Georg Schramm mal wieder in Konstanz – und ausverkauft!

Diese „Nebelhorn“-Überschrift aus dem Jahre 1986 kann so auch auf seemoz 2013 erscheinen. Denn Georg Schramm, der Ausnahme-Kabarettist mit Konstanzer Wurzeln, kommt auf seiner Abschiedstournee 2013 auch in die Region: 24. Juli in Lindau, 25.7. in Konstanz, 26. Juli in Friedrichshafen. Alle Auftritte aber sind bereits ausverkauft. Letzte Chance, Schramm noch einmal live in der Region zu erleben, ist am 4./5. Dezember im schönen Casinotheater in Winterthur. Und da gibt es sogar noch Karten 

„Man könnte fast sagen: Es war ein Streit“

Kabarettist Georg Schramm über seine künstlerische Entwicklung und die Inuit-Jäger Ostgrönlands – aus: Nebelhorn Nr. 66, November 1986

NEBELHORN: Herr Schramm, Ihnen soll vom baden-württembergischen Kul­tusminister Meyer-Vorfelder der 1. Preis des Kleinkunstwettbewerbs in der Sparte Kabarett zugesprochen werden. Ich möch­te Dir – Ihnen – noch nicht gratulieren, weil Künstler ja in solchen Dingen aber­gläubisch sind. Ich darf doch Du sagen?

SCHRAMM: Das mit dem Du geht in Ordnung. Und das Gratulieren schon vor der Preisüberreichung hat mit was anderem zu tun. Ich möchte nicht Aberglau­ben sagen. Wir Künstler sind einfach hoch­sensibel für manche Dinge, die andere gar nicht wahrnehmen oder nicht für wichtig erachten. Diese hohe Sensibilität ist ja un­ser Kapital, quasi. Das möchte ich eher so verstanden wissen.

NEBELHORN: Hast Du mit dem Preis gerechnet?

Georg Schramm im Nebelhorn-Büro 1986

Kleinkünstler Schramm (Mitte) mit den RedakteurInnen Jörn Laakmann und Beate Becker beim NEBELHORN-Gespräch: „Ich scheide aus dem Putzplan aus”

SCHRAMM: Wenn du sowas machst, dann rechnest du nicht. Du fühlst dich eher wie ein Exhibitionist, der den Klep­permantel aufmacht und wartet. Du brauchst die Reaktion des Gegenüber. Und da ist es dann gleich, ob da Schrecken oder Freude ist, verstehst Du?

NEBELHORN: Du machst nicht nur Solokabarett, sondern Du bist auch Mit­glied des „Noien Paratheater“, einer freien, nicht mehr unbekannten Theatergrup­pe in Konstanz. Treibt Dein Erfolg als Solokünstler, im Blickpunkt der Öffent­lichkeit, einen Keil zwischen Dich und die Gruppe?

SCHRAMM: Zur Zeit nicht. Wir wer­den im Programm einfach meine Nennung nach vorne ziehen und doppelzeilig drucken und ich scheide aus dem Putzplan un­seres Proberaumes aus. Das übernehmen andere.

NEBELHORN: Wie wird sich Deine Zukunft als Solo-Kabarettist gestalten? Wie sind Deine Pläne? Weshalb machst Du überhaupt Solokabarett?

SCHRAMM: Man/frau kann sich im Spiel – und hier meine ich Spiel im erweiter­ten Sinne – nur ganz einbringen und selbst verwirklichen, wenn er/sie zunächst einmal mit sich allein ist. Jede Zusammenarbeit, die diesen Namen verdient, kann man/frau erst nach dieser Selbstfindung beginnen.

NEBELHORN: In Konstanz kursiert das Gerücht, dass Du, anstelle von Helmut Faßnacht, 1987 die Rolle des Dominikaner-Mönchen beim Starkbieranstich im Inselhotel bekleiden wirst. Ist das wahr?

SCHRAMM: Nein. Ich war im Ge­spräch, aber bei den Probeauftritten vor einem Gremium aus Lions und Rotariern versagte ich nach anfänglich wohlwollend aufgenommenen Reimen wie „Hansen-Pansen“ [Wilhelm Hansen, ehem. Kultur- und Sozialbürgermeister] und „Maus-Raus“ [Robert Maus, ehem. Landrat] beim Spontan­reim über Fischer [dem damaligen Baubürgermeister Ralf Fischer]. Dieses Malheur ist zwar auch schon Faßnacht im letzten Jahr passiert, aber gerade deshalb wollte man ja die Besetzung wechseln. Ich bin dann durcheinander gekommen und habe mir auch auf „Eickmeyer“ [dem früheren Oberbürgermeister Horst Eickmeyer] keinen Reim ma­chen können. Als ich dann auf „Gemein­derat“ mit „Kartoffelsalat“ antwortete, wurde die Vorsprechprobe abgebrochen, so dass ich mit einiger Wahrscheinlichkeit ’87 noch nicht zum Zug komme.

