Südkurier – eine lange Geschichte der Rationalisierung

Es rumort wieder einmal beim „Südkurier“. Arbeitsplätze sind in Gefahr, Einsparungen bei Redakteuren und Buchhaltern drohen. Und das nicht zum ersten Mal. Schon vor gut 20 Jahren berichteten Nebelhorn-Autoren über Einsparungen und Einschüchterungen bei der Heimatzeitung. Wie sich die Nachrichten gleichen – heute und 1989

Viel hat sich getan, seit Dieter von Holtzbrinck im November 1979 seinen millionenschweren Stiefel in die Tür zur Südkurier GmbH geschoben hat. Seither rumort es in dem Heimat-Zeitungsverlag; da wird gesundet, rationalisiert und umgesiedelt, werden Köpfe gerollt und Zöpfe geschnitten — alles im Dienste der Leserschaft, denn: Nur in einem gesunden Finanzkörper wohnt ein gesunder Geist.

Südkurier – ein Unternehmen im Aufbruch

Was hat sich nun eigentlich geändert bei der Heimatzeitung in diesen zweieinhalb Jahren seit dort die Leute des Stuttgarter Holtzbrinck-Konzerns das Sagen haben? Auf Fragen zur Entwicklung der Südkurier-Gruppe, zur Lage der Beschäftigten und den weiteren Plänen der Unternehmensleitung, wollten wir Antworten aus erster Hand. Doch unsere Versuche, mit Pierre Gerckens ins Gespräch zu kommen, Holtzbrincks kaufmännischer Geschäftsführer und damit die Nummer eins beim Südkurier, erwiesen sich als merkwürdig schwierig. Mal war der Finanz-Chef in einer Sitzung, dann wieder im Ausland oder einfach nicht „im Hause“; einmal gar scheiterte die Kontaktaufnahme an seiner Chefsekretärin, die Urlaub genommen hatte. Als wir den vielbeschäftigten Mann dann doch noch an die Strippe bekamen, zeigte er sich wortkarg: Bekannt sei ja, daß das Unternehmen „im Aufbruch ist“; Warum? Nun, „klar“ sei, daß jedes Produkt „ständig zu überprüfen und zu verbessern“ ist. „Wir müssen investieren, und tun das auch“, so tiefschürfend schloss Gerckens seine betriebswirtschaftlichen Ausführungen. In die Details wollte er nicht gehen, das müsse man erst mit der gesamten Geschäftsführung „abstimmen“, insbesondere weil das Nebelhorn „eher kritisch eingestellt“ sei. „Ich habe lange genug mit Redaktionen zu tun und weiß, wie man Artikel aufzieht“, ängstigte sich Gerckens. Der Horizont eines Zeitungs-Geschäftsführer im Dienste Holtzbrincks geht eben über die Medienküchen des bürgerlichen Journalismus nicht hinaus. Tags drauf dann die lapidare Absage: Mit einer Stellungnahme der Geschäftsleitung, ließ Gerckens sein Vorzimmer mitteilen, werde es nun „nichts mehr“.

 

Die Wahl zwischen Nicht-Lesen und Halb-Informiert-Sein ist längst keine Qual mehr, nur noch müde Gewohnheit

