Der Prozess um den „Konstanzer Antifaschistenflug“

Nebelhorn Nr. 22, Februar 1983Man schrieb das Jahr 1931, die Weimarer Republik lag in ihren letzten Zügen. Auch in Baden, auch in Konstanz, rund um den Bodensee erstarkten die antidemokratischen Kräfte. Das beschreibt Werner Trapp anhand der Ereignisse um den  „Konstanzer Antifaschistenflug“ im Nebelhorn 1983. Und er zitiert Kommentare der damals noch drei (!) Konstanzer Zeitungen, beschreibt die Arbeit des Anwalts Venedey, die schon weitgehend nationalistische Stimmung hierzulande und das klägliche Agieren der Konstanzer Justiz: Anregender Lesestoff noch heute, wie wir finden 

Schwieriges Terrain für die Gegner Mussolinis

von: Werner Trapp, aus: Nebelhorn Nr. 22, Februar 1983

»Am Samstag, den siebten November kam nachmittags von Tempelhof über München eintreffend ein Junkers-Flugzeug D 2155 auf dem Flugplatz bei Konstanz an. Auf diesem findet im Winter kein regelmäßiger Flugverkehr statt, weshalb vom 4. d. Mts. an der dortige Polizeiposten eingezogen war. Das Flugzeug war mit zwei Personen besetzt. Die Weiterfahrt des Flugzeugs wurde am Montag versucht; der Start miss­lang jedoch infolge des aufgeweichten Bo­dens. Die Polizei war inzwischen auf die Insassen des Flugzeugs aufmerksam ge­macht worden und stellte die Personalien derselben fest. Hierbei ergab sich, dass der Flugzeugführer der ehemalige deutsche Of­fizier Viktor Häfner war, der wegen Spiona­ge zum Nachteil Deutschlands im Jahre 1924 zu 5 Jahren Zuchthaus verurteilt wor­den war. Häfner besaß keinen Flugschein. Der weitere Insasse wies sich zunächst durch einen belgischen Pass als Comte Ar­mand de Looz aus. Bei der weiteren Unter­suchung ergab sich, daß der Begleiter eine Anzahl von Pässen über verschiedene Na­men besaß, er aber in Wirklichkeit italieni­scher Staatsangehöriger ist und Bassanesi heißt. Inzwischen war auf dem Flugplatz ein Kraftwagen mit französischer Erken­nungsnummer bemerkt worden, dessen 3 Insassen sich mit der Flugzeugbesatzung in Verbindung setzten und augenscheinlich Gepäck aus dem Flugzeug in das Auto übernahmen. Das Auto verschwand sehr rasch, konnte aber in Freiburg festgehalten werden. Seine drei Insassen wurden festge­nommen und der Inhalt des Wagens be­schlagnahmt.«

Junkers D-2155 am 7. November 1931 in Konstanz gelandet

Deutsche Bodenseezeitung, 11. November 1931

So berichtete das badische Staatsministerium am 11. November 1931 an das Aus­wärtige Amt in Berlin. Bei den Verhafteten, so stellte sich nach anfänglicher Geheimhal­tung durch die Behörden bald heraus, han­delte es sich um eine Gruppe italienischer Antifaschisten, die von Konstanz aus mit dem Flugzeug starten wollten, um über Italien Flugblätter abzuwerfen, die zum Sturz der Diktatur Mussolinis aufriefen. Nach dem missglückten Start in Konstanz sollte wenigstens das Propagandamaterial gerettet und über Freiburg nach Frankreich, dem Zentrum der italienischen antifaschisti­schen Emigration, gebracht werden. Beide Vorhaben wurden jedoch durch das Ein­greifen der badischen Polizei vereitelt.