NEBELHORN: Bist Du, nachdem Du den Preis bekommen hast, auch bereit, fürs Fernsehen zu arbeiten?

SCHRAMM: Ja. Meine Performance „alpha – sand und omega“ ist gut ange­nommen worden. Ich arbeite da mit einem überschweren Schlagbohrer, der Rambo-Agressivität suggeriert. Du kennst die Stelle sicher, sie ist mit Strawinskys ,,Le sacre du Printemps“ unterlegt. Die Firma HILTI, der Marktführer für Profi­werkzeug, macht einen Videoclip mit mir als Rambo. Die Premiere ist anlässlich der „Inter-Baustoff 87″ im Februar in Kirchheim/Teck.

NEBELHORN: In der Performance sprichst Du auch ein Gedicht. Ist es Dein erstes Gedicht?

SCHRAMM: Nein, schon mein zwei­tes.

NEBELHORN: Ist das so etwas wie eine Zukunftsvision von Dir in diesem Ge­dicht?

SCHRAMM: Ja, so kann man’s nennen. Es ist während einer sehr intensiven Probe entstanden, in einer sehr direkten Ausein­andersetzung. Man könnte fast sagen: Es war ein Streit. Es ging um die Frage, ob irgend etwas Bestand hat außer dem Wechsel.

NEBELHORN: Ich halte das für eine sehr wichtig Stelle, Georg, die mich stark an den frühen Eckermann erinnert, bevor er unter Goethes Einfluss geriet. Wärst Du einverstanden, wenn wir unseren Lesern das Gedicht vorstellen?

SCHRAMM: Ja, ich glaube, das finde ich gut.

sand*Du sand Du
Strandgut schon als
wir
noch laichten
im urmeerauf steigst Du
zu
höchster reinheit
S I L I C I U M
diamant der kybernetik
rennbahn der logik
argusauge der todesengel
Du
anfang und ende
alpha und omega* (dem Silicium-Kristall gewidmet als Element höherer Ordnung als wir selbst.)

NEBELHORN: Besteht für Dich die Gefahr, dass sich Deine Persönlichkeit verändern könnte?

SCHRAMM: Ich kann darin keine Gefahr sehen, da ich schon lange darauf warte – ja, ich möchte sagen: geradezu in meiner künstlerischen Tätigkeit daraufhin arbeite. Dieser Erfolg ist ein weiterer großer Schritt vorwärts in der Überwindung meiner tief ausgeprägten Mutterbindung.

NEBELHORN: Ist es also für Dich so eine Art Psychotherapie?

SCHRAMM: Es ist mehr; es geht über das individuelle Überwinden hinaus, da ja der Zuschauer daran teilhaben kann.

NEBELHORN: Kann man bei Dir von einer Form künstlerischer Entwicklung sprechen?

SCHRAMM: Ich möchte da etwas weiter ausholen. Meine Mutter erzählte mir in meiner Kindheit oft, dass sie mit ihrer Arbeitskollegin die gemeinsame Rommé-Kasse plünderte, um Richard Tauber in Berlin singen hören zu können. Ein Stehplatz kostete sie etwa einen Wochenlohn. Auf diese Weise wurde von meiner Mutter früh Interesse für den Glanz der Bretter, die die Welt bedeuten, wie man so schön sagt, geweckt.
Als ich 14 Jahre alt war, verschaffte mir meine Mutter die Gelegenheit, das Taschengeld als Kulissenschieber zu verdienen. In meiner Heimatstadt Bad Homburg gehörten die Aufführungen von Wanderbühnen – mangels eines eigenen städtischen Ensembles – zu den Höhepunkten des kulturellen Lebens des Bürgertums. Da ich diesem, kraft meiner Herkunft, nicht angehörte, sah ich die Aufführungen hinter der Bühne. Der unmittelbare Kontakt mit berühmten Schauspielern – ich wurde mehrfach nach der Aufführung zu einem Bier eingeladen – und der wiederholte Einsatz als Hilfsbeleuchter taten ein übriges.
Dieses kreative Element in mir trat jedoch zurück vor dem Bestreben, zunächst eine bürgerliche Existenz zu gründen. Erst nachdem ich mich als Inhaber von Examen, Frau und Kindern als gesellschaftsfähig erwiesen hatte, ist das andere wieder an die Oberfläche gekommen. Stark beeinflusst hat mich dann später die Begegnung mit den Inuit-Jägern in Ost-Grönland mit ihren alten Kulttänzen und Trinkritualen und die Workshops des „Noien Paratheater“, die klassische Clownschule von Hildegard Schneider-Rojas und Joanez-Brandez. Nicht zu vergessen auch die ganz praktische und zutiefst manuelle, sozusagen handgreifliche Erfahrung beim gemeinsamen Herstellen einer Kasperlebühne.

