Ein Leben für den Frieden im Menschenschlachthaus (I)

Verwechslungen kommen nicht von ungefähr. Als ich meinem Arzt sagte, ich wolle demnächst einen Artikel über Fried verfassen, war er höchst erfreut: „Bestens! Ich erinnere mich noch gut an sein Gedicht ‚Es ist, was es ist, sagt die Liebe‘“. Ich widersprach: „Nein, ich meine nicht Erich Fried, sondern den Friedensnobel-preisträger von 1911, Alfred Hermann Fried.“ – „Nie gehört“, entgegnete mein Gegenüber, „waren die denn verwandt?“ – „Nein, aber beide sind herausragende Persönlichkeiten.“

Anders als Erich Fried (1921-1988) ist Alfred Hermann Fried (1864-1921) heute weithin vergessen bzw. vergessen gemacht worden, obwohl oder gerade weil er Bahnbrechendes geleistet hat – nicht aber als Militär wie etwa Hindenburg und viele andere, sondern als Pazifist und Vorkämpfer der Abrüstung, der sich sein ganzes Leben lang für den Frieden und den Aufbau einer internationalen Rechtsordnung engagiert hat.

Früh schon Kriegsgegner

Am 11. November 1864 in Wien geboren, wo Jahrzehnte später auch Erich Fried zur Welt kommen sollte, und wie dieser jüdischen Glaubens, interessierte Alfred Hermann Fried sich schon als Kind für Literatur. Infolge des Börsenkrachs von 1873 geriet seine Familie allerdings in Not, und Alfred, schon früh Autodidakt und selbständig, verließ das Gymnasium, nachdem er sitzengeblieben war, und machte eine Ausbildung zum Buchhändler. Mit etwa 16 Jahren sah er im Wiener Künstlerhaus die Werke des russischen Malers Wassili Wereschtschagin, dessen teils wirklichkeitsgetreuen Kriegsdarstellungen ihn so ergriffen, dass er zum Kriegsgegner wurde. In welchem Maße Wereschtschagin die Betrachter seiner Werke erschütterte, verdeutlicht der Versuch von Feldmarschall Helmuth von Moltke, Soldaten und Schülern 1882 in Berlin den Besuch einer Wereschtschagin-Ausstellung zu verbieten.

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Fried siedelte nach seiner Lehre von Wien nach Berlin über, wo er 1887 eine Verlagsbuchhandlung gründete. Seinen Vorschlag an Bertha von Suttner, die mit ihrem pazifistischen Roman „Die Waffen nieder!“ großes Aufsehen erregt hatte, eine Monatsschrift herauszubringen, um „der Friedensidee in Deutschland und Österreich die nötige Verbreitung zu geben“, griff die Aristokratin gern auf, und 1892 erschien erstmals die nach dem Erfolgsroman benannte Zeitschrift „Die Waffen nieder!“. Aus der Zusammenarbeit zwischen dem Buchhändler kleinbürgerlicher Herkunft und der Ruferin im Streit für den Weltfrieden, die in ihm schon bald ihren Nachfolger sah, entwickelte sich eine enge Freundschaft und Zusammenarbeit. Am 9. November 1892 gründeten sie in Berlin die „Deutsche Friedensgesellschaft“ (DFG), dabei tatkräftig unterstützt von dem ebenfalls literarisch ambitionierten Rechtsanwalt Richard Grelling.

Aufrüstung war en vogue

Die Verbreitung der Friedensidee stellte sich im Kaiserreich als mühevoll und schwierig dar. Während der als Gegenstück zur DFG gleichzeitig initiierte Alldeutsche Verband schon bald eine einflussreiche Rolle spielte, sich den Antisemitismus auf seine Fahnen schrieb und die Hochrüstung der Hohenzollernmonarchie vehement unterstützte, sahen sich die Pazifisten als Utopisten lächerlich und verächtlich gemacht, ausgegrenzt und verfolgt oder – wie der Stuttgarter Stadtpfarrer Otto Umfrid – als „Friedenshetzer“ verpönt. Fried und Suttner ließen sich nicht beirren, widersprachen der alldeutschen Propaganda und forderten, durch Abrüstung und Schiedsgerichtsbarkeit den Krieg zu überwinden – zugleich wichtige Programmpunkte der DFG, im Verhältnis der Nationen das Recht an die Stelle der Gewalt zu setzen.