Für die zeitungslesende Einwohnerschaft des Landkreises Konstanz war die per Grundgesetz verordnete und von Politikern stets gepriesene Pluralität des Pressewesens eigentlich nie so recht ein Thema: Es hat sie seit einem halben Jahrhundert nicht gegeben. Man hat sich seit Jahrzehnten an den Umgang mit einer Monopolzeitung gewöhnt, die Wahl zwischen Nicht-Lesen und Halb-Informiert-Sein ist längst keine Qual mehr, nur noch müde Gewohnheit. Über die Probleme, die eine zunehmende Konzentrierung der Presse in den Händen immer weniger mit sich bringt, machten sich andere Gedanken, Zeitungsleserinnen in den Ballungsräumen zum Beispiel. Immerhin müssen sich mittlerweile die Bewohnerinnen von 34 der 65 Großstädte der BRD mit einer Tageszeitung begnügen. 1954 gab es 85 Landkreise mit nur einer Tageszeitung, 1976 waren es bereits 156. Anfang der 50er Jahre konnte man in der BRD noch 225 Vollredaktionen zählen, 1985 sind nur noch 130 übrig geblieben — und diese gestalteten den überregionalen Teil von 357 Zeitungen mit 896 Nebenausgaben. Wie in anderen Wirtschaftsbereichen wurde und wird im Printmedienbereich konzentriert, kapitalisiert, rationalisiert. Ende letzten Jahres zählte die Statistik gerade noch 120 Vollredaktionen. Konkurrenzdruck, „Mantel“-Übernahmen und Aufkäufe erledigten den Rest. Mit insgesamt 304 Verlagen, so die Monopolkommission in einer Sonderauswertung der Statistik zur Pressekonzentration 1986, sei „der niedrigste Stand seit Beginn der Pressestatistik im Jahre 1975“ erreicht. Dennoch verdoppelten sich zwischen 1975 und 85 die Umsätze der Branche.

Gewinne, Mitspracherechte und die Heimatzeitung auf Kurs bringen

Immer mehr Unternehmen, deren eigentliches Betätigungsfeld nicht im Tageszeitungsgewerbe liegt, versprechen sich Gewinne und sichern sich ein Mitspracherecht. Dazu gehört auch das Familienunternehmen Holtzbrinck. Unter den Verlagsunternehmen der BRD nimmt die Firma nach Bertelsmann, Springer, Bauer und Burda mit rund 1,5 Milliarden Mark Umsatz den fünften Platz ein. Holtzbrinck hatte sich vor allem auf dem Buch- und Fachzeitschriftenmarkt profiliert. Zur Gruppe: gehören unter anderem der Deutsche Bücherbund, der Deutsche Buchclub, wichtige Verlage wie S. Fischer, Kindler und Rowohlt. Unter ihrer Regie erscheinen Zeitschriften wie „Creditreform“, „Wirtschaftswoche“, „Atomwirtschaft – Atomtechnik“, „Wirtschaft und Wettbewerb“, sowie zahlreiche Informationsdienste. Holtzbrinck (auch Eigentümer der „Handelsblatt“-Gruppe) ist zu 80 Prozent an der Gesellschaft für Audiovision (AV Euromedia) beteiligt, die wiederum 15 Prozent von SAT1 besitzt. Das Unternehmen ist auch dick im Privatfunk-Geschäft — ein gut Teil der baden-württembergischen Lokalradios (vgl. auch Seite 16 in diesem Heft) hört auf die Stimme aus Stuttgart.

1986 übernahm Holtzbrinck die Anteilsmehrheit an der „Saarbrücker Zeitung“, einer Tageszeitung, die im Saarland eine Monopolstellung einnimmt. Zeitgleich ging auch die Übernahme der Südkurier GmbH über die Bühne. Nach langen Jahren des erbitterten Widerstandes ging die Firma Weyl in die Knie, nachdem auch das Bundesverfassungsgericht eine letzte Verfassungsbeschwerde der Südkurier-Eigner abgewiesen hatte (Holtzbrinck war 1979 mit 25 Prozent eingestiegen und hatte dabei die Option auf eine Gesellschaftsmehrheit zugesichert bekommen). Blatt-Gründer und Herausgeber Johannes Weyl übergab die Geschäfte an seine Tochter, ein halbes Jahr später verabschiedete sich Friedrich Breinlinger von der Geschäftsführung, und Franz Oexle, der vor allem wegen seiner Wolken- und Vaterlands-Leitartikel geschätzte Chefredakteur, nahm ebenfalls seinen Hut.

