Wie ein Abgeordneter sein Mandat versilbert
In Mannheim waren sie stolz auf den Gastredner. „Peer Steinbrück tritt nicht überall auf“, bemerkte die Stadtmarketing Mannheim GmbH – was heißen soll: Der ehemalige Finanzminister weiß Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Diesen fürstlich entlohnten Auftritt des Abgeordneten Steinbrück nimmt www.abgeordnetenwatch de zum Beispiel, um über die Abzocke unter Abgeordneten zu berichten. Wir dokumentieren den Report der überparteilichen, unabhängigen Internet-Plattform
„Insofern war der 23. April 2010 kein guter Tag für den Deutschen Bundestag. Denn Peer Steinbrück, der seit der Bundestagswahl im September 2009 ein ganz normaler Abgeordneter ist, entschied sich an diesem Tag gegen seine Anwesenheit im Berliner Reichstag, wo der Wirtschaftsminister eine Regierungserklärung vortrug und anschließend über Wachstum, Arbeitsplätze und Mindestlöhne debattiert wurde. Statt dessen bevorzugte er einen privaten Auftritt vor Gästen eines großen Beratungsunternehmens bei der „Leitmesse für Finanzprofis“ im Mannheimer Rosengarten. Für einen einzigen Vortrag erhält der Finanzminister a.D. in der Regel ein Honorar von mindestens 7.000 Euro.
Knapp drei Monate ist es her, da berichtete abgeordnetenwatch.de erstmals über die Causa Steinbrück. 13 Honorar-Vorträge hatte der ehemalige Finanzminister bis dato in der noch jungen Wahlperiode gehalten, zugleich aber nicht den Eindruck erweckt, als wäre er in seiner neuen Funktion als Abgeordneter mit großem Engagement bei der Sache: Bei sechs von elf wichtigen Bundestagsabstimmungen fehlte Steinbrück, nicht eine einzige Parlamentsrede hatte er bis dahin gehalten, und auf die sieben Bürgeranfragen bei abgeordnetenwatch.de antwortete er auch nicht.
Nun gibt es Neues in Sachen Steinbrück. Vor kurzem hat er dem Bundestagspräsidenten neue Vorträge gemeldet, 16 an der Zahl. Insgesamt hat Steinbrück somit seit der Bundestagswahl 2009 29 Privat-Vorträge gehalten und dafür mindestens 199.500 Euro an Honorar erhalten. Es könnte theoretisch aber auch das Doppelte oder das Dreifache sein, so genau weiß das niemand, außer Steinbrück selbst. Denn Bundestagsabgeordnete müssen nicht die genaue Summe nennen, die sie zum Beispiel für einen Vortrag erhalten, sondern es reicht eine ungefähre Angabe. Dafür gibt es im Bundestag ein Stufensystem: Nebeneinkünfte zwischen 1.000 und 3.500 Euro können Abgeordnete gegenüber der Öffentlichkeit hinter der Angabe “Stufe 1? verbergen, für Einkünfte zwischen 3.500 und 7.000 Euro ist es “Stufe 2? und für alle darüber liegenden Bezüge die “Stufe 3?.
28 Vorträge für 199.500 Euro
Steinbrück hat seit September 2009 insgesamt 28 Vorträge für jeweils mehr als 7.000 Euro (Stufe 3) und einen weiteren Vortrag der “Stufe 2? gehalten, macht eine Mindestsumme von 199.500 Euro. Seine Einkünfte aus Vorträgen übersteigen damit sogar das Einkommen der Bundeskanzlerin, die auf 189.993,48 Euro pro Jahr kommt.
Darüber hinaus gibt der Ex-Minister unter dem Punkt „Hoffmann & Campe Verlag GmbH, Hamburg, Publizistische Tätigkeit, 2010, Stufe 3“ Einkünfte von mindestens 7.000 Euro an. Das Buch, das sich hinter diesen Einkünften verbirgt, soll in den nächsten Wochen erscheinen. Aus Branchenkreisen ist zu hören, dass ein Autor vom Range Steinbrücks mit einem Garantie-Honorar des Verlags in Höhe von etwa einer Viertelmillion Euro rechnen kann. Außerdem ist Steinbrück Aufsichtsratsmitglied der ThyssenKrupp AG. Dieser „überschaubare Job“ (Welt online) wurde in der Vergangenheit mit einer Entschädigung von annähernd 250.000 Euro pro Aufsichtsratsmitglied vergütet.
Die Haupttätigkeit als Abgeordneter leidet
Angesichts von 28 Honorar-Vorträgen sowie seiner publizistischen Tätigkeit als Buchautor ist die Frage geboten, ob im Fall Steinbrück tatsächlich noch die Rede davon sein kann, dass hier jemand einer Nebentätigkeit nachgeht. Zumal darunter die Haupttätigkeit zu leiden scheint: Seit Dezember 2009 fehlte Peer Steinbrück bei zwölf von 19 wichtigen Bundestagsabstimmungen. Während er 29 Vorträge gegen Honorar hielt, sprach er in dieser Wahlperiode noch kein einziges Mal zu den Bürgerinnen und Bürgern vom Rednerpult des Deutschen Bundestags. Und dass Steinbrück im Parlament fehlt und am gleichen Tag als Referent in privater Mission unterwegs ist, ist auch kein Einzelfall: Neben seiner Abwesenheit bei der Sitzung vom 23. April wegen seines Auftritts beim Finanzsymposium in Mannheim wird Steinbrück auch bei der Haushaltsdebatte am 21. Januar 2010 vom Plenarprotokoll als entschuldigt – also fehlend – geführt . An dem Tag sprach er als Gastredner auf der „Trend und Service Messe EK Live“ in Bielefeld.
Es sieht nicht so aus, als würde Peer Steinbrück bei seinen Nebentätigkeiten in Zukunft kürzer treten. Für den 22. Oktober hat er beim Deutschen Logistik-Kongress zugesagt, fünf Tage später bei der DKM-Kommunikations-Messe. Dazu kommen öffentliche Lesungen aus seinem neuen Buch.
Vielleicht hat der Fall Steinbrück etwas Gutes und ist Auslöser für eine breite und öffentliche Diskussion darüber, ob wir nicht neue Regeln brauchen, damit Nebentätigkeiten tatsächlich Nebentätigkeiten sind bei einem Vollzeit-Job wie dem eines Bundestagsabgeordneten“.
Autor: abgeordnetenwatch
Foto: Peter Schmelzle