Kurswechsel bei den Grünen?
Geben die Grünen alte Positionen auf, für die sie vor Jahren noch auf die Straßen gegangen sind? Knicken sie in wesentlichen Fragen ein? Das fragen sich immer mehr freihandelskritische Initiativen und Verbände. Knackpunkt ist das EU-Kanada-Handelsabkommen CETA, das zwar unterzeichnet, aber noch nicht von allen EU-Parlamenten ratifiziert wurde. Bisher lehnten die Grünen den Vertrag rundweg ab, doch das scheint sich zu ändern. Jedenfalls weigerten sich die baden-württembergischen Grünen, einen Appell gegen CETA entgegen zu nehmen; auch im Entwurf des Programms für die Bundestagswahl schlagen die Grünen neue Töne an.
Montagnachmittag, diese Woche. Auf dem Stuttgarter Schlossplatz steht eine Gruppe von AktivistInnen. Mit dabei sind VertreterInnen von attac, des BUND, der Naturfreunde, der Gewerkschaft ver.di, des Vereins Mehr Demokratie, der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung, des Umweltinstituts München und des Netzwerks Gerechter Welthandel Baden-Württemberg (siehe Bild). Eigentlich hatten sie geplant, den beiden Parteien Grüne und CDU, die gerade ihre Koalitionsgespräche aufgenommen hatten, einen Appell zu überreichen, den Mitglieder des Konstanzer Bündnisses für gerechten Welthandel initiiert und formuliert hatten. Doch die Grünen lehnten es ab, das Papier entgegen zu nehmen.
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Dabei enthält der auch vom DGB und dem Dachverband Entwicklungspolitik unterzeichnete Aufruf Argumente, die bis vor kurzem von den Grünen mitgetragen wurden: Das CETA-Abkommen verhindere einen wirksamen Klimaschutz, heißt es in dem Schreiben, es ignoriere das Pariser Klimaabkommen von 2015 und intensiviere den Handel mit dem besonders emissionsintensiven kanadischen Teersandöl. Außerdem könnten auf Basis des „in CETA vorgesehenen Investitionsschutzes fossile Energiekonzerne Staaten auf hohen Schadenersatz verklagen, die Maßnahmen zum Schutz des Klimas ergreifen“. Die im Abkommenn enthaltenen Sonderklagerechte für internationale Konzerne würden auch für andere Bereiche (etwa dem Beschäftigtensektor); es gefährde mit seinem Privatisierungsbestreben die öffentliche Daseinsvorsorge; und nicht zuletzt dürfe es von den Behörden unter dem Einfluss von Wirtshaftsinteressen geändert werden, ohne dass die Parlamente ein Mitspracherecht hätten.
Aus all diesen Gründen, so das Papier, fordern achtzehn Organisationen die Parteien auf, „eine Ablehnung von CETA im Koalitionspapier festzuschreiben“.
Doch die Grünen ließen sich nicht blicken. Das war mal anders. So mobilisierten auch die Grünen für ein Nein zum einstmals geplanten EU-US-Freihandelsabkommen TTIP und zu CETA. Sie trugen zum Erfolg der Europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA bei, die von über drei Millionen EU-BürgerInnen unterzeichnet wurde. Sie beteiligten sich an der Berliner Großdemonstration im Oktober 2015 (mit rund 250.000 TeilnehmerInnen) und an den regionalen Kundgebungen im September 2016 (mit insgesamt 350.000 DemonstrantInnen).
Und vor der grünen Landesdelegiertenkonferenz 2018 in Konstanz zum Beispiel hatten die beiden baden-württembergischen Vorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand noch 90.000 Unterschriften entgegengenommen, die unter anderem mit der Forderung „Stoppt CETA im Bundesrat!“ an die Adresse der Grünen gerichtet waren. Damals galt allerdings noch der Beschluss des Heidenheimer Parteitags im Jahr zuvor: „CETA widerspricht den Kriterien, die wir Grüne an faire Handelsabkommen anlegen. Nach den von uns in mehreren Beschlüssen festgelegten Bedingungen und roten Linien ist und bleibt CETA nicht zustimmungsfähig“ (die damalige Position ist hier nachzulesen).