Noch im gleichen Jahr schickte Holtzbrinck Helmut Hauser nach Konstanz. Seit Janaur 1987 führt Pierre Gerckens, ebenfalls aus dem Hause Holtzbrinck, die Südkurier-Geschäfte. Beide traten an, um die Heimatzeitung, die lange Zeit an der Nicht-Liquidität entlangschlingerte, technisch und betriebswirtschaftlich wieder auf Kurs zu bringen.

Jeder an seinem Platz

Als „Zeugen eines guten Arbeitsgeistes“ führte die Geschäftsleitung des Südkurier im November 50 Mitarbeiterinnen des Verlags und 46 Druckerei-Beschäftige vor. Man drückte ihnen Urkunden, Geldgeschenke und Care-Pakete in die Hand, (Noch-)Herausgeberin Brigitte Weyl und Mit-Geschäftsführer Helmut Hauser lobten „langjährige Treue“ und „Leistung und Engagement“ der Geehrten. „Jeder an seinem Platz“, schwadronierte Weyl auf der Feier, an der auch Bürgermeister Wilhelm Hansen teilnahm, habe dazu beigetragen, daß „das große Räderwerk zum Wohl der Zeitung und ihrer Leser“ funktioniere. „Geborgenheit gefunden“ hätten die Betroffenen beim Südkurier, titelt ein PR-Blatt der Geschäftsleitung („SK-Nachrichten“) dazu. Aber ja: Wie war wohl der Angestellten zumute, die nach Meinung Hansens zur „Chefsekretärin geboren“ ist. Was dachte der Arbeiter, der das Monopolblatt seit 25 Jahren tagein- tagaus durch die Gegend fährt? Wie geborgen fühlte sich der Metteur, der seit einem Vierteljahrhundert „Nachtarbeit im Dienste der Druckerei“ leistet. „Wir sind gut gefahren mit diesem Unternehmen und wir haben Grund, für ein harmonisches Miteinander zu danken“, sagt einer der Geehrten. Der war Leiter der „Bezirksredaktion Schwarzwald“. Jeder an seinem Platz eben.

Einen ganz anderen Beitrag, um die Südkurier-Räder in Schwung zu halten, verlangte man im selben Monat von zwei ausländischen Arbeitern, die ebenfalls seit Jahren am Fischmarkt malochen: ein Pförtner und ein Hofarbeiter sollen im kommenden Jahr ihren Hut nehmen. Die beiden stehen dem Wohl der Zeitung im Weg. Sie sind nicht die einzigen.

… damit wir im Wettbewerb bestehen können

Von Harmonie kann bei der Südkurier GmbH weniger denn je die Rede sein, seit die Holtzbrinck-Gruppe vor rund zweieinhalb Jahren dort das Ruder in die Hand genommen hat. Aufräumen hieß offenbar die Parole, die die Stuttgarter Zentrale ihrem Beauftragten Pierre Gerckens mit auf den Weg gegeben hatte. Der neue kaufmännische Geschäftsführer griff von Anfang an rigide durch — „damit wir im Wettbewerb bestehen können“, so Gerckens in den SK-Nachrichten.

