Uli Burchardt ist ziemlich sauer

Am letzten Freitagnachmittag um halb drei schleuderte Oberbürgermeister Uli Burchardt lodernde Zornesblitze (als Presseerklärung getarnt) in Richtung der Bürgervereinigung Allmannsdorf Staad e.V., der er mangelnde Wahrheitsliebe vorwarf. Es geht dabei um die Bebauung der Jungerhalde West, die sich zunehmend zu einem der emotionalsten Themen der Lokalpolitik seit dem OB-Wahlkampf im letzten Jahr erweist, denn hier geht es um ziemlich sozialen Wohnungsbau auf bisher unbebautem Gelände.

Es ist selten, dass aus dem Rathaus eine derart heftige Reaktion in die Niederungen der Normalsterblichen hinuntergeschickt wird wie jene, die der OB am Freitagnachmittag verschickte; unwillkürlich fühlte man sich an die Donnerkeile erinnert, die dem Zeus von Hephaistos geschmiedet wurden. Noch dazu gilt des OBs Schelte nicht etwa den politischen GegnerInnen, sondern der kreuzbürgerlichen und mit Parteifreunden gespickten Bürgervereinigung Allmannsdorf Staad (BAS), und hier ganz besonders deren Vorsitzendem Sven Martin.

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Was aber bringt den OB derart in Rage?

Wahlbetrug?

Martin hatte dem OB vorgeworfen, die AllmannsdorferInnen nicht angemessen über die Baupläne für die Jungerhalde West informiert zu haben – gar das Wort „Wahlbetrug“ soll aus seinem Munde vernommen worden sein. Die BAS wendet sich bekanntlich gegen die Bebauung des Areals am Stadtrand mit 200-250 Mietwohnungen für kleine und mittlere Einkommen und einem Feuerwehrhaus und sieht sich überrumpelt: „Es besteht der Eindruck, dass die Pandemie ausgenutzt wird um das Baugebiet hoppladihopp durchzudrücken und eine für ein solches Projekt angemessene Bürgerbeteiligung zu verhindern.“ Die OrtsteilaktivistInnen werfen der Stadt vor, dort ein neues Quartier an die bestehende Bebauung „anzustückeln“, und das „außerhalb des Flächennutzungsplanes“. Sie stellen in Frage, ob der Acker am Rand des Ortsteils überhaupt als Baugrund benötigt wird, da doch auf dem Hafner, am Döbele und anderswo genug Gebiete innerhalb des Flächennutzungsplanes bebaut würden. Und schon gar nicht sei eine Bebauung an dieser Stelle „im Übergang zum Hockgraben (Natura 2000-Gebiet)“ mit „4-5 stöckigen Gebäuden mit einem Ökoanstrich in Form einer Holzverschalung“ zu denken.

Natürlich weiß auch die BAS, dass man ihr wegen dieser Ablehnung eines sozial orientierten Bauvorhabens der Wobak puren Egoismus vorhalten wird. Das Muster ist ja hinlänglich bekannt: Der SUV-Fahrer regt sich gern lauthals über den geplanten Carport auf dem ökologisch ach so sensiblen Grundstück seines Nachbarn auf. Um solchen Argumenten den Wind aus den Segeln zu nehmen, hatte die Bürgervereinigung gleich zu Protokoll gegeben, sie kämpfe „seit Jahren für bezahlbaren Wohnraum und gegen Spekulanten und Investoren, die Renditeobjekte realisieren und damit bezahlbaren Wohnraum vernichten und den Ortsteil in städtebaulicher Hinsicht und auch von Bevölkerungsstruktur her zerstören“.

Das Problem der BAS ist allerdings, dass ihr niemand ihre ökologischen und städteplanerischen Bedenken so recht abnimmt. Herbert Weber vom Mieterbund bezeichnete es umgehend als beschämend, dass Privilegierte, die in großzügigen Wohnungen in einem schönen Stadtteil leben, andere Menschen mit vorgeschobenen ökologischen Argumenten aus der Stadt heraus haben wollen (Einzelheiten lesen Sie hier).

