Dieser unser Feiertag (26)

aus: Nebelhorn Nr. 48, Mai 1985, von Jochen Kelter

Ein Festtag steht bevor, ein Feiertag ins Haus: der 8. Mai. An diesem Tag wurde vor vierzig Jahren in diesem unseren Lande der Grundstein für eine glückliche Zukunft ohne Juden, Zigeuner, Kommunisten und Emigranten gelegt. An diesem Tag ging die Rechtsnachfolge des 3. Reichs in die Hände unserer amerikanischen Freunde und aus diesen schon bald in andere Hände über. Nun ja, dieser für unser Volk so bedeutungsschwangere Tag war zunächst noch von einem kleinen Schatten verdunkelt, alldieweil der Grundstein für besagte Zukunft ganz anfänglich in der Unterzeichnung einer klitzekleinen Kapitulationsurkunde bestand. Aber nur Querulanten und Miesmacher reiten bei jeder Gelegenheit auf diesem zweitrangigen historischen Umstand herum.

Besuch aus Amerika ist angesagt. Und wie immer, wenn wir mit unseren amerikanischen Freunden etwas feiern wollen, schießen die Roten in diesem unseren Lande und die Kommunisten in Moskau Störfeuer und Nebelraketen, treiben sie Keile zwischen alles und jedes und versuchen, uns von unseren Verbündeten abzukoppeln.

Wie gut, daß es da den „Südkurier“ gibt. Der bringt Licht in den Nebel und feuert ganze Breitseiten ins Störfeuer. Der stellvertretende Chefredakteur Gerd Appenzeller am 15.4.85: „Gegen Ronald Reagans ursprüngliche Pläne, ausschließlich das Konzentrationslager Dachau zu besuchen, gab es deutscherseits Bedenken.“ Bravo! Was schließlich hat er an einem solchen Tag dort zu suchen.

Hören wir, was am 17. April „Von dem Südkurier-Korrespondenten in Washington, Gert Lotze“ berichtet wird: „Präsident Reagan hatte schon recht frühzeitig erklärt, daß er bei seinem Deutschlandbesuch nicht gedenke, ein ehemaliges Nazi-Konzentrationslager zu besuchen.“ Ebenfalls Bravo! „Den Deutschen sei das Schuldgefühl wegen der Judenvernichtung ohnehin aufoktroyiert worden.“ Aufoktroyiert, jawohl. Aus Moskau. Wegen nichts und wieder nichts. Ronny kriegt die „National-Zeitung“ per Luftpost.

Und – am 20. April – wieder Gerd Appenzeller: „Auf wessen Wunsch der ursprünglich geplante Aufenthalt in einem ehemaligen KZ, Dachau, gestrichen wurde, ist unklar.“ Da scheinen doch tatsächlich ein paar Rauchbomben durchs offene Fenster in die „Südkurier“-Redaktion geflogen zu sein. Oder ob die Kommunisten da auch schon unter den Tischen hocken? Nicht auszudenken!

Auf jeden Fall wird Mr. Reagan aber den deutschen Soldatenfriedhof in Bitburg besuchen. Das ist ja wohl auch das Mindeste. Gegener von gestern und Freunde von heute und so. Ist beim Fußball ja nicht anders. Und hinterher kann er ja ein leckeres Bierchen zischen. Gerd Appenzeller am am 20.4.: „den in Bitburg begrabenen Soldaten sollte man nicht dadurch … furchtbares Unrecht antun, daß man sie als fanatische Hitlerschergen abstempelt. Die Soldaten von damals waren eben tatsächlich auf ihre Weise ebenfalls Opfer der NS-Diktatur.“ Auf ihre Weise. Tatlächlich?

In Bitburg liegen die Gefallenen der Ardennen-Offensive. Gert Lotze, Washington, am 17.4.: „In der Nähe von Malmedy war es im Verlauf dieser Offensive zu einem Massaker an wehrlosen amerikanischen Gefangenen gekommen.“ „Die Schuldigen“ – erraten – sind vermutlich „auf dem Friedhof von Bitburg bestattet.“

Jochen Kelter: Finstere Wolken, Vaterland. Die deutsche Provinzpresse greift ein. 35 Glossen.
Jochen Kelters Glossen erschienen zwischen Dezember 1982 und März 1986 unter dem Pseudonym „Sunny“ im Regionalmagazin Nebelhorn, Konstanz. Seine Kolumnen, die zumeist Leitartikel des damaligen Südkurier-Chefredakteurs Franz Oexle zerpflücken, reflektieren die großen Ereignissen der damaligen Zeit: Mit Kanzler Helmut Kohl (CDU) beginnen bleierne Jahre, die NATO-Aufrüstung löst eine breite Antikriegsbewegung aus, die IG Metall kämpft für die 35-Stunden-Woche, die USA überfallen Grenada, die Flick-Parteispenden-Affäre fordert ein paar Opfer …Sunnys Glossen zeichnen somit auch das Bild bewegter Jahre – mit Hausbesetzungen, Friedensblockaden, der zunehmenden Vernetzung regionaler Initiativen und Alternativzeitungen. Dazu gehörte das selbstverwaltete Nebelhorn, das 1980 zuerst als „Stadtzeitung für Konstanz“ erschien, ab 1984 als „Regionalmagazin für Politik und Kultur“ firmierte und bis 1989 über Ereignisse und Entwicklungen im westlichen Bodenseeraum berichtete.1986 erschienen die 35 Glossen im Drumlin-Verlag unter dem Titel „FINSTERE WOLKEN, VATERLAND. Die deutsche Provinzpresse greift ein“. 35 Glossen. Mit einem Nachwort von Pit Wuhrer. Weil das Buch längst vergriffen ist, erscheinen die 35 Episoden nun als Online-Neuauflage auf seemoz, immer sonntags.Vorwort von Jochen Kelter zur Online-Neuauflage der „Sunny“-Glossen

An der Ardennen-Offensive waren „auch Verbände der Waffen-SS beteiligt“. Informiertes Kerlchen, dieser Gert Lotze. „Es bestand die Gefahr, daß sich am 5. Mai Präsident Reagan mit Bundeskanzler Kohl auch vor den Gräbern gefallener SS-Leute verneigen würde – was in Amerika niemand verstehen würde.“ Ja Himmelherrgottnochmal. Dann mögen die hinter ihrem großen Teich doch bitte endlich mal zur Kenntnis nehmen, daß die Kameradschaftsverbände der ehemaligen Waffen-SS in diesem unseren Lande völlig honorige und sogar eingetragene Vereine sind, die das helle Licht des Tages nicht zu scheuen brauchen. Vielleicht sollte Mr. Reagan die Gelegenheit beim Schopfe packen und das Treffen der „Truppenkameradschaft der 3. SS-Panzerdivision Totenkopf“ besuchen, das vom 2. bis 5. Mai in Nesselwang im Allgäu stattfindet.

Chefredakteur Franz Oexle aber kann ich nur dringend raten, seinen Urlaub in Bangkok abzubrechen, schleunigst in dieses nebelige Land zurückzukehren und seine Leute an der Marktstätte in Konstanz auf Vordermann zu bringen

Sunny                                                                                                                                                      Mai 1985