Holtzbrinck hat sich 1985 zwar in das regionale Zeitungsmonopol im Landkreis Konstanz eingekauft (es hält, so dieMonopolkommission 1986, im Abonnementsbereich einen Marktanteil vondurchschnittlich 97 Prozent), das auch im Dreieck Villingen-Schwenningen, Rheinfelden und Meßkirch eine führende Position einnimmt. Doch spürt auch dieses Monopol die härterwerdende Konkurrenz im Bereich der Print-Medien. Die Badische Zeitung, der Schwarzwälder Bote und die Südwest-Presse überschneiden in weiten Teilen das Verbreitungsgebiet des Südkurier; nur mit der Konkurrenz im Osten, der Schwäbischen Zeitung, hat man sich gütlich über die Grenzen geeinigt. Örtliche, zum Teil überregionale Anzeigen-Postillen sind in den letzten Jahren auch im Südwestdeutschen Raum wie Pilze aus dem Boden geschossen. Gratis-Blätter wie der Stadtanzeiger in Villingen-Schwenningen und das Singener Wochenblatt haben den finanziellen Spielraum auf dem Anzeigenmarkt zunehmend verengt. Wie empfindlich das den Südkurier getroffen hat, zeigt nicht zuletzt dessen Versuch, das Wochenblatt zu schlucken — ein Vorstoß, der selbst dem wenig zimperlichen Bundeskartellamt zu weit ging, weil es den „Substitutionswettbewerb“ zwischen der Konstanzer Tageszeitung und dem Singener Anzeigenblatt gefährdet sah.

Mehr Rendite – mit großzügiger finanzieller Unterstützung durch die KNer Verwaltung

Konsolidierung war also angesagt, wenn die Gruppe wie vorgesehen zum Profltbringer für die Stuttgarter werden sollte. Die Konzerngewaltigen setzen dabei auf Expansion hauptsächlich im Druckereibereich. Mit Hochdruck lässt die Geschäftsleitung derzeit im Konstanzer Industriegebiet an der Riedstraße arbeiten, um ein neues Druckzentrum fristgerecht in Betrieb nehmen zu können. Von dieser 60-Millionen-Investition — zustandegekommen übrigens mit großzügiger finanzieller Unterstützung der Konstanzer Verwaltung — verspricht sich die Südkurier-Führung eine kräftige Renditesteigerung. Ab dem Winter 1989/90 soll dort mit hochmodernen Druckmaschinen (darunter eine vollständig neue Rotation, auf der dann unter anderem auch der Südkurier gedruckt werden wird) produziert werden.

Um „den Weg freizumachen für das größte Vorhaben seit Bestehen der Zeitung“ (SK-Nachrichten), wurde in dem ehemaligen Familienunternehmen des Weyl-Clans gründlich ausgeputzt. Den Preis für die ehrgeizigen Holtzbrinck-Pläne zahlte — wersonst — die Belegschaft, vor allem Un- und Angelernte, vereinzelt aber auch Fachkräfte. Seit Holtzbrinck das Sagen hat, wurde massiv Personal abgebaut, die Zahl ungeschützter Arbeitsverhältnisse nahm zu.

Durch Personalstraffungen Inverstionsvorhaben auf ein gesichertes Fundament stellen

„Personalstraffungen“ nennt Gerckens diese Betriebspolitik und begründet sie damit, die Investitionsvorhaben müssten auf ein „gesichertes Fundament“ gestellt werden. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Ganze Abteilungen wurden wegrationalisiert, andere personell ausgedünnt. Insgesamt hat die Betriebsführung die Zahl der Beschäftigten in den letzten zwei Jahren um 83 gedrückt, allein im Bereich der Druckerei fielen 57 Stellen weg.

Als erstes erwischte es die Putzfrauen. Bis Anfang des Jahres bschäftigte das Unternehmen rund 15 Arbeiterinnen, die am Fischmarkt und in der Reichenauer Waldsiedlung die Gebäude in Schuss hielten. Seit letztem Frühjahr verrichten Beschäftigte der „Württembergischen Gebäudereinigung GmbH“ mit Sitz in Tübingen deren Tätigkeiten. Zu schlechteren Bedingungen, versteht sich, die Auslagerung soll sich schließlich lohnen. Hatten die Südkurier-Reinigungskräfte noch reguläre Arbeitsverträge, heuert die Tübinger Putzfirma Aushilfskräfte ohne Vertrag an. Die bekommen nicht nur deutlich weniger Geld (zehn Mark in der Stunde) als ihre ehemaligen Südkurier-Kolleginnen, sie müssen auch auf Urlaub verzichten, von Schicht-, Nacht- und Wochenendzulagen ist keine Rede. „Dienstleistungen, die wir nicht selbst erbringen müssen“, erläutert Gerckens diese Auslagerungspolitik, die auch andere Großfirmen zunehmend praktizieren, „werden an spezialisierte Unternehmen oder fremde Fachbetriebe vergeben“.