Damit war die Hoffnung zunichte ge­macht, das zu jener Zeit bereits fest eta­blierte faschistische Regime in Italien mit einer spektakulären Aktion zu verunsi­chern, wie sie bereits zweimal zuvor gelun­gen war:

Schon am 11. Juli 1930 war der in Konstanz verhaftete Giovanni Bassanesi, ein junger Volksschullehrer aus Aosta, vom Tessin aus nach Mailand geflogen, wo es ihm gelang, eine halbe Stunde lang über dem Zentrum zu kreisen und Flugblätter abzu­werfen, die zum Widerstand gegen die faschistische Diktatur aufriefen. Auf dem Rückflug stürzte er im Gotthardgebiet ab und wurde von einem Schweizer Gericht in Lugano zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Schon diese Aktion hatte ein großes Echo bei der Mailänder Bevölkerung gefunden und verwirrte die italienischen Sicherheitsbehörden erheblich. Mehr noch wurde der anschlie­ßende Prozeß in Lugano zu einem Tribunal gegen die Diktatur in Italien, wobei der Kampf der Angeklagten um jene bügerlichen Freiheiten, die sie in der Schweiz bereits verwirklicht sahen und auf die sie sich ausdrücklich beriefen, auf große Sym­pathien stieß.

Und kurz vor dem in Konstanz gescheiterten Unternehmen, am 3. Oktober 1931, war der Italiener Lauro de Bosis von Cannes aus gestartet und hatte bei Dunkelheit direkt über dem Zentrum von Rom 400.000 antifa­schistische Flugblätter abgeworfen, eine Aktion, die er mit seinem Leben bezahlte. Über seine Motive schrieb er in einem poli­tischen Testament, das er in der Nacht vor seinem Flug verfasste (‚Histoire de ma mort’): »Ich bin davon überzeugt, dass der Faschismus erst dann stürzen wird, wenn sich eine Handvoll junger Männer findet, die ihr Leben opfern, um die Herzen der Italiener zu bewegen. Ich hoffe, dass nach mir noch viele andere kommen und dass es ihnen am Ende gelingt, die öffentliche Mei­nung aufzurütteln.«

Dem Konstanzer Flug schließlich war zunächst ein anderer Plan vorausgegangen, der wohl an Wirksamkeit kaum zu übertref­fen gewesen wäre: der für den Herbst 1931 geplante Staatsbesuch Mussolinis in Berlin sollte zu einer großen Demonstration italie­nischen Freiheitswillens genutzt werden. Während die Wagenkolonne des Diktators unter Polizeischutz durch die Straßen Berlins rollte – so der Plan – sollte ihr Bassanesi mit dem Flugzeug folgen und die Berliner mit Flugblättern über die wahren Zustände in Italien informieren. Als Musso­lini seinen Besuch absagte, wurden die Pläne eines Fluges nach Italien wieder aufgegrif­fen. Ziele waren Mailand und Turin, wobei diesesmal die Demonstration aus der Luft durch groß angelegte Aktionen lokaler anti­faschistischer Gruppen unterstützt werden sollte.

Der morastige Boden des Konstanzer Flugplatzes setzte diesen Plänen ein jähes Ende. Die vier Italiener, die sich nun vor dem badischen Landgericht in Konstanz zu verantworten hatten, gehörten alle der 1929 in Paris gegründeten Emigrantenorgani­sation »Giustizia e Libertà« an, die den italienischen Faschismus durch Propa­ganda im Ausland wie durch direkte Ak­tionen in Italien selbst bekämpfte. Zwei von ihnen waren Gründer und führende Köpfe der Organisation: Alberto Tarchiani und Carlo Rosselli. Tarchiani war bis zum Jahre 1925 Chefredakteur der libe­ralen Mailänder Tageszeitung »Corriere della Sera«.

Nach der Übernahme seiner Zeitung durch das Regime verließ er sein Land und schloss sich den Emigranten in Paris an. Von dort aus organisierte er die Flucht Rosselis und zweier anderer Regimegegner von der Verbannungsinsel Lipari. Rosselli war bis 1925 Professor für Nationalökonomie in Genua. Als Sohn einer reichen Florentiner Familie gab er sein ganzes Vermögen für den Kampf gegen die Diktatur. 1927 wurde er in einem aufsehenerregenden Prozess von ei­nem Sondergericht zu einem langjährigen Zwangsaufenthalt verurteilt, weil er dem alten Sozialistenführer Filippo Turati zur Flucht nach Korsika verholfen hatte. Tiberio Ferraro war Sohn italienischer Emigran­ten in London. Bei der polizeilichen Ver­nehmung in Konstanz gab er an, gegen den italienischen Faschismus eingestellt zu sein, weil sein Onkel in dortigen Gefängnissen umgekommen sei.

