Allen wohl und niemand wehe – Bürgers Fastnacht
1985 und heute – was hat sich an der Fastnacht verändert? Wohl wenig, wenn man dem „Nebelhorn“ von vor fast 30 Jahren glauben mag. Immer noch die sexistischen Witze, immer noch die spießigen Anspielungen. Man greift zurück auf die spektakulären Ereignisse in der Stadt und verarscht die Beteiligten. Tut man das? Deckt man Skandale auf? Hält man den Inkompetenten, den Pfuschern, den Fehlgeleiteten einen (Narren-) Spiegel vor? Übt man Kritik an den Verhältnissen? Mitnichten
Allen wohl und niemand wehe — Bürgers Fasnacht
aus: Nebelhorn Nr. 45, Februar 1985, von Mick
Ho Narro. Die Welt der Narren ist wieder in Ordnung. Bis zum Aschermittwoch läßt es sich in Konstanz und anderswo wohl sein. Die Fasnacht, auf die nicht wenige („’s goht degege“) zuleben, dauert diesjahr bis zum 19. Februar. Unser Artikel will die närrische Zeit und ihre Hintergründe einmal aus einem anderen Blickwinkel aufzeigen als dem bekannten, wobei nicht alle Aspekte berücksichtigt, einige Fragen bloß angerissen sind. Gleichwohl wird deutlich werden: Fasnacht ist in der Hauptsache eine höchst reaktionäre Angelegenheit.
In der Fastenzeit, vornehmlich in der Karwoche, geht der Bürger und Christ in sich und überdenkt sein sündiges Leben. An Ostern ist er erst mal erlöst. Pfingsten, an Pfingsten gibt‘,s Lamm für den Gläubigen, nachdem er zur Himmelfahrt am Vatertag eher flüssige Nahrung bevorzugt hat. Übern Sommer bietet das bürgerliche-kirchliche Jahr kaum Höhepunkte außerm Weinfest. Der Emtedank und die Kirchweihen sorgen noch einmal für Umtrieb, ehe im Advent die innere Einkehr wieder an der Reihe ist. Die deutsche Weihnacht, das Erscheinungsfest, und dann, endlich: die Fasnacht, des Spießers angeblich lockerste Zeit.
Lasset euch verkünden, liebe Leserin, geneigter Leser, was sich in unserer Region derzeit und jedes Jahr um diesen Dreh herum in Wirklichkeit tut, soweit ihr Protestanten, Zugezogene oder auch überzeugte Narren seid. Machen wir uns miteinander Gedanken, was lustig sei, fröhlich, ausgelassen, darüber, wie man hierzulande mit den Begriffen umgeht.
Volkskundler ziehen wir dabei keinen zu Rate. Der Spur nach wissen wir um die Wurzeln der Fasnacht, um die Ursprünge von Brauchtum und Eingefahrenem. Nach den Vorstellungen der Aktiven sind wir natürlich nicht befugt, die Problematik aus unserer Sicht zu beleuchten. Das nehmen wir mal hin.
Viele Religionen kennen Feste der Lockerungsübungen. Die Alleinseligmachende folgt da einer Tradition. Mit der Fasnacht kanalisierte sie nicht nur das Bedürfnis des Menschen, einmal Fünf gerade sein zu lassen, ließ also eine Art Saturnalien zu — sie gab auch den Resten vorchristlicher (keltischer, germanischer, römischer, orientalischer) Götterverehrung noch ein winziges Reservat mit Mummenschanz und vermeintlicher Winteraustreibung. Ein Betrug selbstverständlich an den Abhängigen, denn die gewährte vermeintliche Freizügigkeit für ein paar Tage stürzt die Menschen jedes Jahr wieder in die Bußbereitschaft unter klerikalem Kommando.
Gegengewicht Aschermittwoch
Fasnacht, Fasching, Karneval – sie sind nicht denkbar, und sie funktionieren nicht ohne das Gegengewicht des Aschermittwoch. Deshalb sind nichtkatholische Narren noch lächerlichere Figuren als die Umtriebigen, die in der Pflicht stecken.
In Konstanz beobachtet der Neubürger verschiedene Ebenen der Fasnacht. Er steht „historischen“ Erscheinungen gegenüber, wie den Blätzlebueben, neuerdings „Hänsele“ und sonstwelchen Kreationen. Er mischt sich besser nicht in die Auseinandersetzungen darüber, ob es zulässig sei, an überlieferte Vorbilder anzuknüpfen, wie das aktuell im gesamten schwäbisch-alemannischen Fasnachts-Raum geschieht. Denn so alt wie vor allem die bekanntesten Zünfte, Rottweil, Villingen, tun, so alt ist das ganze äußere Gehabe auch wieder nicht.