Wie den Beschäftigten in der „Hausreinigung“ erging es auch den meisten Arbeitern, die im Südkurier-Fuhrpark beschäftigt waren. Zwar ist der noch nicht vollständig liqudiert, einen großen Teil der Aufgaben nehmen heute jedoch inzwischen Fremdfirmen wie die „Media Trans“ und Charterfahrer auf eigene Rechnung wahr. Planziel der Unternehmensleitung: Auch dieser Teil des Unternehmens soll vollständig abgestoßen werden.

Schon im August hat die Geschäftsführung eine Malerwerkstatt aufgelöst und den Handwerker abgefunden, der bis dahin Fassaden und Büros in Schuss hielt. Auch die Schreinerei soll geschlossen werden. Dichtgemacht wurde außerdem die hauseigene Kantine; als Plus in der Bilanz kann der kaufmännische Geschäftsführer die eingesparten Löhne von zwei Beschäftigten buchen, abzüglich der Anschaffungskosten für zwei Automaten, die man der Belegschaft stattdessen hingestellt hat. Der Rotstift der neuen Südkurier-Bosse machte selbst vor der Rechtsabteilung nicht halt, die ebenfalls zugemacht wurde.

Den Personalabbau hat die Chefetage äußerst geschickt und ohne falsche Knausrigkeit durchgesetzt; sie verzichtete in allen Fällen auf Entlassungen, die nur Unruhe und Widerstand in der Belegschaft geschürt hätten. Zug um Zug besetzte die Geschäftsführung aus Altersgründen freiwerdende Stellen nicht mehr. Oder sie brachte die Betroffenen in Einzelgesprächen und mit Abfindungen dazu, „freiwillig“ das Handtuch zu werfen. So speiste sie zwei Arbeiterinnen im Reinigungsdienst, die kurz vor der Pensionierung standen und deren Aussichten auf einen neuen Job gleich Null waren, beispielsweise mit jeweils rund 20.000 Mark ab — was sind schon einige einmalig bezahlte, knapp bemessene Jahresgehälter gegen die Aussicht, drastisch Kosten senken zu können, wenn eine Fremdfirma rechtlose, billigste Arbeitskräfte einsetzt. Einzelne Fahrer köderte die Geschäftsführung gar mit der Aussicht auf eine Selbständigen-Existenz. Sie verhökerte ihnen die Transporter zu einem günstigen Preis; jetzt fahren die ehemalig Festangestellten auf eigene (soziale) Kosten und eigenes Risiko für das Unternehmen. Dieses wohldosiert verabreichte Zuckerbrot — jeder Betroffene wusste ja um die Peitsche — hat sich für die Chefetage gelohnt: Nicht nur, dass man um teure Sozialpläne herumkam; auch kollektive Gegenwehr hat sich bislang nicht entwickelt, obwohl die Konsequenzen dieser Geschäftspolitik nicht nur vielfach sozialen Abstieg für die „Gegangenen“, sondern auch Mehrbelastungen für die bedeutet, die bleiben konnten. Neue Stellen wurden nicht geschaffen, dagegen hat das Unternehmen die Zahl der ungeschützten Arbeitsverhältnisse ausgedehnt. Seit dem Frühjahr 1988 arbeiten mehr als ein Dutzend Jobber, meist Studierende, in der Expedition. Angeheuert, um Zeitungsstapel zu schnüren und zu schleppen, Müll einzusammeln, den Hof zu kehren oder auch mal an der Rotation auszuhelfen, arbeiten sie auf Abruf, nach dem System der „Kapazitätsorientierten variablen Arbeitszeit“ (Kapovaz). Da kommt es schon mal vor, dass einer abends um elf Uhr einen Anruf erhält, ob er am nächsten Morgen um neun antreten könne.

