Das war’s dann (35)

aus: Nebelhorn Nr. 58, März 1986, von Jochen Kelter

Dieses Mal hab‘ ich lange gewartet und gebangt. Die 35. und letzte Ausgabe meiner Presseschau für die gebildeten Stände wollte ich nach drei Jahren und drei Monaten doch nicht einfach in Druck geben, ohne einen wegweisenden Satz aus dem“Südkurier“ zu zitieren. Es konnte doch wohl nicht sein, daß keiner der verantwortlichen Redakteure ein Sterbenswörtchen über Duvalier, Marcos & Co. verlöre. Es konnte. Fastnacht stand vor der Tür und dann in derselben.

Da liegen Haiti und die Philippinen, wo der Pfeffer wächst. Da ziehen sie in der Redaktion den Stecker aus dem Telexgerät und holen den Sekt von „Aldi“ aus dem Kühlschrank. Ferne Welt ade!

Der Aschermittwoch kam, ich war schon darauf gerichtet, ein erbauliches Schlußwort niederzuschreiben und fühlte mich schmählich im Stich gelassen. Aber dann kam doch noch unverhoffte Rettung.

Die Samstagsausgabe vom 15. Februar erschien und mit ihr ein prächtiger Leitartikel von Chefredakteur Franz Oexle. Wo vorher alles öde und wüst war, regnete mit einmal Mann.

„Auch auf Luzon und Mindanao geht der Krug eben nur so lange zum Brunnen, bis er bricht.“ Jawohl! Desgleichen in Krauchenwies und Grünkraut. Letzteres liegt in Oberschwaben. Wissen Sie, wenn man von Ravensburg Richtung Wangen fährt… Denn das ist ein Naturgesetz (nein, nicht daß man dann sozusagen zwangsläufig aus Grünkraut kommt): Wie man sich bettet, so schaut’s aus dem Wald.

Franz Oexle jedenfalls hat sich über die närrischen Tage informiert. Den Atlas studiert. Und „Das Grüne Blatt“ gelesen: „Ferdinand Marcos … ist ein kranker Mann. An den Schalthebeln der Macht“ – die sind mir doch schon irgendwo mal begegnet, die Hebelchen – „sitzt seit Jahren seine Frau: Imelda Marcos, die von Ehrgeiz getriebene Gattin des dahinwelkenden Diktators.“ Oder war’s „Frau im Spiegel“?

„Imelda und ihr Gatte“. Grüß Gott Herr Diktator, wie ist das werte Befinden der Frau Gemahlin? Immer die Form wahren, gell Franz? Wer weiß, ob „Imelda und ihr Gatte“ nicht trotz allem bald zwangspensioniert werden und wir sie nochmal brauchen können, nicht? Zur Ankurbelung des heimischen Fremdenverkehrs, als Gaststars in der „Schwarzwaldklinik“.

„Hat Washington wieder einmal versagt?“ Ja, was soll um alles in der Welt denn diese Frage? „So wird da und dort selbstgerecht verkündet.“ Ach so, „da und dort“ und „selbstgerecht“. Ich dachte schon, der USA- Korrespondent hätte. Oder der Chef vom Dienst. „Reagan wird versuchen, zu retten was zu retten ist,“ – na eben! Außer die Interpunktion dieses Satzes vermutlich – „zum Beispiel zwei strategisch bedeutsame Stützpunkte auf den Philippinen“. Zum Beispiel. „Clark Field und Subic Bay.“ Ich sag’s ja, Franz Oexle hat sich am Rosenmontag das Lateinamerka-Dossier kommen lassen.

„Die Ränke seiner Gattin und Lenkerin werden in keine Endlosreihe einmünden“. Nein, nicht die von Nancy. Die von Imelda. Da die Befürchtung, die Artikel von Franz Oexle, Winfried Müller, Egon Treppmann & Co. könnten am Ende in eine Endlosschleife einmünden, indessen nicht ganz von der Hand zu weisen ist, seile ich mich nach dieser „pazifische(n) Tragödie“ aus der Schleife ab.

Jochen Kelter: Finstere Wolken, Vaterland. Die deutsche Provinzpresse greift ein. 35 Glossen.
Jochen Kelters Glossen erschienen zwischen Dezember 1982 und März 1986 unter dem Pseudonym „Sunny“ im Regionalmagazin Nebelhorn, Konstanz. Seine Kolumnen, die zumeist Leitartikel des damaligen Südkurier-Chefredakteurs Franz Oexle zerpflücken, reflektieren die großen Ereignissen der damaligen Zeit: Mit Kanzler Helmut Kohl (CDU) beginnen bleierne Jahre, die NATO-Aufrüstung löst eine breite Antikriegsbewegung aus, die IG Metall kämpft für die 35-Stunden-Woche, die USA überfallen Grenada, die Flick-Parteispenden-Affäre fordert ein paar Opfer …Sunnys Glossen zeichnen somit auch das Bild bewegter Jahre – mit Hausbesetzungen, Friedensblockaden, der zunehmenden Vernetzung regionaler Initiativen und Alternativzeitungen. Dazu gehörte das selbstverwaltete Nebelhorn, das 1980 zuerst als „Stadtzeitung für Konstanz“ erschien, ab 1984 als „Regionalmagazin für Politik und Kultur“ firmierte und bis 1989 über Ereignisse und Entwicklungen im westlichen Bodenseeraum berichtete.1986 erschienen die 35 Glossen im Drumlin-Verlag unter dem Titel „FINSTERE WOLKEN, VATERLAND. Die deutsche Provinzpresse greift ein“. 35 Glossen. Mit einem Nachwort von Pit Wuhrer. Weil das Buch längst vergriffen ist, erscheinen die 35 Episoden nun als Online-Neuauflage auf seemoz, immer sonntags.Vorwort von Jochen Kelter zur Online-Neuauflage der „Sunny“-Glossen

Ich kann mich des Eindrucks nicht so recht erwehren, daß mein Grund- und Fernkurs über stilistische Notzüchtigung bei der „Südkurier“-Redaktion auf wenig fruchtbaren Boden gefallen ist. Fortschritte jedenfalls sind da überhaupt keine festzustellen. Und wer als Trainer drei Jahre lang Monat für Monat miterleben muß, wie die Jungs in die Abseitsfallen von Syntax, Metaphern, Morphologie – und wie die Gegner noch so heißen mögen – hineintappen, mitanschaut, wie da Kondition gebolzt und die Technik vernachlässigt wird, der sollte den Verein wechseln. Was ich hiermit tue. Die nächsten drei Jahre nur noch „Bild“.

Sunny                                                                                                                                                          März 1986