NEBELHORN: Wie schätzt Du die gegenwärtige Kabarett-Szene der Bundesrepublik ein? Namen wie Hildebrandt, Polt, vielleicht auch der Hüsch wären zu nennen. Und wo siehst Du Dich in diesem Spektrum? Hast Du Vorbilder? Oder auch Antivorbilder, Leute, von denen Du sagen würdest : So sollte man es nicht machen?

SCHRAMM: Wir, genauer gesagt, gerade Ihr vom Nebelhorn, solltet das nicht so national sehen. Um so mehr, als die Kelter-Walser-Debatte zum Begriff der „Deutschen Nation“ weit über die Region hinaus bis nach Bregenz Wellen geschlagen hat. Ich finde es ungerechtfertigt, dass hier die österreichische Kabarettszene von Dir außenvor gelassen wird. Ja, ich möchte sogar noch weiter gehen und sagen, dass Du statt Hüsch auch hättest Hohler sagen können; beide sind mir von ihrem literarischen Anspruch her sehr wichtig. Aber ich möchte noch weiter gehen: Auch die neurotischen Verletzlichkeiten eines Woody Allen mit seiner gebrochenen maskulinen Identität sind nicht ausschließlich Amerikanismen, die auf die Metropolis New York beschränkt sind. Da ist vielleicht „Vorbild“ zu hochgegriffen; aber Anknüpfungspunkte sind da schon auch außerhalb des deutschsprachigen Raumes.

NEBELHORN: Wirst Du Deinen Beruf – Psychologe – wegen des Kabaretts an den Nagel hängen?

SCHRAMM: Nein, nein: Das seht Ihr zu plakativ. Da ist kein Widerspruch. Ich habe meine Arbeit als Psychologe schon immer verstanden als Versuch, durch dosierte Diskrepanzerlebnisse die Verhaltens- und Erlebnisspanne des einzelnen Individuums zu erweitern und dadurch auch zu bereichern, wie Festinger [1919-1989, US-amerikanischer Sozialpsychologe] das in seinen frühen Schriften beschrieben hat. Meine künstlerischen Bemühungen sind ja letztlich nur – nur in Anführungsstrichen, versteht sich – Ausdruck des kreativen, semibewussten Anteils meines Selbst, die letztlich dem selben Ziele, der selben Bestimmung folgen. Das Ziel verändert sich keineswegs, während ich die Ebene der singulären Existenz, des Einzelindividuums verlasse und mich der Gruppe als einer größeren sozialen Entität zuwende. Ich will hier gleich einem möglichen Einwand vorgreifen: Ich will keineswegs die Familie in jedweder Form vernachlässigen; sie ist nur nicht mein Genre — das hängt mit meiner überstarken Mutterbindung zusammen, auf die ich hier aber nicht eingehen möchte.
Also, ich setze die von Festinger so benannten „dosierten Diskrepanzerlebnisse“ nicht nur beruflich auf der Ebene des akut kränkelnden Individuums ein, sondern ich arbeite mit meiner kreativen Begabung prophylaktisch an als „gesund“ definierten Gruppen unserer Gesellschaft um sozio-dynamischer Einengung vorzubeugen. Ich habe …

NEBELHORN: Dein Soloprogramm hast Du in Konstanz bereits sechs Mal gespielt und wirst es am 11. und 12. Dezember im Stadttheater in aktualisierter Form wiederholen. Glaubst Du, dass diese Vorstellungen noch besucht sein werden?

SCHRAMM: Ja, was glaubt Ihr denn, weshalb ich um dieses Interview gebeten habe? Noch nicht eine Zeile habt Ihr über mein Soloprogramm geschrieben. Seitenweise kommt Ihr mit irgendwelchen LP-Rezensionen, aber wenn dann mal einer in dieser Stadt gutes Kaba…

NEBELHORN: Georg, wir bedanken uns für dieses Gespräch und wünschen Dir Toi Toi Toi.