Natürlich kann man das ablehnen, wenn sich das aber häuft: auch um solche Jobs reissen sich heute viele… Arbeitsverträge, Sozialleistungen und Kündigungsfristen sind für solcherart Beschäftigte Fremdworte, niedrige Löhne (sie schwanken zwischen 12 und 14.50 Mark pro Stunde) und eine Begrenzung der Arbeitszeiten auf höchstens 40 Stunden im Monat bescheren ihnen magerste Lohntüten.

Notwendig ist eine weitere Verbesserung der Ertragslage – um im Wettbewerb bestehen zu können

Schon für das Jahr 1987 konnte Gerckens den Gesellschaftern erste Erfolge dieser Rationalisierungsmaßnahmen melden: Der Umsatz der Südkurier-Gruppe war im Vergleich zum Jahr davor um zwei Prozent auf insgesamt 118,4 Millionen Mark gestiegen. Ein Ergebnis, das nach der Überzeugung des Finanz-Geschäftsführers „gewiss mit den ersten Sparmaßnahmen zusammen(hing)“ und das für das Jahr 1988, in dem breitflächig rationalisiert wurde, ein noch größeres Plus bei Ertrag und Rendite erwarten lässt. Eine weitere Verbesserung der Ertragslage sei aber notwendig, droht der Manager in den SK-Nachrichten der Belegschaft, „damit wir im Wettbewerb bestehen können“.

Wo die Unternehmensleitung künftig noch streichen und straffen will, darüber wird gegenwärtig spekuliert. In Betriebsratskreisen wird vermutet, daß bald das „Ende der Fahnenstange“ erreicht ist. So gründlich haben die Holtzbrinck-Leute aufgeräumt, dass weiterer Stellenabbau die Arbeitsfähigkeit einzelner Abteilungen gefährden würde. Dazu kommt ein großes Problem, dem sich Holtzbrincks Renditejäger gegenübersehen: Rationalisierungsmaßnahmen gegen Facharbeiter, namentlich die Drucker, sind gegenwärtig nur schwer durchzusetzen. Deren Position ist nämlich — im Vergleich zur Lage von Un- und Angelernten — stark: in der nahen Schweiz können sie ihre Arbeitskraft zu weit günstigeren Konditionen als diesseits der Grenze verkaufen. Im Thurgau zahlen die Druckereikapitalisten Löhne, die, trotz Verzicht auf die gesundheitsschädliche Nachtarbeit, höher liegen als beim Südkurier.

Dieser Mangel an Fachkräften und die Erkenntnis, dass der gnadenlose Personalabbau teilweise die Funktionsfähigkeit gefährdet, führte dazu, dass die Geschäftsleitung mancherorts ihre Sparmaßnahmen einschränken musste. In der Montage beispielsweise reduzierte sie die Belegschaft anfangs um sieben Stellen. Erst nachdem die dort Beschäftigten auf die Barrikaden gingen, weil die anfallende Mehrarbeit nicht mehr zu bewältigen war, wurden zwei Stellen neu besetzt.