Der Prozess vor dem Konstanzer Landge­richt wurde damals nicht nur im ganzen Reich und in Europa verfolgt, er löste auch in Konstanz selbst höchst unterschiedliche Reaktionen aus. Bedenkt man, dass »Giustizia e Libertà« keineswegs eine kommunisti­sche Organisation war, sondern sich als Sammelbecken von Emigranten unter­schiedlichster politischer Herkunft den Idealen der Freiheit, der Republik und sozialer Gerechtigkeit, der Suche nach einem »dritten Weg« zwischen Faschismus und Bolschewismus verpflichtet wusste, so werden die Reaktionen in Deutschland – der großen Politik wie die der lokalen politi­schen Kräfte in Konstanz – doppelt interes­sant. Denn gefordert war hier nicht so sehr die internationale Solidarität der Arbeiter­bewegung, gefordert war vielmehr ein de­mokratisch-republikanischer Internationa­lismus des Bürgertums. Die Reaktionen auf das Unternehmen der Italiener werden so auch zum Gradmesser für die Einstellung gegenüber dem Faschismus in Italien, zu einem Zeitpunkt, an dem zwar der deutsche Nationalsozialismus überall stark an Boden gewann, die Sache der Weimarer Demokra­tie aber noch nicht endgültig verloren war. Wie reagiert vor allem das Bürgertum in Konstanz auf den demokratischen »Interna­tionalismus« der Italiener? Die Polemik, die sich nach dem 9. November in der Konstanzer Presse entfaltet, liefert dazu wichtige Indizien, zugleich aber auch Bele­ge dafür, wie weit die Rechtsentwicklung in Deutschland damals schon fortgeschritten war, welch geringen Wert Menschenrechte und demokratische Freiheiten im Bürger­tum noch besaßen.

Deutsche Bodenseezeitung, 11. November 1931

Deutsche Bodenseezeitung, 11. November 1931

In Konstanz gab es damals noch drei Tageszeitungen, die Konstanzer Zeitung, das Blatt des liberalen Bürgertums, die Deutsche Bodensee Zeitung, Organ des politischen Katholizismus und der Zentrumspartei, sowie als Arbeiterzeitung das Konstanzer Volksblatt, die Zeitung der So­zialdemokratie. Die beiden bürgerlichen Zeitungen machten aus ihrer mangelnden Sympathie für diese Aktion, aber auch aus ihrer mehr oder weniger offenen Parteinah­me für das Mussolini-Regime kaum einen Hehl. So urteilte die Deutsche Bodensee Zeitung am 12. November: »Zweifellos handelt es sich hier um einen Hochverrats­versuch gegenüber Italien, das nicht zögern wird, den notwendigen Antrag auf Klageer­hebung einzureichen. Im übrigen sei festge­stellt, dass der Herd dieser antifaschistischen Agitation in Frankreich liegt. In Deutsch­land hat sich bisher diese antifaschistische Propaganda weniger bemerkbar gemacht. Merkwürdigerweise (!) scheinen sich aber Deutsche bereit zu finden, diese Bewegung zu unterstützen, auch das über Rom kreu­zende Flugzeug war deutschen Ursprungs.« Und die liberale Konstanzer Zeitung kommt am 13. November zu folgendem Schluss: »Es ist selbstverständlich, dass kein Staat auf seinem Boden Umtriebe dulden darf, die gegen den Bestand einer fremden Regierung gerichtet sind. Jedenfalls muss es begrüßt werden, dass es der Wachsamkeit der Behörden gelang, den Flug abzustoppen und damit mögli­cherweise drohenden diplomatischen Ver­wicklungen vorzubeugen.«

