Lenk-Kunst zu vulgär für Stuttgarter Stadtpalais?

Oberbürgermeister und Stadtverwaltung von Stuttgart fordern den Abbau der Lenk-Skulptur vor dem dortigen Stadtpalais. Eine Petition hingegen fordert den Verbleib des Kunstwerks zum Thema Stuttgart 21. Ein Interview mit Tom Adler (Gemeinderat in Stuttgart und Ko-Vor­sitzender der Fraktionsgemeinschaft DIE LINKE/SÖS) und Werner Sauerborn (Aktions­bündnis gegen Stuttgart 21) zur Notwendigkeit einer politischen Kampagne zum Verbleib des „Lenk-Mals“ und für den Stopp von Stuttgart 21.

Winfried Wolf: Seit einem knappen halben Jahr steht in Stuttgart an zentraler Stelle die Skulptur von Peter Lenk zu Stuttgart 21. Was sind Eure Erfahrungen damit?

Tom Adler: Mein Eindruck ist, dass diese Skulptur den Umständen entsprechend gut angenommen wird. Mit den „Umständen“ meine ich: Das Werk steht dort ja erst seit dem 25. Oktober 2020 – das war ein Zeitpunkt kurz vor Beginn der zweiten Pandemie-Welle. In der gesamten Zeit seit diesem Datum und bis heute gab es erhebliche Einschränkungen für Mobilität und Kommunikation. Daran gemessen ist es interessant, immer wieder Grüppchen mit Leuten um das „LenkMal“ zu sehen. Wir haben mit der Montags-Demo gegen Stuttgart 21, als wir vor dem Wechsel ins Online-Format noch auf der Straße waren, auch einen Demo-Zug zur Skulptur unternommen und dort den ‚Schwabenstreich‘ durchgeführt.

Werner Sauerborn: Wir vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 haben das Projekt „Lenk-in-Stuttgart“ von Anfang an, also seit Mitte 2018, unterstützt – auch mit einem größeren finanziellen Beitrag. Und wir finden, dass sich die zwei Jahre währende Kampagne „lenk-in-stuttgart.de“ und das entsprechende Engagement gelohnt haben. Vor zwei Jahren erschien das fast unvorstellbar: 150.000 Euro an Spendengelder für eine solche Arbeit. Und es hat geklappt – mehr als 1000 Leute haben diese Summe gespendet. Super auch die Tafel neben der Skulptur – die wird von einem Großteil der Besucherinnen und Besucher echt „studiert“. Leute, die spendeten, schauen, wo ihr Name steht. Peter Lenks Arbeit ist dann auch deutlich und unzweideutig politisch ausgefallen. Mit der Wiederwahl von Kretschmann als Ministerpräsident bleibt die Arbeit auch brandaktuell. Lenk selbst bezeichnet sein Werk als „Stuttgart 21 – Chronik einer grotesken Entgleisung“. Und Entgleisung heißt: Das Projekt prallt immer wieder aufs Neue auf den Prellbock. So sehen wir das auch. Ein Prellbock ist z.B. der Brandschutz, an dem das Ganze besser früher als später scheitern dürfte. Ein weiterer ist der Deutschlandtakt, den S21 torpediert. Dann gibt es neuerdings die sogenannten Ergänzungsprojekte: mit weiteren 47 Kilometern Tunnel-Strecken, weiteren 5,4 Milliarden Euro Mehrkosten und einem zusätzlichen Treibhausgasausstoß von 730 000 Tonnen soll gerettet werden, was nicht mehr zu retten ist. Es wird immer grotesker!

Tom Adler: Natürlich schauen sich viele die Dutzende Figuren, die um und über Kretsch gruppiert sind, genau an. Das ist ja ein Who is Who derjenigen, die Stuttgart 21 verbrochen haben. Das schätzen die Dargestellten natürlich nicht. Beispielsweise der Ex-Ministerpräsident Oettinger, dem seine Gefährtin Friederike Beyer im Genick sitzt, die wiederum mit dem Immobilienspekulanten ECE, der Otto-Tochter, verbunden ist. Viel beachtet wird auch die dem Stadtpalais zugewandte Seite der Plastik: die Darstellung der Polizeigewalt am „Schwarzen Donnerstag“, dem 30. September 2010. Gut erkennbar sind dort diejenigen, die für diesen gewalttätigen Polizeiübergriff mit Dutzenden Schwerverletzten verantwortlich sind.

Wenn heute der CDU-OB Nopper davon spricht, er wolle in der Stadt zur „Versöhnung“ mit dem Projekt Stuttgart 21 beitragen, ist das auch vor diesem Hintergrund absurd. Denn „Versöhnung“ setzt mindestens die Bereitschaft voraus, eine Denkpause für Alternativen und Erhalt des Kopfbahnhofs einzulegen. Und bis heute behauptet Nopper ja allen Ernstes, S21 bringe Fortschritt. „Versöhnung“ kann wirklich nur heißen: Das Projekt Tiefbahnhof muss aufgegeben werden.

Werner Sauerborn: … und die bisherigen S21-Arbeiten müssen umgenutzt werden. Dafür haben wir schon vor Jahren, dem damaligen Stand entsprechend, ein Umstiegskonzept vorgelegt, Umstieg 21. Und jetzt haben wir am 16. April eine Studie veröffentlicht, die wissenschaftlich belegt, dass die Tunnel und Baugrube auch für ein stadtumfassendes City-Logistik-Konzept nutzbar wären.