Weitere Maßnahmen im „Gesamtkomplex Rationalisierung und Modernisierung“

Als sicher gilt jedoch, daß die Holtzbrinck-Kapitalisten nach dem Umzug in die neue Druckerei die Beschäftigtenzahl unter dem Strich nocheinmal senken können. Zwar will das Unternehmen dann — technisch bedingt — mehr Drucker beschäftigen, dafür aber mehr als 20 Arbeiterinnen „überflüssig“ machen. Die legen bisher Beilagen und Werbeprospekte in die Zeitung ein. Künftig erledigt das die Technik, für deren Bedienung lediglich einige Maschinenarbeiterinnen erforderlich sein werden. Weitere Maßnahmen im „Gesamtkomplex Rationalisierung und Modernisierung“ (SK-Nachrichten) sind schon angerollt, andere werden vorbereitet. So lässt das Unternehmen gegenwärtig die EDV-Systeme vereinheitlichen mit dem Ziel, Daten am Entstehungsort computergerecht zu erfassen. Und für den Druckereibereich brütet man am Fischmarkt darüber, wie ein „Computer to plate“-Verfahren eingeführt werden kann. Damit könnten die bisher nötigen Zwischenschritte (Montage, Repro) ersatzlos entfallen, Layouter und Reprtechniker wegrationalisiert werden.

Qualität ist, was die Verkaufszahlen nach oben schraubt – für Jeden etwas und über Alles nichts

Die Südkurier GmbH verkauft Neuigkeiten und Meinungen. Deshalb erstrecken sich Holtzbrincks Konsolidierungsmaßnahmen auch auf diejenigen, die sie machen: die RedakteurInnen. Auch eine so gute Zeitung wie der Südkurier „müsse danach streben, noch lesbarer, ansprechender, attraktiver und interessanter zu werden“ — denn die Auflage soll gesteigert, der LeserInnenkreis ausgeweitet werden. Ohne gebotene Eile allerdings, man wolle auch für die „angestammten Leser notwendig bleiben“ (SK-Nachrichten November 1988). Für jeden etwas, über alles nichts und darüber ein Hauch von Franz Oexle? Qualität jedenfalls scheint für Gerckens zu sein, was die Verkaufszahlen nach oben schraubt. Denn genauere Informationen über Hintergründe und Zusammenhänge können damit kaum gemeint sein. Zwar ist die Berichterstattung unter dem neuen Chef Gerd Appenzeller etwas liberaler geworden, auch die RedakteurInnen erfreuen sich eines offeneren Umgangstons und einer zunehmenden Diskussionsfreiheit in den Konferenzen — für eine wirkliche Qualitätssteigerung bedürfte es aber einer entsprechenden personellen Ausstattung.

„Als wir noch rund 95 waren (Außen-und InnenredakteurInnen zusammengerechnet, d. V.) „, so ein Konstanzer Redakteur, „waren wir schon zu wenige“. Ihm und anderen muss das im Rückblick als die gute alte Zeit vorkommen. Heute sind vielleicht noch 85 RedakteurInnen mit Schreiben, Redigieren und Kürzen beschäftigt — und das bei 14 Lokalausgaben. Der Stamm von 32 RedakteurInnen blieb erhalten; die Universitätsstadt beschert dem Verlag mit einer ständig steigenden Anzahl von Studierenden ein schier unerschöpfliches Potential an freien MitarbeiterInnen. Eine billige Art der Textbeschaffung, wenn man bedenkt, daß freie JournalistInnen laut einer Umfrage der Deutschen Journalisten-Union durchschnittlich gerade ein Viertel von dem verdienen, was festangestellte RedakteurInnen nach Hause tragen (beim Südkurier, der zuweilen ein Zeilengeld von sage und schreibe 20 Pfennig bezahlt, kommt die Geschäftsleitung im Schnitt wahrscheinlich noch billiger davon).

Unrentable Geschäftsstellen werden geschlossen

Da in der Konstanzer „Mantel“-Redaktion schlecht gespart werden konnte, holzte man in den Außenredaktionen. Unrentable Geschäftsstellen wurden geschlossen — Lörrach, Lindau, Sigmaringen — und RedakteurInnen in andere benachbarte Redaktionen integriert. So sitzt der für Sigmaringen zuständige Redakteur nun in Meßkirch, der Lörracher Lokalredakteur in Bad Säckingen, und Lindau wird nurmehr von einem freien Mitarbeiter betreut. Villingen und Bad Säckingen machte die Unternehmensleitung zu Leitredaktionen für umliegende Ortschaften. Dort werden nun auch die Urlaubs- und Vertretungspläne ausgearbeitet, die zuvor zentral in Konstanz erstellt wurden.