Mehr Schweröl, weniger Schutz
Die Entscheidung der baden-württembergischen Regierungspartei könnte im CETA-Ratifizierungsprozess ausschlaggebend sein. Denn sollte das Bundesverfassungsgericht in drei noch laufenden Verfahren keine Einwände gegen CETA erheben, stehen – wahrscheinlich im Herbst – Abstimmungen im Bundestag und im Bundesrat an. Baden-Württemberg verfügt im Bundesrat (69 Sitze) über sechs Stimmen. Würden alle Landesregierungen mit grüner und/oder linker Beteiligung gegen CETA stimmen, wäre der Vertrag hinfällig, da alle nationalen Parlamente zustimmen müssen.
Ganz eindeutig war die Haltung der Grünen im Südwesten allerdings nicht. Während die Basis bisher mehrheitlich gegen CETA votierte, sprach sich der industrienahe grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann für eine Annahme des Handelsabkommens aus. „Ich bin zuversichtlich, die Vorbehalte gegen CETA ausräumen zu können“, sagt er beispielsweise im September 2018 bei einem Treffen mit dem kanadischen Regierungschef Justin Trudeau. Inzwischen hat sich jedoch offenbar die Politik der Bundesgrünen geändert, die sich bisher stets klar gegen CETA positionierten. So findet sich im geplanten Wahlprogramm der Grünen für die Bundestagswahl kein Nein zu CETA mehr. Man wolle zwar das Abkommen in der „derzeitigen Fassung nicht ratifizieren“, heißt es in dem Entwurf, es aber „bei der Anwendung der derzeit geltenden Teile belassen“.
Zum Hintergrund: Seit September 2017 ist das EU-Kanada-Abkommen teilweise und vorübergehend in Kraft; nur der umstrittene Investitionsschutz mit seinen Sonderrechten für Konzerne gilt erst nach einer Ratifizierung durch alle Parlamente. Die CETA-Formulierung im Programmentwurf bedeutet, dass die Grünen die Dinge so belassen wollen wie sie sind – inklusive aller klimaschädlicher und demokratiefeindlicher Konsequenzen. So hat sich in den letzten Jahren der Import von kanadischen Schweröl mehr als verdoppelt, so können Vertragsausschüsse das Abkommen jenseits demokratischer Regeln nach Belieben verändern, so dürfen beispielsweise schärfere Sicherheitsstandards für Pestizide in der EU nur dann für kanadische Erzeugnisse gelten, wenn die kanadische Regierung zustimmt. Und das in CETA enthaltene Verbot einer Wiedervergesellschaftung (Rekommunalisierung) privatisierter Unternehmen ist ebenfalls in den „geltenden Teiien“ enthalten, denen die Grünen jetzt zustimmen wollen.
Foodwatch-Petition: „Grüne – Wort halten!“
Diese offenkundige Schwenk hat nun die Initiative Foodwatch auf den Plan gerufen. Gemeinsam mit attac und Mehr Demokratie lancierte die Verbraucherschutzorganisation eine Petition an die Adresse des grünen Bundesvorstands. „CETA schadet dem Gemeinwohl“, weil es „europäische Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltstandards“ senkt oder einfriert, heißt es in dem Appell an Annalena Baerbock und Robert Habeck. Und: „Wir fordern vom Grünen-Bundesvorstand ein klares Nein zu CETA im Wahlprogramm!“ Unterzeichnet werden kann die E-Mail-Aktion, die vom Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel mitgetragen wird, hier.
Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Über den Programmentwurf wird Ende Mai entschieden. Aus diesem Grunde schreiben derzeit Mitglieder des baden-württembergischen Netzwerks Gerechter Welthandel alle sechzig BundestagskandidatInnen an und fordern sie auf, sich dem Entwurf zu widersetzen. Ganz aussichtslos scheint das Unterfangen nicht, denn an der grünen Basis sind längst nicht alle mit diesem Kurswechsel einverstanden – darunter auch im Kreisverband Konstanz.
Pit Wuhrer (Bild: Protestaktion am Montag auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Foto: Roland Hägele)