Ho Narro: Zwischen Komasuff und Stechschritt

Foto: LenDog64 (Flickr)

Mit Tempo biegt die Fasnacht auf die Zielgerade ein. Bälle rund um die Uhr und dazu eine Berichterstattung in der Tagespresse, die sich seit Jahrzehnten kaum unterscheidet. Graue Mäuse werden kurzfristig zu bunten Kanarienvögeln, um dann wieder in der Versenkung zu verschwinden. Und über allem thront eine Funktionärskaste, die die Marschrichtung vorgibt. So die Meinung eines langjährigen Fasnachters, der dann die Seiten wechselte. Hier sein Bericht, den er vor 32 Jahren für das Nebelhorn schrieb. Hat sich seitdem was geändert? Urteilen Sie selbst

Alle Jahre kommt sie wieder, die Fasnachtszeit. Unüberhörbar und unübersehbar wirft sie ihre Schatten vor­aus. Sie ist auch weit über die Grenzen der hauptamtli­chen Bodenseemetropole und ehrenamtlichen Universitätsstadt hinaus bekannt, wes­halb dieses große Ereignis mehr Fremde/Auswärtige etc. anzieht. Für dieses Publi­kum erscheint die Fasnacht als das, was sie gern von verschiedenen Stellen aus­gegeben wird: eine Art „Volksfest“, in dem „alt­hergebrachtes Brauchtum“ ge­pflegt wird und überall far­benfrohes Spektakel ist; die Narrenfreiheit wird aus­gerufen, für kurze Zeit wer­den die Zügel der Zwänge lockerer gelassen usw. usf. Der Fasnachtstourist dürfte die Sache also als eine Art Ausbruch aus dem täglichen Trott erleben und sich freuen, daran teilnehmen zu dürfen. So oder ähnlich wird es jedenfalls immer verlautbart. Nachdem nun der Tou­rist abgehakt ist, kommt der Einheimische an die Reihe. Diese Spezies könnte man ganz grob in drei Spar­ten einteilen. Da wäre zu­nächst der Fasnachtsakti­vist, als zweiter der Sym­pathisant, als dritter der „Anti-Typ“.

Beginnen wir mit dem Anti­-Typen: das sind all dieje­nigen, die aus den verschiedensten Gründen mit der Fasnacht nichts am Hut haben, die also auch an Fasnacht in Zivil einherschreiten und sich zu dieser Zeit möglichst wenig auf den Straßen zeigen oder gleich verreisen.

Der zweite Typ, als Sympa­thisant bezeichnet, trägt ebenfalls Zivil, wenn’s hoch kommt ’ne rote Pappnase und findet die Fasnacht „ganz nett, aber selber mit machen würd’ ich da nicht“.

Aus dieser zahlenmäßig sehr großen Gruppe rekrutiert sich das dankbare Publikum für den letzten Typus, den Aktivisten. Diesen könnte man wieder einteilen in

a) der unorganisierte Aktivist

b) der organisierte Aktivist.

Die Gruppe a) ist relativ groß und setzt sich zusam­men aus Personen, die aus irgendwelchen Gründen bei dem ganzen Zauber dabei sind, verkleidet rumlaufen aber nicht zu einer der Fasnachtszünfte, -vereine oder sonstigen Organisati­onen gehören.

Nun zur Gruppe b). Diese besteht aus den Mitgliedern der o. a. Organisationen und sorgt für Action. Sie schillert in den verschie­densten Farben, vom Gras­grün bis Filbingerbraun, aufgelockert, vereinzelt hier und da, durch ein paar wenige rote Farbtupfer. Diese Organisationen verdienen es, genauer betrach­tet zu werden, was aber nur möglich ist, wenn wir vor­her die Kulissen niederrei­ßen, die aufgestellt wurden, um die freie Sicht auf das sich dahinter ausbreitende Sumpfgebiet zu verdecken. Greifen wir also in die Konstanzer Kiste und be­trachten, viel Feind, viel Ehr, die größte unter den Fasnachtszünften, die wohl nur als ein Beispiel gel­ten könnte: die Blätzlebubenzunft. (Eigentlich müss­te man sagen „-zünfte“, da es ja zwei gibt.)

Diese setzt sich zusammen aus dem gemeinen Fußvolk, den Hästrägern, und der Führung und deren Sympathisanten, die darauf bedacht sind, Abstand zum Fußvolk zu haben. Es besteht ein streng hierarchischer Auf­bau; man hat ein gutes Ge­fühl dafür, was „oben“ und „unten“ in der Zunft ist. Als einer von „unten“ hat man kaum Möglichkeiten, das Treiben der Leute „oben“ zu übersehen. Ein Grund dafür ist die er­wähnte, fast standesbewusste Abgrenzung der „oben“ sich Befindenden, ein zweiter die Weigerung der „oben“ Seienden, Kritik und Anre­gungen von „unten“ entge­genzunehmen. So ist man al­so „oben“ in der Lage, Äm­ter und Pöstchen zu vertei­len, ohne Rechenschaft ab­legen zu müssen und sich bei Gelegenheit als Spre­cher für sämtliche Mit­glieder aufzuspielen (so geschehen bei der Debatte um das Haus für entlassene Strafgefangene in der Hussenstraße, wo Zunftmeister H. Hug in einer Front mit BGK-Stadtrat Eyermann „im Namen der Mitglieder der Konstanzer Blätzlebubenzunft“dagegen protestierte, dass neben dem „von der Zunft“ re­novierten Schnetztor eine solche Einrichtung entstehen sollte). Man nutzt also die Möglichkeit, sich mit Hilfe der „Zunft“ größer darzustellen als man ist.
Beispiel Schnetztorrenovierung: Nach Beendigung des ersten Teils der Ausbauarbeiten wurden Turmherren gesucht, die re­präsentativ sein sollten und den weiteren Ausbau un­terstützten.

