Der Gewerkschaftsfeind aus dem Ruhrpott
Zusammen mit seinem Bruder Karl übernahm Theo Albrecht (1922-2010) gleich nach dem 2. Weltkrieg den Laden der Mutter – und revolutionierte durch Discountmärkte den deutschen Einzelhandel. Oft auf Kosten der Beschäftigten. Über den Tod des Aldi-Gründers wurde viel, meist Positives, geschrieben – seine Rolle als Gewerkschaftsfeind wurde dabei unterschlagen. seemoz bessert nach
Genauso heimlich und abgeschieden von der Öffentlichkeit, wie er lebte, ging er auch: Theo Albrecht, einer der beiden Aldi-Gründer, starb vorvorletzten Samstag in Essen. Trotz seiner Bekanntheit erfuhr die Allgemeinheit erst vier Tage später von seinem Tod. Beide Albrecht-Brüder standen seit Jahren auf der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt, zur Schau gestellt haben sie ihren Reichtum aber nie. Über ihr Privatleben ist so gut wie nichts bekannt, und diese Verschwiegenheit bestand von Anfang an, sie zelebrierten sie sogar.Karl (*1920) und Theo Albrecht stammten aus einfachen Verhältnissen: Der Vater war Bergmann und Bäcker, die Mutter hatte einen Tante-Emma-Laden. Dort absolvierte Theo seine Ausbildung, Bruder Karl lernte in einem Feinkostgeschäft. Nach dem Krieg übernahmen sie zusammen den Laden ihrer Mutter.
8200 Filialen
Aus der Not der unmittelbaren Nachkriegszeit machten die Albrechts ihr Geschäftsmodell: ein kleines Angebot an Waren, eine kleine Ladenfläche, Selbstbedienung und eine billige Innenausstattung. Dieses Konzept ermöglichte extrem niedrige Preise, und das kam an. Ausgehend vom Ruhrgebiet, expandierten die Brüder und besaßen 1960 bereits 300 Filialen. Zu diesem Zeitpunkt teilten sie das Unternehmen in zwei Hälften: Aldi-Nord und Aldi-Süd. Der Norden ging an Theo, der Süden an Karl.
Da Aldi keine Aktiengesellschaft ist, bestand nie die Verpflichtung, eine Bilanz zu veröffentlichen. Daher weiß niemand, wie viel Umsatz wirklich gemacht wird und wie viel Gewinn die komplex verschachtelten Konzerne erzielen. Heute besitzt Aldi rund 8200 Filialen in achtzehn Ländern, darunter in Australien und in den USA. In der Schweiz hat Aldi seit 2005 mehr als 120 Filialen aufgebaut.Theo Albrecht wurde 1971 entführt; seine Familie bezahlte sieben Millionen Mark, damals eine Rekordsumme. Die Verschwiegenheit hat das nur verstärkt. 1993 zog sich Theo Albrecht aus dem aktiven Geschäft zurück, behielt aber bis zu seinem Tod über eine Stiftung Einfluss auf seinen Unternehmensteil. Aldi war nie in Skandale verwickelt, jedenfalls nicht im Ausmaß anderer Discounter wie Lidl, aber es reichte immer wieder für negative Schlagzeilen.
Zum Beispiel 2004, als die «Süddeutsche Zeitung» (SZ) darüber berichtete, wie Aldi-Süd mit ‚massiven Wahlbehinderungen‘ die Gründung von Betriebsräten in Filialen hintertrieb. Als Reaktion zog Aldi sämtliche Werbeanzeigen zurück, der SZ gingen Anzeigen im Wert von 1,5 Millionen Euro verloren. Bis heute gibt es bei Aldi-Süd keine Betriebsräte, die in Deutschland laut Gesetz den Beschäftigten jedes größeren Unternehmens zustehen. Zum Teil lehnen die Aldi-Beschäftigten selber die Bildung eines Wahlvorstandes ab, der Voraussetzung für eine Betriebsratswahl ist. Das mag auch daran liegen, dass der Lohn dem branchenüblichen, gesamtbetrieblichen Arbeitsvertrag entspricht und zum Teil sogar über Tarif liegt.
Im Konzernteil Aldi-Nord hatten sich zwar Betriebsräte bilden können, jedoch wurde 2007 bekannt, dass die Geschäftsleitung 350000 Euro an die unternehmerfreundliche Beschäftigtenvertretung AUB bezahlte, um der AUB die Möglichkeit zu bieten, die unliebsamen BetriebsrätInnen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi auszubooten. Aldi handelte sich durch dieses Vorgehen eine Anzeige der Gewerkschaft ver.di ein. Die AUB ist nach der Affäre um ihren ehemaligen Vorsitzenden Schelsky mittlerweile zur Bedeutungslosigkeit abgestiegen.
Skandalöse Arbeitsbedingungen
2008 brachten den Discounter gleich zwei Vorfälle in die Schlagzeilen. Das globalisierungskritische Institut für Ökonomie und Ökumene Südwind veröffentlichte eine Studie über die Arbeitsbedingungen der Aldi-Zulieferbetriebe in China. Diese produzieren etwa vierzig Prozent der Aktionsartikel, meist Elektronik, Haushaltswaren, Kosmetik und Textilien, die gut zwanzig Prozent des Gesamtumsatzes von Aldi ausmachen. Laut Studie werden alle Produkte unter skandalösen Bedingungen hergestellt. So beträgt die Arbeitszeit der Beschäftigten, zumeist Frauen, an die neunzig Stunden in der Woche; Mutterschutz wird nicht gewährt, und die Firmen bezahlen keine Sozialversicherungsbeiträge. Nachdem die Studie durch die Presse ging, trat Aldi der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei, einem Verband europäischer Unternehmen, die auf Sozialstandards bei Zulieferbetrieben achten wollen.
Verbotene Videoüberwachung
Im selben Jahr warf ver.di Aldi-Süd vor, Beschäftigte mit Videokameras überwacht zu haben. Im Nachhinein seien die MitarbeiterInnen dazu gedrängt worden, die Überwachung durch eine Einverständniserklärung gutzuheißen. Zwar gab das Unternehmen zu, die Verkaufsräume gefilmt zu haben. Aufkleber und Schilder hätten aber die KonsumentInnen davon in Kenntnis gesetzt. Die Aufenthaltsräume der Angestellten seien nicht gefilmt worden, auch habe man sofort wieder alles gelöscht.
Alle diese Vorwürfe hat Aldi gut überstanden; das Unternehmen ist in Deutschland weiterhin Marktführer unter den Discountern. Nach Albrechts Tod übernimmt seine Frau Cecilia den Vorsitz der Stiftung; die Geschäfte führt seit 1993 sein Vertrauter Hartmuth Wiesemann, obwohl Albrechts Söhne im Management sitzen. Vielleicht gelingt es seinen Nachfolgern ja, die von den Albrechts entwickelte Balance zu halten: billige, aber selbst von Warentests gelobte Produkte anzubieten, im Vergleich zu den anderen Discountern halbwegs anständige Löhne zu bezahlen – und gleichzeitig einen knallhart gewerkschaftsfeindlichen Kurs zu fahren.
Autorin: Judith Göppiger/WOZ