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Seltsame Koalitionen

Auf einmal entsteht eine ganz ungewöhnliche Front in der Konstanzer Lokalpolitik: Der OB plus der Mieterbund plus die Mehrheit der Gemeinderatsfraktionen stellen sich gegen eine Koalition aus Bürgervereinigung und Grünen. Erstere wollen angesichts der Wohnungsnot den Wohnungsbau forcieren, letztere haben ökologische Bedenken und wollen weiteren Landschaftsverbrauch verhindern.

Morgen können sie auf seemoz lesen, wie sich die Konstanzer Gemeinderatsfraktionen zu diesem Thema positionieren.

Nachfolgend die Pressemitteilung des Oberbürgermeisters, genauer: des Pressereferates, vom letzten Freitagnachmittag, in vollem Wortlaut.

Bezahlbare Wohnungen für Allmannsdorf
OB Burchardt kritisiert Haltung von BAS-Vertretern
zu Jungerhalde-West

Für ihre Pläne, auf dem Gebiet Jungerhalde-West zügig bezahlbaren Wohnraum zu realisieren, hat die Stadtverwaltung eine breite Rückendeckung aus dem Gemeinderat und viele positive Rückmeldungen erhalten. Auch der Mieterbund stellte sich ausdrücklich hinter diese Pläne. Geplant sind Wohnungen für Haushalte mit unteren und mittleren Einkommen. In der Ablehnung des Projekts durch BAS-Vertreter sieht OB Burchardt eine bedenkliche ausgrenzende Haltung.

Bezahlbarer Wohnraum für Familien

Oberbürgermeister Uli Burchardt sieht in dem Gebiet einen wichtigen Beitrag, in Konstanz schnell bezahlbaren Wohnraum zu schaffen: „Die Fläche gehört der Stadt, die WOBAK kann hier 50 % der geplanten Wohnungen als Mietwohnungen und 40 % im mittleren Preissegment bauen. Insbesondere Familien mit Kindern oder aber auch Benachteiligte werden von dem Bauprojekt profitieren.“ Nicht nachvollziehbar sind für ihn Äußerungen von Vertretern der Bürgergemeinschaft Allmannsdorf. Sven Martin, der Vorsitzende der Bürgervereinigung, hält das Gebiet für „zu hochwertig“, um 50 % Sozialwohnungen zu bauen. Dazu erklärt Oberbürgermeister Uli Burchardt: „Eine solche ausgrenzende Haltung ärgert mich. Ich habe mich immer schon für den sozialen Wohnungsbau in Konstanz eingesetzt und das werde ich weiterhin tun. Auf städtischen Grundstücken realisieren wir im gesamten Stadtgebiet einen Anteil von 50% Sozialwohnungen.“ Zu der Äußerung von Sven Martin und Alexander Gebauer, sie seien nicht gegen Sozialwohnungen (Südkurier 10.02.21) merkt er an: „Das scheint wohl nur Rhetorik zu sein. In der Ablehnung dieses Projektes kommt doch eine klare Haltung zum Ausdruck: Nein zu 125 Sozialwohnungen, nein zu 100 Wohnungen für mittlere Einkommen, nein zu bezahlbarem Wohnraum für Familien.“ Angesichts des erbitterten Widerstandes der BAS-Vertreter gegen den Waldkindergarten im Fasanenweg habe er bereits vor Monaten in einem persönlichen Gespräch Sven Martin mitgeteilt, dass im Rathaus viele nur noch den Kopf schütteln, wenn sie solche Einlassungen der BAS-Vertreter hören würden.