Mit dem Begriff des »Hochverrats« wird so die Legalität des faschistischen Regimes in Italien unterstellt, die Möglichkeit einer Unterstützung der italienischen Antifaschi­sten klar ausgeschlossen. Mehr noch: das katholische Blatt kennt keine Skrupel, die Namen der Beteiligten sofort zu veröffentli­chen, obwohl man sich über die möglichen Konsequenzen durchaus im klaren ist: »Wie dem auch sei: Hinter den Verhafteten steht eine mächtige antifaschistische Organisa­tion, die die Revolutionierung Italiens auf ihre Fahnen geschrieben hat. Menschlich gesehen ist dieses Bestreben, die wirklichen Namen zu verheimlichen, durchaus begreif­lich, denn nach den strengen Normen des Gesetzes haben sie ihr Leben in Italien verwirkt, ganz abgesehen davon, dass eine Klarstellung in dieser Hinsicht das Geheim­nis um diesen antifaschistischen Bund noch mehr lüften würde. Gewisse Anzeichen deuten darauf hin, dass die Faschisten alle Anstrengungen machen, um sich mit Hilfe von Spionen über die Persönlichkeit der in Konstanz Verhafteten zu vergewissern. Ein Mann, der sich als Vertreter der Fiatwerke ausgab, hat bereits versucht, bei den zustän­digen Behörden Erkundigungen einzuzie­hen.« (14. November).

Solidarität mit den Verhafteten bekundet einzig das Konstanzer Volksblatt, die lokale Tageszeitung der Sozialdemokratie. Unter der Überschrift: »Der >Hochverrat< gegen das illegale Italien« ergreift sie Partei für die italienischen Antifaschisten und stellt dem Legalitätsbegriff der bürgerlichen Zeitun­gen ihren eigenen, an demokratischer Legi­timität orientierten Legalitätsbegriff entge­gen: »In Italien führt Mussolini ein Schreckensregiment, das mit viel Blut begründet wurde und heute noch viel Blut kostet. Wer sich irgendwie verdächtig macht, nicht auf das faschistische Regime zu schwören, kommt in die Verbannung. Mit unerhörter Grausamkeit gehen der Diktator und seine Schergen gegen Gegner vor. Das hat allmäh­lich eine Unmenge Zündstoff gehäuft. Die Italiener im Ausland sind durchweg Gegner des gegenwärtigen Systems in Italien, das beweist vor allem auch die Tatsache, dass sich sämtliche italienischen Kolonien des Auslands hinter die in Konstanz verhafteten Italiener stellen. Die deutsche Presse hat großes Aufheben gemacht, auch die Presse, die eigentlich von ihrem politischen Stand­punkt aus dazu gar keine Veranlassung hatte. »Hochverrat« gegenüber einer fremden Macht! Kann man die Benennung der illega­len Macht in Italien überhaupt als Hochver­rat im Sinne des Gesetzes bezeichnen? Mussolini ist ja eben durch Hochverrat ge­gen sein eigenes Vaterland zur Macht ge­kommen. Die gesetzmäßige Verfassung Ita­liens ist doch durch Gewalt de facto, nicht aber de jure, außer Kraft gesetzt worden. An ihre Stelle wurde die Diktatur eines einzelnen gestellt, der durch die Mittel der Gewalt gegen den Willen der Mehrheit des italienischen Volkes regiert. Wenn über Ita­lien Flugschriften abgeworfen werden soll­ten, so sollte dies doch geschehen, um eben dieses rechtswidrige Regime des Faschismus zu beseitigen, an dessen Stelle wiederum die alte, immer noch gültige Verfassung Italiens treten sollte. Wer sich aber an der Beseiti­gung eines an sich rechtswidrigen Zustands beteiligen will, kann sich doch unmöglich des Hochverrats schuldig machen. Und ge­rade das republikanische Deutschland hat kein Interesse an der Erhaltung der rechtswidrigen Macht in Italien.« Mit dieser Position stand das Konstanzer Volksblatt jedoch allein. Auf liberaler Seite war man sogar ausgesprochen daran interessiert, die inneren Verhältnisse Italiens in Konstanz nicht zur Sprache kommen zu lassen. Dies wird an den Hoffnungen deutlich, die die Konstanzer Zeitung an den Prozessverlauf knüpft: »Wir glauben indessen nicht, dass die Hauptverhandlung, wenn sie wirklich öffentlich sein sollte, auf den politischen Hintergrund der Angelegenheit eingehen wird. Man wird unter allen Umständen zu vermeiden wissen, dass das Gericht zu einer Tribüne für antifaschistische Propagandare­den wird, wie es in der Schweiz der Fall war. Wenn sich die Anklage auf die erstgenann­ten Punkte (Passvergehen und unerlaubter Waffenbesitz, W.T.) beschränkt, dann dürfte mit einem relativ kurzen Verfahren zu rechnen sein.« (17. November). Zu einem Tribu­nal gegen die Diktatur in Italien durfte das Konstanzer Landgericht nicht werden. Mit dieser Hoffnung lag das liberale Blatt ganz auf der Linie der offiziellen italienischen Außenpolitik, die sich aus demselben Grund trotz wiederholten Drängens seitens des deutschen Außenministeriums nicht zu dem formell notwendigen Strafantrag durchringen konnte. Ja, Berlin bot der ita­lienischen Regierung jede nur erdenkliche Hilfe an und beantwortete bereitwilligst jedes Auskunftsersuchen der Italiener.