Winfried Wolf: OB Nopper und die Stadtverwaltung wollen erreichen, dass die Skulptur vor dem Stadtpalais wieder abmontiert wird. Entweder soll sie – dann gegen den Willen des Künstlers – an einem wenig prominenten Ort in der Landeshauptstadt platziert werden. Oder sie soll zurück an den Bodensee, zu Peter Lenk, verfrachtet werden. Der Standort Stadtpalais sei ab Juni keine Option mehr.

Tom Adler: Das ist hochpolitisch. Der Ort für die Skulptur ist Stuttgart. Der gefundene Platz vor dem Stadtpalais ist ideal. Er wird auch von der Bevölkerung angenommen – wie gesagt: gemessen an den Corona-Einschränkungen. Die offizielle Begründung dafür, dass die Skulptur bereits Ende Juni weg müsse, lautet: ein Sommerfestival des Stadtpalais namens „Stuttgart am Meer“ brauche die gesamte Freifläche ums Stadtpalais. Das ist natürlich absurd – eine wertvolle und sehenswerte Skulptur soll abgebaut werden, damit man ein paar Quadratmeter mehr zum Aufstellen von Liegestühlen und Sonnenschirmen hat. Peinlicher kann man seine politische Absicht kaum bemänteln. Der OB ließ inzwischen in der „Südwestpresse“ mitteilen, dass er jetzt intensiv und zeitnah mit Peter Lenk eine Lösung suchen lassen wolle. Wenn sich die Stadt nicht weiter blamieren will, kann die nur heißen: die Skulptur bleibt, wo sie ist, und das Stadtpalais verzichtet auf ein paar Quadratmeter Amüsier-Eventfläche. Die Skulptur muss in Stuttgart bleiben. Und sie kann noch mindestens ein Jahr vor dem Stadtpalais stehen bleiben. Bis dahin lässt sich auch ein mindestens gleichwertiger Platz finden.

Winfried Wolf: Was kann getan werden, um den OB und die Verantwortlichen in der Stadt zu stoppen?

Werner Sauerborn: Peter Lenk will, dass die Skulptur dort bleibt. Wir als Aktionsbündnis sind selbstverständlich ebenfalls für den Verbleib. Diejenigen, die dieses Werk mit ihren Spenden ermöglichten, taten dies natürlich explizit mit dem Ziel: „Lenk-in-Stuttgart“. Diese „Chronik einer grotesken Entgleisung“ am Bodensee, das würde Stuttgart landesweit der Lächerlichkeit preisgeben und die Stadtverantwortlichen als intolerant bloßstellen.

Winfried Wolf: Es gibt die Petition zum Verbleib der Skulptur in Stuttgart.

Tom Adler: Petition ist gut, Kampagne wäre besser. Bereits auf der Online-Montags-Demo vom 29. März forderten wir dazu auf, die Petition zu unterstützen. Leider entwickelt sie bisher nicht die optimale Wucht, weil die Initiatoren sich schwer tun, sich mit uns in Sachen Petition und Kampagne zum Verbleib der Skulptur abzusprechen. Trotz unserer Anläufe – nach der Devise: mit vereinten Kräften kann man deutlich mehr erreichen. Bei der Petition ist jetzt in den letzten April-Tagen noch ein Schub nötig. Und als Beitrag zu einer breiteren, deutlich politischeren Kampagne werden wir im Gemeinderat aktiv werden, an Grüne und SPD herantreten und einen gemeinsamen Antrag vorschlagen. Wir sind gespannt, wie die Reaktionen sein werden.

Werner Sauerborn: Dort wo wir als Aktionsbündnis dies können, unterstützen wir eine solche breite Initiative. Wir hoffen, dass sich noch mehr Kunstschaffende in der Stadt oder solche, die mit der Stadt verbunden sind, der Petition anschließen. Bei dem Stadtfest ist im Übrigen ja noch völlig unklar, ob es Corona-bedingt überhaupt stattfinden kann. Umso erstaunlicher, wie präzise bereits jetzt einige Stadtverantwortliche sagen: Das Ding muss weg. Natürlich geht es denen allein um die politische Botschaft: Wenn es in der Landeshauptstadt irgendwann wieder ein normales öffentliches Leben gibt, dann soll ein politisches Kunstwerk, das an das S21-Schandmal erinnert und das die Verantwortlichen für Steuergeldverschwendung und Bahnhofszerstörung anprangert, in die Verbannung an den Bodensee geschickt werden. Das ist ein echter Polit-Skandal: Das Werk hat die Stadt keinen Euro gekostet. Es kann sich zu einem Publikumsmagneten entwickeln.

Da ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Dieser Polit- und Kulturskandal muss an die breite – auch bundesdeutsche – Öffentlichkeit gezerrt werden.

Das Interview führte Winfried Wolf am 19. April 2021

Bild: Peter Lenk 2018 in seiner Werkstatt im Gespräch mit Winfried Wolf (rechts) und Theaterregisseur Volker Lösch  (Foto: Josef-Otto-Freudenreich)


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