Also, die Blätz im Fleckenhäs, keinesfalls etwas Einmaliges im Genre. Volks- und Landeskunde: Erinnerung an die Vermummung zum Schutz vor der Pest? Armer Leute Gewand? Wieso keine geschnitzten Masken im reichen Konstanz? Was lief hier vor der Reformation ab? Diese Fragen mag im Herzen bewegen, wer in den Konstanzer Straßen und Gassen steht, in überfüllten Gaststuben und Kellern gedrückt, gestoßen, geschunkelt wird und da meint, er erlebe etwas ganz Uriges, Althergebrachtes.
„Ergernuß und Sünden“
Leicht darüber weg geht Wilhelm Quenzer in einem Beitrag zum Band „Unser Konstanz“, einem Heimatbuch, das die Stadtverwaltung 1950 vornehmlich für Kriegsheimkehrer publizieren ließ:
„Dabei war eine alte Fasnachtstradittion auch in Konstanz einmal gegeben. Als im Jahre 1526 in der Reformation ,wegen allerlei Schadens, ergernuß und sünden‘ das Vermummen, Verbutzen und Verkleiden an Fasnacht und, vorab alles tanzen‘ verboten wurde, stahlen sich viele Konstanzer heimlich in die Schweiz, wenn ihr Blut wie gewohnt zu rumoren begann, und die Konstanzer Fasnacht hat sich auch später allen Bedenken der Karlsruher Bürokratie zum Trotz wieder recht gut erholt. Und schließlich kommt es ja nicht nur auf ein Bewahren an, das leicht zur Erstarrung führen kann, sondern auch auf ständige Erneuerung und Weiterentwicklung aus dem alten Geist, wenn die Fasnacht wirklich lebendig bleiben soll.“
Damit lassen es auch wir bewenden mit dem „historischen“ Teil, der hier, wie in anderen reformierten Städten (Beispiele Ravensburg, Biberach), von einem deutlichen Bruch kündet. Wir können Wilhelm Quenzer nicht folgen, wenn er behauptet:
„Das echte Schnurren und Strehlen ist eine Kunst; denn bei aller Derbe und Deutlichkeit, die nach altdeutscher Art ein jedes Ding bei seinem rechten Namen nennt, soll doch immer Humor versöhnen. Das Antworten steht jedem frei, und jeder kann in dem lustigen Hin und Her zeigen, was er vertragen kann. Niemals aber zieht man so den Kürzeren, wie wenn man verrät, daß man kleinlich ist.“
Wunschdenken, Idealisierung, die Annahme, es trage sich auf der Straße und in der Kneipe so zu in Rede und Gegenrede zwischen Narr und Prominenz wie in einem altdeutschen Bühnenstück. Wer Gelegenheit hat, zuzuhören bei solch einer Anmache, der wird konstatieren, wie platt und dumm es hergeht. Hergehen muß unter der Vorgabe „Allen wohl und niemand wehe“. Auf die spezifisch konstanzerisch-fasnachtliche Verarbeitung von Witz und dem, was da Humor sein will, müssen wir eh noch ein paarmal zurückkommen.
Großstadt-Vereinsregister
Machen wir doch der Einfachheit halber eine vorläufige Liste, auf die wir die Blätz und ihre Epigonen bereits gesetzt haben und die fortgeführt werden mag mit den Hemdglonkern, mit „spontanen“ kleinen Gruppen aus Cliquen-Initiativen verschiedendster Herkunft, die alle auf der Straße, in den Kneipen und Hallen zugange sind. Obenan aber muß im alemannischen Konstanz der rheinische Karneval stehen, rund hundert Jahre alt, der auf dieser Höhe des Rheins in zahlreichen Gesellschaften begangen wird. Das ist die Saal-Fasnacht, das sind die „Konzerte“ und die bunten Abende. Verantwortlich dafür zeichnen (wir haben uns den heurigen „Fahrplan“ der Veranstaltungen besorgt): die Hexenzunft Münster, Kamelia-Paradies, Fürstenbergler, Giraffen, Niederburg, Mainauer Paradiesvögel, Moorschrat Dettingen, Negerdorf (!), Alet Allensbach, Pfaffenmooser, Elefanten, Freie Konstanzer Blätz, Seehasen, Zeppelin, Kuckuck Litzelstetten, Blätzlebueben, Schneckenburg, Laugele Gumper, Ala-Bock Dingeisdorf, Quaker, Seegeister, Schlafkappen Hegne. Ein Vereinregister, das einer Großstadt anstünde.