Reichsinnenminister Groener brachte diese Position in einem Brief an die Länderregie­rungen prägnant zum Ausdruck: »Es ist für die Außenpolitik der Reichsregierung im allgemeinen und besonders auch im Hin­blick auf die engen freundschaftlichen Be­ziehungen des Reiches zu Italien (!) uner­träglich, dass Ausländern in Deutschland ein Gastrecht gewährt wird, das sie zu politi­schen Machenschaften gegen Italien oder eine andere Macht missbrauchen.«

die antifaschistischen Flieger und ihre Verteidiger

Vor Gericht wurden die Beteiligten von den Konstanzer Rechtsanwälten Martin und Hans Venedey sowie Eduard Frank vertreten. Die Familie Venedey verkörperte in Konstanz die Tradition eines demokra­tisch-fortschrittlich orientierten ‚Iinken’ Li­beralismus: Martin Venedey war vor der Novemberrevolution mehr als 20 Jahre als Mitglied der Fortschrittlichen Volkspartei Badens Konstanzer Abgeordneter im badi­schen Landtag. Hans Venedey, ebenfalls Rechtsanwalt, war Sozialdemokrat und Konstanzer Stadtrat. Sein Bruder Hermann Venedey, dem ich zahlreiche Informationen zu diesem Aufsatz verdanke, war damals junger Gymnasiallehrer in Konstanz. Als einziger Lehrer seiner Schule verweigerte er 1935 den Eid auf den Führer, was ihm Berufsverbot einbrachte und ihn zur Emi­gration in die Schweiz zwang. Eduard Frank war Jude und ebenfalls Sozialdemo­krat – er starb 1938 unter ungeklärten Um­ständen im Konstanzer Gefängnis.

Es fällt auf, dass die Konstanzer Zeitun­gen über den eigentlichen Prozessverlauf nicht berichten. Noch am 12. Januar 1932 beklagen sich die Anwälte Venedey in einem Schreiben an das badische Staatsministerium, dass ihnen jegliche Akteneinsicht ver­wehrt werde. Bemerkenswert ist vor allem ein Brief des ehemaligen italienischen Mini­sterpräsidenten Francesco Nitti an das An­waltsbüro Venedey, den die beiden Anwälte sofort an den Konstanzer Oberstaatsanwalt und an das badische Staatsministerium wei­terleiten. Darin heißt es u. a.: »Ich möchte Ihnen meine Hoffnung zum Ausdruck brin­gen, dass ihre Unterstützung von Erfolg gekrönt sein wird. Herr Tarchiani und Herr Rosselli sind zwei große Geister, zwei Per­sönlichkeiten von höchstem Rang, zwei ed­le Charaktere (…) Alles, was sie getan haben, ist ausschließlich in ehrenwerter und würdiger Absicht geschehen, einzig in der Hoffnung, ihr Land von der Tyrannei zu befreien, der es gegenwärtig unterworfen ist. Die badischen Behörden müssen wissen, dass sie es mit hervorragenden Männern zu tun haben, die allen Respekt verdienen, und die unter Berücksichtigung der Lauterkeit ihrer Absichten beurteilt werden müssen.«

