Auch in Konstanz: Todesurteile während der NS-Zeit
Zwischen 1941 und 1944 wurden bei Sitzungen des Strafsenats des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart und des Sondergerichts Freiburg in Konstanz fünf Todesurteile gefälllt: Leo Bohnenstengel, Bronislaw Heymann, Gustav Strohmaier, Anton Bechinger und Karl Weber wurden hier von NS-Juristen – die durchaus einen Ermessensspielraum hatten – wegen „Zersetzung der Wehrmacht“ oder als „Volksschädlinge“ zum Tode verurteilt. Ihrer „verdienten Strafe zugeführt“, starben sie kurz darauf in Stuttgart oder Bruchsal unter dem Fallbeil.
Nicht nur der Volksgerichtshof unter seinem berüchtigten Präsidenten Roland Freisler, sondern auch Strafsenate und Sondergerichte verhandelten an vielen unterschiedlichen Orten ihres Einzugsbereichs. So etwa das 1940 geschaffene Sondergericht Freiburg, das auch für die Landgerichtsbezirke Konstanz, Offenburg und Waldshut zuständig war.
NS-Normen wie das „gesunde Volksempfinden“ hatten längst rechtsstaatliche Prinzipien verdrängt. Justizieller Willkürherrschaft war mit einer Reihe von Strafgesetzänderungen und neuen Rechtsverordnungen der Weg bereitet worden: Um zu einem Urteil zu gelangen, mussten die Richter weder Zeugen noch Sachverständige hören, mussten weder Urkunden noch Beweise prüfen, die Ladungsfrist konnte bis auf 24 Stunden herabgesetzt werden und das Urteil war sofort rechtskräftig. Sondergerichte waren politische Instanzen, die „Volksschädlinge“ mit stereotypen Urteilsbegründungen, in denen häufig vom „Unwert der Persönlichkeit“ die Rede war, brandmarkten und drakonisch bestraften.
Mehrmals tagte das Sondergericht Freiburg auch in Konstanz. Dabei fällte es vier Todesurteile.
„Mit der vollen Schärfe des Gesetzes“
Auf Grundlage der „Gewaltverbrecherverordnung“ wegen Einbruchdiebstahls auf der Flucht in die Schweiz wurde der polnische Landarbeiter Bronislaw Heymann als „Typ eines Gewaltverbrechers“ bei einer Sitzung des Sondergerichts Freiburg in Konstanz am 20. Februar 1942 gleich zweimal zum Tode verurteilt und am 26. März 1942 im Lichthof des Landgerichts Stuttgart enthauptet.
Dem in Schienen lebenden Wagner Gustav Strohmaier wurde ein Gespräch über die nachteiligen wirtschaftlichen Folgen des Krieges im Beisein des Parteibeiträge einziehenden NSDAP-Zellenleiters zum Verhängnis: „Es wäre am besten, wenn niemand mehr etwas spendet, dann würden die vornen [womit er die Soldaten an der Front gemeint hat] aufhören, und der Krieg ginge dann schnellstens zu Ende“.
Das Verfahren des Sondergerichts Freiburg gegen Gustav Strohmaier wegen dieser als „Wehrkraftzersetzung“ interpretierten Äußerung fand am 3. Juli 1942 im Landgericht Konstanz statt. Die Richter folgten dem Plädoyer des Staatsanwaltes und begründeten die Verhängung der Todesstrafe: „Die Äußerung des Angeklagten […] ist zweifelsohne geeignet, den Willen des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen und zu zersetzen […] Mit Äußerungen, wie sie der Angeklagte getan, haben im Jahre 1918 vaterlandslose Menschen begonnen, die Heimatfront zu untergraben […] Um zu verhüten, daß durch solche oder ähnliche Äußerungen auch in diesem Krieg die Heimatfront unterwühlt und wankend gemacht wird, muß gegen solche Äußerungen von Anfang an mit der vollen Schärfe des Gesetzes vorgegangen werden.“
Um die „Schwere“ der Tat unter Beweis zu stellen, wurde – da gemäß § 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung für Zersetzung der Wehrkraft auch die Verhängung einer Zuchthausstrafe möglich gewesen wäre – nicht nur die politische Unzuverlässigkeit Strohmaiers unterstrichen. Auch vorher gegen ihn ergangene Urteile, die zum Teil über 20 Jahre zurück lagen, wurden nachträglich schlicht als „Fehlurteile“ gewertet und diese Delikte nochmals in die aktuelle Urteilsfindung einbezogen.
