Prost Bundeswehr! (20)
aus: Nebelhorn Nr. 42, November 1984, von Jochen Kelter
H. Willauer wird im Impressum des „Südkurier“ mit der in Klammern gesetzten Bemerkung „Seite 3“ geführt. Sie wissen schon, dieser Bauchladen aus Politik und Gesellschaft, das Meldungs- und Meinungsgrab im „Südkurier“, das Kurzwarenschaufenster aus zusammengeleimten Agenturberichten. Da ich bei meiner Lektüre selten bis auf Seite 3 vorstoße, kannte ich H. Willauer bislang nicht.
Immer nur Seite 3! Immer nur Papierschere und Klebstoff!, wird sich Herr Willauer gesagt haben. Und so hat es sich Anfang Oktober ’84 auf die erst Seite vorgemogelt und dort im militärischen Rang eines Oberstabsmundschenks bei einem südlich von Pinneberg stationierten Pionierbataillion einen Kommentar mit dem schönen Titel „Wenn Soldaten trinken“ plaziert.
Ach, wenn Soldaten trinken! Dann schlagen die Herzen der Mädchen höher, dann fahren in der Lüneburger Heide die Panzer Slalom, dann haben Fuchs und Hase einen in der Krone.
Aber nichts da! Offenbar haben wir Herrn Willauers Titel mißverstanden. Er will uns gar kein positives Bild unserer Bundeswehr1 zeichnen. Im Gegenteil, er läßt uns – soweit ihm dies als militärischer Geheimnisträger gestattet ist – in Abgründe blicken. Man lese nur den Anfang: „Die Einrichtung des Wehrbeauftragten wird von keiner Seite in Frage gestellt.“ Ein Satz bedeutungsschwanger wie ein Orakel. Und mit doppeltem Boden. „Die Einrichtung des Wehrbeauftragten…“ Dem Verdacht auf Landesverrat wird unser Herr Willauer immer mit dem Hinweis auf die Möbel des Wehrbeauftragten begegnen können. “ Es ist gut, daß es ihn gibt…“ Obwohl? Habe ich richtig geraten? Die geheime Botschaft verstanden? Obwohl der ständig betrunken ist?
Nicht gut, daß es sie in unserer Truppe gibt, sind „zwein Mängel“: „Die unzureichende medizinische Versorgung… und… den übermäßigen Alkoholgenuß. Was die fehlenden Sanitätsoffiziere betrifft, ist es Aufgabe des Verteidigungsministeriums, schnell auf eine Besserung zu drängen.“ Damit die Schnapsleichen nicht dauernd in den öffentlichen Anlagen rumliegen.
„Daß die Soldaten gerne und zu viel Alkohol trinken, ist kein Geheimnis.“ Mehr noch, eine offene Folge. „Sie sind aber in dieser Beziehung ebenfalls nur ein Teil unserer Gesellschaft – und in der wird überall zuviel getrunken.“ Eine Nation wie aus einem Guß: wehrwillig und blau wie ein Veilchen.
Jochen Kelters Glossen erschienen zwischen Dezember 1982 und März 1986 unter dem Pseudonym „Sunny“ im Regionalmagazin Nebelhorn, Konstanz. Seine Kolumnen, die zumeist Leitartikel des damaligen Südkurier-Chefredakteurs Franz Oexle zerpflücken, reflektieren die großen Ereignissen der damaligen Zeit: Mit Kanzler Helmut Kohl (CDU) beginnen bleierne Jahre, die NATO-Aufrüstung löst eine breite Antikriegsbewegung aus, die IG Metall kämpft für die 35-Stunden-Woche, die USA überfallen Grenada, die Flick-Parteispenden-Affäre fordert ein paar Opfer …Sunnys Glossen zeichnen somit auch das Bild bewegter Jahre – mit Hausbesetzungen, Friedensblockaden, der zunehmenden Vernetzung regionaler Initiativen und Alternativzeitungen. Dazu gehörte das selbstverwaltete Nebelhorn, das 1980 zuerst als „Stadtzeitung für Konstanz“ erschien, ab 1984 als „Regionalmagazin für Politik und Kultur“ firmierte und bis 1989 über Ereignisse und Entwicklungen im westlichen Bodenseeraum berichtete.1986 erschienen die 35 Glossen im Drumlin-Verlag unter dem Titel „FINSTERE WOLKEN, VATERLAND. Die deutsche Provinzpresse greift ein“. 35 Glossen. Mit einem Nachwort von Pit Wuhrer. Weil das Buch längst vergriffen ist, erscheinen die 35 Episoden nun als Online-Neuauflage auf seemoz, immer sonntags.Vorwort von Jochen Kelter zur Online-Neuauflage der „Sunny“-Glossen
Freund Willauer holt sich die Flasche Korn, steigt über einen im Vollrausch schnarchenden Kollegen an seinen Schreibtisch zurück und fährt fort: „Im privaten Bereich ist es aber trotzdem anders, denn dort gilt das Prinzip von Befehl und Gehorsam nicht.“ Will sagen, wenn der Chefredakteur in schöner Trunkenheit einen Artikel über Alkoholismus befiehlt, muß dem nicht unbedingt Folge geleistet werden.
„Wenn aber bei der Bundeswehr ein Vorgesetzer in angetrunkenem Zustand einen Befehl erteilt, hat das eine andere Dimension“. Genau. Etwa so: Als Ihr Kommandeur, Meier, gebe ich Ihnen, hips, zum letzten Mal den Befehl, auf den roten Knopf für die verdammt Rakete zu drücken.
Und zum Schluß wieder Freund Willauers militärisch geschulte Diskretion: „Die gestrige Debatte war aber nicht der richtige Zeitpunkt, allgemeine Vorwürfe gegen den Verteidigungsminister zu erheben.“ Die Kamera fährt einen sanften Schwenk. Minister Wörner ist wieder mal voll.
Sunny November 1984
Anmerkungen:
1 Bis Ende Juni 2011 gab es in Deutschland die Wehrpflicht. Das heißt, viele Soldaten waren zwangsweise eingezogen worden. Seit Juli 2011 dienen in der Bundeswehr nur noch Freiwillige.