Wen konnte man neben dem Zunftmeister und anderen Ho­noratioren in der Zeitung sehen: den jetzigen Ministerpräsidenten Späth und den damaligen Bundesinnenminister Werner „Wanze“ Maihofer. Diese sind sicherlich sehr repräsentativ, fragt sich nur für was…. sicherlich nicht für die Basis. Die, die „oben“ sind, können also schalten und walten, wie sie wollen, ohne dass die „unten“ irgendeine Einfluss­möglichkeit haben. Das wäre zunächst der Blick auf eine der Fasnachtsorganisationen.

Ein anderes Phänomen sind die sog. Fanfarenzüge. Sie sorgen für die musikalische Untermalung des Spektakels. Zum Teil werden sie von der Zunft/dem Verein, zu der/ dem sie gehören, ausgehalten. Die hierarchische Struktur setzt sich auch da fort, al­lerdings etwas krasser als in der Mutterorganisation. Man könnte versucht sein, sogar von einer paramilitä­rischen Vereinigung zu re­den; nicht nur die Art der Musik und der streng einge­haltene Gleichschritt sprehen dafür – oft steht man der Bundeswehr und dem Mili­tarismus sehr nahe und be­zeichnet Kriegsdienstver­weigerer schon mal als Drückeberger, als Gammler, die man an die Wand stellen sollte, als „räudige Kom­munisten“ etc. Diese Vorfälle können allerdings nicht verallgemeinert werden, sie sind nur Hin­weise auf gewisse Verhält­nisse.

Weiter: Über diesem Haufen thront der Fanfaren­meister, unterstützt von seinem Stab, auch auf Ab­stand zum Fußvolk bedacht. Seinen Anordnungen muss man sich unterordnen, wer nicht spurt und „unten“ steht, „fliegt raus“. Es gäbe speziell über diese Fanfarenzüge noch jede Menge zu sagen; ich will es mir sparen, da mich diese ganze total verfilzte Sphäre anödet… Abschließend wäre viel­leicht noch aufzuführen, dass ein Mitglied eines Fanfarenzugs, wenn es aus irgendwelchen Gründen in einen ande­ren Fanfarenzug möchte, eine gewisse Zeit gesperrt wird und nicht spielen darf – es herrscht also auch unter den einzelnen Fanfarenzügen eine total kindische Konkurrenz, Prestigedenken usw.

Zurück zum gemeinen Akti­visten: Über die Fasnachtszeit ist sein Terminkalen­der randvoll, er steht im dauernden Stress, er muss ein Programm durchziehen, er kommt nicht zur Ruhe. Er erntet dafür die Aner­kennung und den Beifall seines Publikums, die er im „everyday life“ nie ernten kann, denn da ist er Durchschnitt, versinkt in der Masse und ist i.a. konser­vativ und reaktionär wie mancher andere, der einmal für kurze Zeit den Ge­schmack der Macht kosten durfte. Seine Minderwertigkeitskomplexe werden durch seine fasnächtliche Tour in die Spitzen der Gesell­schaft kurzzeitig kompen­siert, um hinterher wieder verschärft hervorzubrechen. Um sie dann wieder zu kom­pensieren, kann er sich vielleicht Anerkennung da­durch verschaffen, dass er Minderheiten (Schwule, Punks, Gammler etc.) dis­kriminiert.

Auch diese Analyse darf nicht verallgemeinert wer­den, scheint aber doch, nach meinen langjährigen Erfahrungen, zumindest in einigen Fällen zuzutreffen. Zu guter Letzt stehen hin­ter der Fasnacht, wie sie hier durchgeführt wird, handfeste Kapitalinteressen. Die Wirte verdienen sich dumm und dämlich, andere Betriebe (Mc. Donalds etc.) haben die Werbewirksamkeit des Themenbereichs Fas­nacht voll erkannt und steigen dementsprechend massiv ein. Längst hat sich die Konstanzer Fasnacht vom Volksfest zur großen Vermarktungsfete entwickelt, haben reaktionäre Typen die Fasnacht fest in der Hand. Es gelingt mir trotz aller Erfahrungen nicht, die Fas­nacht voll und ganz abzuleh­nen, ich sehe trotz allem noch positive Elemente in der Fasnacht als ganzer, anarchistische Züge, aber eben nicht in Konstanz und nicht in der Art, wie sie hier praktiziert wird und nicht repräsentiert durch die Leute, die ihrerseits die Rolle des großen Reprä­sentanten spielen, dabei aber nur als lächerliche, aufgeblasene Wichtigtuer wirken. Nach neun Jahren als Aktivist hab‘ ich mich da­rum vom Aktivisten zum Anti-­Typen entwickelt, statt Fanfarenzug mach ich jetzt Punk, und statt mir alles gefallen zu lassen, schlag‘ ich jetzt zurück.