Man tut sich solche geselligen Begegnungen mit Programm ja nicht unbedingt freiwillig an. ‚S half nichts. Kurz vor Redaktionsschluß waren wir bei den Fürstenberglern in der „Linde“ und bei den Giraffen im „Rößle“, jeweils in Wollmatingen. Das Ergebnis entsprach unseren Erwartungen. Man greift hier zurück auf die spektakulären Ereignisse in der Stadt und Region und verarscht die Beteiligten. Tut man das? Deckt man Skandale auf? Hält man den Inkompetenten, den Pfuschern, den Fehlgeleiteten einen (Narren-)Spiegel vor? Übt man Kritik an den Verhältnissen? Bewahre.
Breitseiten aufs „Pack“
Wenn der Spießer die Dinge in die Hand nimmt, dann geht es eben nicht über die Pegelmarke „Stammtisch“. Die an der Macht Befindlichen bleiben letztlich ungeschoren, auch wenn sie scheinbar der Lächerlichkeit preigegeben werden. Breitseiten bekommt – wie auch in gemütlicher Runde das Jahr über – das „Pack“ ab. Die Minderheiten, dem Bürger ein Dorn im Auge, wehrlos, seiner Einschätzung nach ehrlos, sie würden ihm außerhalb der Fasnacht keine Schwierigkeiten machen, wie er das von seinesgleichen befürchten müßte. Also drauf!
„Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ im Kleinen, noch ein paar Nummern peinlicher, dünner, instinktloser als das unsägliche Fernsehspektakel. Aber im Konstanzer Saal ist man mittendrin im Geschehen, und man kann es den Mainzer Pinguinen und Pfauen gleichtun.
Farben abwaschbar
Wir könnten grad so weitermachen, feststellen, wie sich auch hier die lokale Presse der Liebdienerei schuldig macht, sollten noch ein bißchen tiefer gehen, darüber nachdenken, was es mit den Zentnern von Orden auf sich habe, mit dem offensichtlichen Transvestismus, mit der Frauenfeindlichkeit an den bunten Abenden (die Bürgerfrauen machen da aktiv mit), aber jeder, der über die Fasnacht reflektiert, wird zu ähnlichen Ergebnissen kommen: Zwischen Dreikönig und Aschermittwoch ist die Welt ein bißchen anders eingefärbt; die Farben sind abwaschbar. Das wäre ja noch schöner.
Ein Abend in den Konstanzer Kneipen. Man hat sich zuhause zurechtgemacht, unkenntlich oder schön oder abstoßend. Man fährt mit dem Bus in die Stadt. Schon im „großen roten Daimler“ können sie hochgehen, „die Wogen der Stimmung“, zumal, wenn ein besonders Humorvoller im Wagen ein, zwei Stinkbomben hat detonieren lassen. Es liegt nun an dir selbst, aus dem Abend etwas zu machen, und wenn du ehrlich zu dir bist, dann wirst du sehen: es läuft, wie sonst auch, wenn du gut drauf bist. Mag sein, daß das Drumherum ein wenig „anregender“ ist, daß die Schranken früher fallen, die der Alkohol einreißt, daß die Bereitschaft zu spontaner Kommunikation deutlicher signalisiert wird. Es kann eine fröhliche Nacht werden. Es gibt ja auch noch den überregionalen Faschings-Begriff, der wohl das ganze Jahr über gilt. In den Diskotheken zum Beispiel.
Die erwähnten kleinen Gruppen auf unserer vorläufigen Liste, entweder gleich gekleidet oder dasselbe Ziel verfolgend (als Schuhputzer etwa schwarze Stiefel weiß zuzuschmieren), sie gehören manchmal zu den wirklich pfiffigen Fasnachtsdarstellern. Hier können Witz und Humor greifen.