Diese Intervention eines italienischen Li­beralen vermag jedoch die liberale Konstanzer Zeitung nicht umzustimmen. Diese bringt in ihrer abschließenden Beur­teilung des Falls eine Haltung zum Aus­druck, die an aktueller Problematik kaum etwas eingebüßt hat: »Es handelt sich nicht um die Frage, ob man Verständnis und Sympathie für die Täter hat oder nicht; sondern es handelt sich darum, ob wir (!) es uns leisten können, ein paar Abenteurern zuliebe unsere Beziehungen zu einer Groß­macht zu gefährden. Und da sollte uns das Hemd denn doch näher sein als die Jacke. Wenn die Herren Bassanesi und Konsorten das Fliegen nicht lassen können, dann sollen sie sich andere Startplätze, meinetwegen auf dem Balkan, suchen, aber gefälligst das Deutsche Reich mit ihrem ungebetenen Be­such verschonen. (…) Zwischen dem Deut­schen Reich und Persien ist wegen der Dul­dung persischer Oppositionsgruppen in Berlin und wegen eines taktlosen Artikels eines deutschen Reisenden, Dr. Mathias, eine Verstimmung eingetreten, die unsere wirtschaftlichen Interessen in Persien aufs empfindlichste schädigt. Die Rückwirkun­gen auf unsere Stellung in Teheran sind denkbar groß und unangenehm. Sollen wir es mit Italien wegen einer Handvoll Hitz­köpfe ähnlich verderben, und das in einem Moment, wo wir die moralische Unterstüt­zung durch Mussolini dringender denn je brauchen?« (28. November).

Das Hemd der italienischen Diktatur und die Wahrung der eigenen Wirtschaftsinteressen war einem also näher als die Jacke der Demokratie und ihrer Freiheiten. Dass aus einer solchen Haltung kein nennenswerter Widerstand gegen den Nationalsozialismus erwachsen konnte, liegt auf der Hand. 1933, als die Nazis auch in Konstanz die Macht auf dem Rathaus übernommen hatten, sah die Konstanzer Zeitung in der ersten großen »Kommu­nalpolitischen Kundgebung« der NSDAP eine »neue Form der Demokratie«.

Aus heutiger Sicht mutet die leidenschaft­liche Stellungnahme, mit der Martin Venedey in einem Leserbrief an die Konstanzer Zeitung gegen deren Darstellung protestierte, fast wie ein letztes, chancenloses Rückzugsge­fecht an: »Zunächst legen wir mit aller Entschiedenheit Verwahrung dagegen ein, dass die Herren Tarchiani, Rosselli und Bassanesi in wegwerfendem Tone als ‚ein paar Abenteurer’ bezeichnet, richtiger be­schimpft werden. Es handelt sich durchweg um feingebildete, geistig hochstehende Menschen, die für ihre Überzeugung und die Sache der Befreiung Italiens von dem faschistischen Gewaltregiment die größten Opfer gebracht, Leben, Freiheit und Ver­mögen in die Schanze geschlagen haben. Tarchiani war früher einer der angesehen­sten italienischen Journalisten und Chefre­dakteur des liberalen Blattes »Corriere della Sera«, der gelesensten Zeitung Italiens. Die­se glänzende Position opferte er seiner Überzeugung, als die genannte Zeitung von ihren Eigentümern an die faschistische Par­tei verkauft wurde (…). Rosselli war schon in jungen Jahren Professor der National­ökonomie an einer Hochschule, dabei wohlhabend, jung verheiratet, mit den glän­zendsten Aussichten für die Zukunft. (…) Bassanesi endlich war ursprünglich Volks­schullehrer, ebnete sich unter Mühen und Entbehrungen und mit größtem Fleiße den Weg zur Hochschule und widmete sich dort dem Studium der Rechte. Seine antifaschi­stische Haltung zwang ihn zum Verzicht auf Studium und Zukunft und zur Flucht in das Ausland. Es geht nicht an, diese Leute, die persönlich die Achtung aller billig Denken­den verdienen, verächtlich als Abenteurer zu bezeichnen..«