Das sofort rechtskräftige Urteil wurde am 27. August 1942 im Lichthof des Landgerichts Stuttgart vollstreckt. Zwei Tage später meldete die Bodensee-Rundschau: „Volksschädlinge hingerichtet …“
Für den Raub von Lebensmitteln zum Tode verurteilt
„Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung die Verfehlungen in diesem Umfang und der Art ihrer Begehung zugegeben […] er habe immer Hunger gehabt …“.
Die Rede ist von dem Konstanzer Postbeamten Anton Bechinger, dem bei einer Sitzung des Sondergerichts Freiburg in Konstanz am 11. November 1942 zur Last gelegt wurde, zwischen Dezember 1941 und August 1942 insgesamt 63 Feldpostpäckchen aufgebrochen und deren Inhalt – ausschließlich Lebensmittel wie Kuchen, Kekse, Käse, Fleisch, Tabak, Fett, Ölsardinen usw. – an sich genommen, für sich selbst und seine Familie verbraucht, zum Teil an Bekannte verschenkt zu haben.
Anton Bechinger wurde als sogenannter „Postmarder“ wegen Verstoßes gegen die Volksschädlings-Verordnung zum Tode verurteilt. Das Gericht befand, dass Bechinger „aus schnöder Eigensucht dazu beigetragen [habe], daß das Band, das Front und Heimat miteinander verbindet, zerstört wird. Solche Elemente verdienen in der Kriegszeit, daß sie aus der Volksgemeinschaft ausgemerzt werden. Es wurde daher auf die Todesstrafe erkannt.“
Bechinger wurde am 15. Dezember 1942 in Stuttgart enthauptet. Die Bekanntgabe erfolgte über eintausend Plakate, von denen hundert an das Landratsamt Konstanz gingen. Und drei Tage später vermeldete die Bodensee-Rundschau: „Feldpostmarder der verdienten Strafe zugeführt“.
Im Jahr 1956 wurde der Fall vor dem Landgericht Freiburg auf Betreiben der Witwe Bechingers neu aufgerollt. Die Große Strafkammer räumte ein, dass „im Kriege besondere Strenge gegen Straftaten, die mit dieser erhöhten Not- und Gefahrenlage im Zusammenhang stehen, zu billigen ist“ und hielt deshalb „die Festsetzung einer Strafe von 2 Jahren Gefängnis für angemessen.“
Der Unterschied zwischen dem Urteil eines NS-Sondergerichts (nach Freisler die „Panzertruppe der Rechtspflege“) und dem eines ordentlichen Gerichts hätte auch dem ehemaligen Marinerichter Hans Filbinger („Was damals Rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein!“) auffallen können.
Ein weiterer „Postmarder-Fall“ wurde verhandelt, als das Sondergericht Freiburg am 24. Mai 1944 in Konstanz tagte. Karl Weber, Postbeamter aus Konstanz, wurde zur Last gelegt, zwischen Mai 1941 und März 1944 „insgesamt mindestens 300 Feldpostpäckchen unterdrückt und ihres lnhalts beraubt“ zu haben. Die Verhandlung – vor viel Publikum, auch alle vom Dienst entbehrlichen Beamten der Reichspost in Konstanz waren erschienen – begann um 10.30 Uhr und endete mit dem um 12.50 Uhr rechtskräftig gewordenen Todesurteil.
Karl Weber starb am 22. Juni 1944 in Bruchsal auf dem Schafott.
Wegen „Zersetzung der Wehrkraft, Vorbereitung zum Hochverrat und Rundfunkverbrechens zum Tode verurteilt“
Noch vor den vier durch das Sondergericht Freiburg gefällten Todesurteilen verhängte der Strafsenat des OLG Stuttgart unter dem Vorsitz von Hermann Cuhorst bei einer seiner Reisen durch den Südwesten am 27. November 1941 in Konstanz das erste Todesurteil. Die Anklage gegen den Arbeiter Leo Bohnenstengel gründete allein auf der Denunziation eines Soldaten.
