Es goht dergege

Seit heute steppt der Bär auf den Konstanzer Straßen und manche kommen bis nächsten Dienstag kaum mehr aus ihrer fasnächtlichen Haut. Für die meisten ist die närrische Zeit eine Möglichkeit, ausgelassen zu feiern und richtig die Sau raus zu lassen. Der traditionelle Hintergrund der Fasnacht aber ist vielen fremd. Ging es früher darum, „denen da oben“ den Marsch zu blasen, geht es heute eher zu wie auf einer x-beliebigen Mega-Party. Einige Gedanken über die alemannische Fasnacht, niedergeschrieben vor exakt 36 Jahren

Es goht dergege. Anmerkungen zur alemannischen Fasnacht aus: Neue Seeblätter, 1977

Den Pfaffen und Priestern hat es nie geschmeckt: das närri­sche Treiben der Volksfasnacht in den großen Dörfern und klei­nen Städten des Alemannengebietes. Während der Stadtnarr sei­nen Fasching alle Jahr in einem anderen Kostüm feiert und sich mit Papiermasken verkleidet, trägt der Narro stets die gleiche Tracht, stülpt sich seine hölzerne Maske über, ruft die altbekannten Sprüche, springt durch Gassen und Gaststuben und schleudert allerlei Gerät zum Fürchtenmachen durch die Luft. Denn die heidnischen Gei­ster müssen nicht nur beschwört, sondern auch am Ausgang des Winters vertrieben werden.

Die Prälaten haben den Mummen­schanz nur griesgrämig gedul­det, und ihre Winkeladvokaten haben das Heidentum und dessen überlieferte Fasnachtsriten in die christliche Kulturgeschich­te eingebaut. Aus dem übermüti­gen Faseln, dem Scherzen und Spotten „über die da obe“ mach­ten sie eine Vorabendfeier der Fastenzeit.

Doch ursprünglich war ein solches sauertöpfiges Ende der Narrenzeit nicht vorgesehen. Denn der Mummenschanz der Fasnacht lebt vom Gelächter und vom Spass der Elzacher Schuddige, die in dämonischen Fratzen den Frühling begrüßen, der Überlinger Hänsele, die mit langen Karbatschen die Pest davonpeitschen und der Villinger Butzesel, die als wilde Waldgeister allerlei im Schilde führen.

Freilich durften die Schwarz­röcke im Mittelalter während der Priesterfasnacht sich auch der Lustbarkeit hingeben. Doch weil die Nönnlein und Mönch­lein über die Stränge schlugen, schritten die geistlichen Her­ren ein und machten daraus die Herrenfasnacht! Ein solcher Eingriff diente denn auch den Her­ren der Schöpfung, denn die ur­sprünglich vereint lachenden Weiblein und Männlein des Mittelalters wurden plötzlich kraft närrischer Gesetze getrennt: der ausgewachsene „mann­bare Bursch“ durfte den Nar­renlauf alleine machen.Der jag­te denn auch die bösen Geister davon, mannhaft wie er war! Sein braves Weib hingegen verkroch sich in der Stube, damit die Unruhgeister nicht ins Haus kamen.

Was aber treibt ein so entweihter Narro? Er schlüpft in Weiber­kleider. Ein Vorgang, der auch die Kirche einmal rebellisch werden lässt. Und laut schimpfend hieß es da in einer bischöflichen Kampfschrift: „Wie schändlich ist es aber auch, dass die als Männer Geborenen Frauenkleider anziehen und in den schändlichsten Verkleidungen durch einen Mädchenanzug die männliche Kraft weibisch machen, sie, die nicht erröten, die kriegerischen Arme in Frauenkleider zu stecken, bärtige Gesichter tragen sie zur Schau, und doch wollen sie für Weiber gelten.“

Den geistlichen Herren schien tatsächlich der Talar zu flattern! Und wenn plötzlich auch Frauen in Männerkleidung… un­denkbar! Die Herren waren nicht nur in der augustinischen Kirchenlehre geschult, sie dachten manchmal auch dialektisch. Und da begannen sie zu erschrecken: Eine umgestülpte Welt trat ihnen da entgegen! Der Sieg des Ge­lächters über die Furcht. Und dieser Sieg über die mystische Gottesfurcht und die morali­sche Furcht vor der Sünde, die das Bewusstsein ihrer sonst so frommen Lämmer knechtete und dumpf machte, den fürchteten sie! Also wurde aus der Zeit des Faselns die Nachzeit der Fasten­den!

Die weltliche Obrigkeit hatte nicht weniger Unbehagen ob des närrischen Treibens. Die Nachtwächterlieder der wildesten Narren verkündeten ihre Wahrheiten unverblümt, die Bonndorfer Pflumeschlucker verstanden es trotz grotesk verstopftem Larvenmaul ebensogut zu spotteln wie die Villinger hin­ter ihrem aalglatten Lächeln der „Scheme“ oder die Laufen­burger Fischer hinter ihren dicken Masken. Wer so zum Ge­spött des närrischen Volkes gemacht wurde, der musste auch in der Fasnet-Zeit seine Untertanen an die Machtverhältnisse erinnern. Das taten sie denn auch, die Lehnsherren am Tage der Herrenfasnacht, an dem die Leibeigenen dem „gnädi­gen Herren“ die fälligen Abgaben als Fasnachtsspeisen brachten.

„Aber, aber!“ ruft da der närrische Leser, „mir hond doch etzt unsre demokratische Fasnet. Mir wend die Politik net mittem Spass vermische. Mir stellet am schmutzi­ge Dunstig unsre Narrebaum auf und dann hoißts: es goht dergege!“

Aber wohin geht er denn, der Geck und Narr des Jahres 1977? Ob ihm noch bewusst ist, dass vor drei- und vierhundert Jahren die Fasnacht in fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens und die offizielle christliche Weltanschauung gedrungen ist? Berühmt dafür ist das Narrengericht in Stockach, das in aller Öffentlichkeit Habgier, Missgunst, Steuer­hinterziehung und Amtsmissbrauch be­strafen durfte. Ein Volksgericht also, das sich aus angesehenen, di­rekt gewählten Bürgern zusammen­setzte.

Da hätte das närrische Volk auch in Konstanz viel zu jubeln! Die Bürgermeister würden nach altem Brauch in die Stadtbrunnen fliegen, denn Bestechung können ehrliche Bürgernarren nicht dulden. Und wenn der Dierks noch so lange beteuert, dass das alles Parteispenden gewesen wären. Welcher Narr glaubt ihm denn das? Und wenn der Menges auch be­hauptet, er brauche die Wohnung bei den Schwestern für sich alleine, hoorich hoorich is die Katz.