Keinerlei Veränderungen seit zwei Jahren will aber der Leitredakteur in Bad Säckingen bemerkt haben, und was seinen Vorgänger beträfe, erläuterte er ungefragt, so komme es doch immer wieder vor, daß ein Kollege sich nach einer neuen Arbeit umsehe. Personell habe sich nichts verändert, Redakteure seien in ausreichender Zahl vorhanden, mehr freie Mitarbeiter würden auch nicht eingesetzt werden als früher. Keine zusätzliche Belastung durch Urlaubsvertretungen? „Nein, es war schon immer so, dass sich Kollegen untereinander vertreten haben.“ Und ZbV-Redakteure („Redakteur zur besonderen Verwendung“, die einspringen, wo es eng wird, d.V.)? „Wir haben einen, und wenn es nötig ist, werden andere eingesetzt, die dann als Redakteure bezahlt werden!“ Keine Veränderungen also, keine Probleme? Er blieb dabei: keine!

Anders tönt es aus dem mittleren Schwarzwald. „Ja, wir waren früher mehr, die personelle Besetzung ist nicht optimal.“ Und konkret verändert habe sich der Arbeitsanfall: „Vorher hatten wir ein ausgeglicheneres Arbeitsprogramm. Jetzt arbeiten wir mal 12 Stunden, dann wieder 12 und dann wieder nur 6 Stunden, die Arbeitsspitzen sind kräftiger geworden.“ Und wenn sich Kollegen von verschiedenen Lokalredaktionen vertreten müssen, dann ergäben sich unweigerlich Reibungsverluste, „denn man kennt die örtlichen Zusammenhänge nicht“.

Kleine Lokalredaktionen sollen nach Südkurier-Plan in der Regel mit zwei RedakteurInnen ausgestattet sein. Urlaubs- oder Krankheitszeiten halbieren die Redaktion, beides zusammen lässt sie verwaisen. Die Lücken können in ländlichen Gebieten auch nicht so ohne weiteres mit freien MitarbeiterInnen gefüllt werden. „Wir möchten schon, aber es ist ein Problem, entsprechend gute zu finden.“ Wie aber soll bei dieser Personalsituation die Qualität verbessert werden? „Tja“, war die lapidare Antwort, „da geht die Schere auseinander“.

Holtzbrinck macht beim großen Aufräumen auch vor altehrwürdigen Institutionen der Südkurier-Familie nicht halt. Die Stuttgarter wollen auch den Verlagen (Südverlag, Rosgartenverlag, Universitätsverlag) zu Leibe rücken; von den einst 18 Beschäftigten ist heute nur knapp ein Dutzend überiggeblieben. Über die Zukunft des verlustträchtigen Universitätsverlages wird intensiv nachgedacht. Generell, so Pierre Gerckens, soll „die Produktion von Titeln auf jene beschränkt werden, die sich verkaufen lassen.“

Der Südkurier muss „vorne bleiben“

Der Südkurier muss „vorne bleiben“, hämmert Gerckens der Belegschaft via SK-Nachrichten ein. Entscheidend dafür seien Erfolge im Kampf um „das Werbeaufkommen der Region“, von dem, das weiß der Finanzchef genau, „letztlich auch gerade die Tageszeitung lebt“. „Der Südkurier als Werbeträger“ habe deshalb darauf zu achten, „seinen Spitzenplatz zu halten und zu verteidigen, sonst könnte diese Zeitung ins Hintertreffen geraten.“ Angesichts des harten Rationalisierungs- und Modernisierungskurses, den das medienerfahrene Holtzbrinck-Management fährt, besteht da wohl wenig Hoffnung.

Autoren: J. Geiger und B. Matern