Vorstellungen der BAS-Vertreter rückwärtsgewandt

„Fragwürdig“ nennt der Oberbürgermeister die Äußerungen der BAS-Vertreter zur Nachhaltigkeit. „Sie führen das Argument an, man müsse an die spätere Generation denken – und sprechen sich gleichzeitig für ein städtebauliches Modell aus, das rückwärtsgewandt ist. Es ist doch klar, dass die von ihnen offenbar favorisierten 1-2 Familienhäuser zu einem viel größeren Flächenverbrauch führen, als ein Geschosswohnungsbau. Das zeigt, dass es beiden offenbar nicht um nachhaltige Entwicklung geht“. Auf der anderen Seite würden sie die fortschrittlichen Seiten des Projekts Jungerhalde-West verschweigen. Das Quartier soll als ein ökologisch (minimale Versiegelung, maximale begrünte Fläche, ökologische Freiflächen für Biodiversität, Dachbegrünung, Dachgärten, Regenwassernutzung) energetisch und sozial durchmischtes Modellprojekt geplant und realisiert werden. Gebaut werden soll möglichst in Holzbauweise und mit wiederverwendbaren Materialien mit geringem ökologischem Fußabdruck.

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Falsche Äußerung des BAS-Vertreters

Oberbürgermeister Burchardt stellt klar, dass die Einbeziehung von Arrondierungsflächen schon lange mit dem Regierungspräsidium abgesprochen ist. „Gerade im Wahlkampf habe ich nie einen Zweifel daran gelassen, dass ich hinter allen derzeit in Planung befindlichen Bauprojekten der Stadt Konstanz stehe. Wörtlich habe ich immer wieder betont, dass die sogenannten Arrondierungsprojekte ‚von Dettingen Brühläcker bis Petershausen Christiani-Wiese‘ meine volle Zustimmung haben und dass die Stadt diese Projekte braucht. Die Äußerung von Herrn Martin ist also schlicht falsch.“

Sehr befremdlich findet er das Verhalten von Martin, in diesem Zusammenhang das Wort vom „Wahlbetrug“ in den Raum zu stellen. „Diese Art der Anschuldigung hörten wir zuletzt aus einer Richtung, über die doch viele froh sind, sie hinter sich zu haben. Dass der Vorsitzende der BAS meint, jetzt auch auf diesen Zug aufspringen zu müssen, ist bedauerlich“. Es sage aber auch einiges über dessen Verständnis der politischen Kultur aus. „In dieser Debatte vergreift sich Martin im Ton. Das belegt auch sein pauschaler Vorwurf, in Allmannsdorf hätten Verwaltung und Politik versagt und würden weiter versagen. Wer hat denn die von den BAS-Vertretern gelobte Bebauung der ‚alten‘ Jungerhalde realisiert? Das waren Verwaltung und Politik – und nicht die BAS.“

Die Äußerungen der BAS-Vertreter würden den Eindruck verstetigen, dass sie von gelungener Bürgerbeteiligung nur dann zu sprechen scheinen, wenn ihre Ziele – in der Regel also die Verhinderung einer geplanten Maßnahme – erreicht werde. Man sollte bedenken: „Die Stimmen gegen solche Projekte sind in der Öffentlichkeit oft laut. Die, die mit am meisten davon profitieren, können sich dort aber noch gar nicht äußern: Jugendliche, Kinder und noch nicht geborene Kinder“, so der Oberbürgermeister. Deshalb sei es gut, dass letztlich der Gemeinderat entscheide, der in seiner Gesamtheit das große Ganze im Blick habe, und nicht das Einzelinteresse.

Oberbürgermeister Burchardt unterstreicht, dass er gerne bereit ist, die Planungen zu Jungerhalde-West mit den beiden BAS-Vertretern persönlich zu erläutern. „Meine Tür steht beiden Herren jederzeit offen, sofern ein ehrliches Interesse besteht, sich in einem vertieften Gespräch mit den Planungen auf der Jungerhalde zu beschäftigen.“

MM/red (Bild: seemoz)

Weitere Informationen
24.11.2020 | Es wird gebaut
11.01.2021 | Der Kampf um Jungerhalde West beginnt
10.02.2021 | Mieterbund kritisiert Bürgervereinigung