Dr. Sabrina Müller, Historikerin am Haus der Geschichte in Stuttgart, schreibt zum Fall Bohnenstengel: „Der Zeuge behauptete, der 44-jährige Bohnenstengel hätte sowjetische Soldaten bewundernd als „Kerle“ bezeichnet und ihm eine Sendung von „Radio Moskau“ vorgespielt. Als die Nachrichten mit der Parole „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch“ endeten, hätte der Arbeiter bemerkt: „So muss es auch sein und nicht einander bekämpfen.“ In der Hauptverhandlung erinnerte sich der Zeuge sogar an die Aufforderung von Bohnenstengel: „Wenn Du an die Ostfront kommst, dann musst Du nicht auf die Russen schießen, das sind unsere Brüder.“ Bei der kommenden Revolution wolle er zudem mit seinen Gegnern abrechnen.“
Leo Bohnenstengel wurde wegen Zersetzung der Wehrkraft, Vorbereitung zum Hochverrat und Rundfunkverbrechens zum Tode verurteilt. Er starb am 10. Februar 1942 im Lichthof des Stuttgarter Justizgebäudes unter dem Fallbeil.
Noch am selben Tag übersandte die Staatsanwaltschaft Stuttgart dem Oberbürgermeister von Konstanz eine Anzahl von Plakaten mit der Bekanntmachung der Hinrichtung Bohnenstengels und der Aufforderung, „sie alsbald in geeigneter Weise über die Dauer von 3 Tagen im dortigen Gemeindebezirk öffentlich anschlagen zu lassen.“ Eines dieser Plakate befindet sich im Stadtarchiv Konstanz.
Noch keine Erinnerung an diese Opfer der NS-Justiz in Konstanz
Vor dem Stuttgarter Landgericht wird vier der fünf in Konstanz zum Tode verurteilten Männer mittlerweile am neu errichteten Mahnmal für die Opfer der NS-Justiz gedacht. Wohingegen in Konstanz – wo noch immer eine Passage nach dem früheren Bürgermeister Franz Knapp benannt ist und Kurt Georg Kiesinger, der dafür sorgte, dass weder die Mitgliedschaft bei Sondergerichten noch die Mitwirkung an Todesurteilen nach Ende der NS-Terrorherrschaft Anlass zu strafrechtlichen Ermittlungen oder dienstrechtlichen Maßnahmen gegen Richter und Beamte geben dürfe, noch immer Ehrenbürger der Universität Konstanz ist – nichts an diese Opfer der NS-Justiz erinnert. Was sich ändern sollte.
Sabine Bade (mit Zitaten aus den im Staatsarchiv Freiburg liegenden Fallakten des Sondergerichts und Ablichtungen der „Bodensee-Rundschau“)
Eine Stolperschwelle von Gunter Demnig vor dem Konstanzer Landgericht, die auf die hier gefällten Todesurteile hinweist und die Namen der Opfer aufführt, könnte ein erster Schritt sein.
Was heute Unrecht ist, kann auch damals nicht rechtens gewesen sein.
Wollen wir uns an die verbrecherischen NS-Urteilen erinnern, die auch in Konstanz gefällt wurden?
Die hiesige Justiz sollte sich endlich mit diesem traurigen, viel zu lange von ihr ignorierten Kapitel aus ihrer NS-Zeit befassen.
Im ZfP gibt es für dieses, jegliche Humanität verhöhnende Handeln in der NS-Zeit ein Mahnmal für die Euthanasie-Opfer, in der Stadt ein Mahnmal für die in den Tod deportierten, aus Konstanz stammenden Juden.
Ein Mahnmal als würdiger Gedenkort im Außenbereich des Landgerichts Konstanz hielt jedoch bislang niemand für nötig.
Zusammen mit einer kleinen, erklärenden Dauerausstellung über die hiesigen NS-Unrechtsurteile der damals tätigen, furchtbaren Juristen würde die bisherige, beschämende Geschichtsvergessenheit beendet.
Hoffentlich ändert sich das, die Ehrung Kiesingers an der Uni und der Name der unsäglichen „Franz Knapp Passage“. Es ist seit Jahren ein Stein des Anstoßes in dieser Stadt. Es sollte endlich Konsequenzen geben, sie sind seit langem überfällig. Das Gedenken der Opfer in unserer Stadt ist mehr als unvollständig und der Blick zurück auf mindestens einem Auge immer noch blind. Endlich Aufräumen ist angesagt!!!!