Hemdglonker langen zu
Auch bei den Konstanzer Schülern, die als Hemdglonker ihre Lehrer durch den Kakao ziehen dürfen, wird deutlich, was Fasnacht bedeuten könnte. Nochmals unser Gewährsmann Wilhelm Quenzer, 1950: „Der Brauch soll in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstanden sein, wie ein Konstanzer
Professor sich weigerte, die Schüler der höheren Klassen mit Sie anzureden und sie stattdessen mit ,Hemdglonker‘ d.h. kleine Kinder titulierte. Die schwer gekränkten Schüler sollen damals beschlossen haben, es dem Lehrer ordentlich heimzuzahlen.“ Wer Druck macht – in unserm Fall das Schulsystem -, der schafft ein Ventil: Einmal im Jahr kann der Schüler seinen Frust austoben; den Rest der Zeit hat er zu kuschen. Dabei hat er nicht einmal die Garantie, daß seine Pädagogen leichten Sinns darüber hinweggehen, trifft er sie beim Hemdglonker-Umzug mit Persiflage, Satire oder einfach einem bösen Porträt ins Innerste.
Den Kindern möchten wir die närrische Zeit nicht vermiesen. Was besagtes bürgerlich-kirchliehe Jahr für sie bereithält — von Nikolaus, Weihnachten, Ostern bis zu einer fetzigen Straßenfasnacht, das sollen sie auskosten, das ist ihnen gemäß. Sie müssen nicht über Schwiegermutterwitze lachen (Tatät Tatät Tatät), dürfen sein, was sie darstellen möchten und haben allen Grund, sich die alten Rechte von den Erwachsenen auch heute abzutrotzen.
Lichtblick Helmut Faßnacht
Ausnehmen von unserem kritischen Rundschlag müssen wir auch die wenigen Akteure der Fasnacht, denen es ernst ist mit den Freiräumen, die der Anlaß durchaus bieten kann. Wir denken da an Leute wie Helmut Faßnacht, der den Konstanzer Rahmen schon lange sprengt. Es ist ja nichts zwangsläufig so, daß Narretei nicht konkretes Kabarett auszulösen vermöchte. Gäbe es bloß mehr solche Lichtblicke, solche Ausnahmen, die leider die Regel bestätigen.
Zum Schluß noch ein wichtiger Aspekt. Alles, was in Konstanz unter die Rubrik Frohsinn fällt, hat mit Geld zu tun, wenn wir mal vom Alkohol absehen (und der kostet ja auch seinen Preis). So ist die Fasnacht vornehmüch für die Gastronomie eine wichtige Saison. Es folgen der Einzelhandel und Zweige des Handwerks, die Friseure etwa. Und da schließt sich der Kreis.
Anderwärts stellt es sich völlig unverholen dar, daß Karneval und Kommerz nicht nur den Anfangsbuchstaben gemein haben, bei Umzügen in Stuttgart zum Beispiel, die den Namen „Industriekorso“ verdienten. Womit wir bei den Schwaben angelangt wären. Aber damit müßten wir wieder neu einsteigen und Klage darüber führen, daß die Konstanzer Fasnacht zu einem hohen Prozentsatz von sogenannten Schwabenwitzen getragen wird. Und das Thema halten wir für abgeschlossen.
Mick
Dieser Beitrag macht deutlich, wie schwer es die alemannische Brauchtumsfastnacht hat, ihren eigenen Kern verständlich zu machen. Das eine ist die Ablehnung der Narrenwelt als katholisch und spießbürgerlich, das andere die Entartung zur reinen Sauf-und Spaßgesellschaft. Wilhelm Quenzers Definition
,die der Autor rundum ablehnt, tritt aber sehr gut den Kern schwäbisch-alemannischer Fasnet. Es geht um das närrische Rüge- und Heischerecht. Im Artikel passiert wieder eines: Es werden alle irgendwie entstandenen Narrenvereine in einen Topf geworfen. Dabei ist nur einer in Konstanz schwäbisch-alemannisch! Man muss die Fastnacht leben, um die Feinheiten in ihr erkennen zu können.
Meine Kritik an der Narretei habe ich immer so zusammengefasst, dass viele hier die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln praktizieren. Das fängt beim Landrat an und umfasst den letzten Dorfbürgermeister. Kritischer Narrengeist will gelernt sein. Das gilt für alle – auch die Kritiker. Aber damit tun sich alle schwer.
1978 habe ich nach dem Konstanzer Narrentag den örtlichen Top-Veranstalter als „Faschingsprinz“ bezeichnet, weil er sich so auch verhalten hat. Der Artikel stand dann auch als Abdruck in der Narrenzeitung der Vereinigung Hegau-Bodensee. Auch da ist bisweilen Selbstkritik gefragt. Aber das ist schon wieder weiter ab von Konstanz.