonte die engagierte Pazifistin Ruth Weiler, dass für ihre Tätigkeit viele Feministinnen ein Vorbild waren, so Klara Zetkin, Rosa Luxemburg, Bertha von Suttner, die als erste Frau 1905 wegen ihrer beständigen Art, ein völkerverständiges Europa zu schaffen, den Friedensnobelpreis bekam.
Neben dem internationalen Anliegen der Friedenspolitik setzt Ruth Weiler seit 2009 in der Initiative Stolpersteine für Singen – gegen Vergessen und Intoleranz ihre unermüdliche, vorbehaltlose Energie ein.