Dass die in Konstanz angeklagten Italie­ner am Ende nur zu geringen Geldstrafen verurteilt wurden, war neben der Haltung der italienischen Regierung und verschiede­ner Solidaritätsaktionen vor allem der Tat­sache zu verdanken, dass die Demokratie zu diesem Zeitpunkt in Baden mit einer Regierung der Weimarer Koalition noch eine letzte Bastion besaß. Wenig später war in der deutschen Presse für Erklärungen wie der Martin Venedeys kein Platz mehr.

Heute sind in Konstanz die Ereignisse jener Monate vergessen, ebenso wie die Stadtgeschichte der Weimarer Zeit und der Jahre nach 1933. Eine wirkliche Verarbei­tung dieses Teils der lokalen Geschichte hat es nie gegeben. Vielleicht ist der »Konstanzer Antifaschistenflug« nur eine Episode, eine – wenn auch sehr aussagekräf­tige – Momentaufnahme vom Prozess der Demontage einer lokalen Demokratie, des scheinbar unaufhaltsamen Hinübergleitens in die Herrschaft des Nationalsozialismus. Diese Momentaufnahme allerdings macht Protagonisten und Mitläufer, aber auch Wi­derstände gegen diesen Prozess deutlich.

Die Stadt, aufgrund ihrer Grenzlage als letzte Zwischenlandestation vor dem ge­fahrvollen Flug über die Alpen gewählt, ist in historischen Darstellungen des Falls le­diglich Kulisse, für einige Wochen zufälli­ger Schauplatz eines Geschehens von inter­nationaler Bedeutung. Ein genauerer Blick auf die Konstanzer Gesellschaft des Jahres 1931 zeigt jedoch, dass internationale Ge­schichte und Lokalgeschichte nicht zu tren­nen sind, dass die Kulisse selbst Teil der Handlung ist. Eine neue Heimatgeschichte muss solche Schnittlinien und Bruchstellen zwischen »großer« Geschichte und Ge­schichte »vor Ort« im Auge haben, muss deren gegenseitige Abhängigkeit und Ver­mittlung zum Thema machen.

In der italienischen Geschichtsschreibung über den antifaschistischen Widerstand, ja selbst in vielen Gesamtdarstellungen zur italienischen Geschichte, hat das in  Konstanz gescheiterte Projekt als Moment einer breiten demokratischen Tradition des Widerstands, die gegen Ende des 2. Welt­kriegs in die Massenbewegung der »Resistenza« zum Sturz des Faschismus mündete, einen festen Ort. Entsprechend ist auch die Lokalgeschichte des Wider­stands in Italien gut erforscht und im öffent­lichen historischen Bewusstsein präsent. Das Fehlen einer solchen Tradition in Deutschland und die lange Zeit vorherr­schende Gleichsetzung des deutschen Wi­derstands gegen Hitler mit dem 20. Juli 1944 haben sicher mit dazu beigetragen, dass Un­ternehmungen, wie sie hier geschildert wur­den, in unserer historischen Erinnerung nicht mehr präsent sind.

© Werner Trapp

Quellen und Literatur:

Konstanzer Zeitung 1931

Deutsche Boden­see Zeitung 1931

Konstanzer Volksblatt 1931

Generallandesarchiv Karlsruhe: 233/25958

Enciclopedia dell‘ antifascismo e della Resistenza, Milano 1971

Esther Modena-Burkhardt: Giustizia e Libertà. Zürich 1974

Jens Petersen: Gli antifascisti italiani in Germania e il volo di Bassanesi del novembre 1931, in: II Movimemo di Liberazione in Italia, Jg. 20, Nr. 93/1968

ders.: Giustizia e Libertà e la Germania, in: Giustizia e Libertà nella lotta antifascista e nella storia d’Italia, 1978

Luigi Salvatorelli/Giovanni mira: Sto­ria d‘ Italia nel periodo fascista, Torino 1964