Seit 1898 gab Fried die Monatsschrift „Die Friedens-Warte“ heraus, die sich in wenigen Jahren zum führenden und angesehensten Organ des deutschsprachigen organisierten Pazifismus entwickelte. Seit 1905 informierte er in seinen „Annuaire de la vie internationale“ zudem über Verständigungspolitik und deren Fortschritte auf der ganzen Welt. Nach und nach agierte er auf internationaler Bühne, stets bestrebt, die friedensgeneigten Kräfte zu bündeln, um die Wirkung des Pazifismus zu erhöhen. Zugleich legte er mit seinem zweibändigen „Handbuch der Friedensbewegung“ (1905) wichtige Materialien zur Geschichte und Entwicklung des Friedensgedankens vor und schuf damit eine Basis für die historische Friedensforschung.

Insgesamt hat Fried mehr als vierzig Bücher und Broschüren publiziert, darunter das erste deutsche Esperantolehrbuch. Seit 1908 als Freimaurer aktiv, bekämpfte er die Todesstrafe und den Antisemitismus. Bereits im März 1908 umfasste ein Verzeichnis, das seine bis dahin erschienenen Veröffentlichungen zu Friedensthemen aufführte, 1.000 Presseartikel, weshalb man ihn als ersten deutschsprachigen Friedensjournalisten bezeichnete. Des Weiteren bewährte er sich als eifriger Förderer des modernen Völkerrechts. Mit großem, nie nachlassendem Engagement forderte er eine internationale, sich auf das Völkerrecht stützende Organisation und gilt daher als Vordenker des Völkerbundes und der heutigen UNO.

„Revolutionärer Pazifismus“

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Um den Vorwurf der „Friedensschwärmerei“ zu entkräften, entwarf Fried in seiner Schrift „Die Grundlagen des revolutionären Pazifismus“ (1908) eine Theorie, die den ersten Versuch einer wissenschaftlichen Verankerung des Pazifismus darstellt. Krieg betrachtete Fried als „ein Symptom, (als) das Ergebnis einer tiefer liegenden Ursache. Er entsteht aus den (…) noch nicht organisierten Beziehungen der Staaten, aus der noch vorherrschenden zwischenstaatlichen Anarchie.“ Das ungeordnete System der Staaten in ihrem Verhältnis zueinander führe in den internationalen Beziehungen zu einer „Nervosität“, darauf beruhend, die eigenen Interessen durchzusetzen und die des anderen Staates zu negieren. Gelänge das nicht, drohe der Versuch, die Ziele mit Gewalt, d. h. durch Krieg, zu erreichen. Das damit einhergehende „ängstliche Erwägen der Einflüsse auf den eigenen Staat“ und das „kurzsichtige Lavieren und verzweifelte Umherblicken bildet den Inhalt unserer heutigen internationalen Politik, die Hauptbeschäftigung unserer modernen Diplomatie“. Damit gelang Fried, so der Historiker Dieter Riesenberger, eine zutreffende Diagnose der spätestens seit dem Krimkrieg (1853–1856) vorherrschenden europäischen Politik, die durch das Ringen um „Machtbehauptung und Machterweiterung“ charakterisiert sei und die Sicherheit in Europa „von dem subjektiven Verantwortungsgefühl der europäischen Staatsmänner“ abhängig mache.

Für Fried widersprach der anarchische Zustand der zwischenstaatlichen Verhältnisse dem in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg sich vollziehenden kulturell-zivilisatorischen Wandel. Die sich immer enger verflechtenden Handels- und Vertragsbeziehungen drängten, so schien es, hin zu einem Weltstaatensystem. Die Ausdehnung des Nachrichtenwesens (Massenpresse, drahtlose Telegraphie) und Verkehrsnetzes (Eisenbahn, Dampfschifffahrt) begünstigte die übernationale Vernetzung der Märkte. Ebenso wiesen die Gründungen internationaler Büros und Initiativen darauf hin, dass sich die Völker näherkamen und die getrennten Teile sich zusammenschlössen. „Das Ganze“, so Fried, „strebt einem harmonischen Einklang zu.“ Dabei ging er davon aus, dass die seit den 1880er Jahren voranschreitende Globalisierung den Frieden geradezu notwendig hervorrufen würde.

Literatur

– Alfred Hermann Fried: Mein Kriegstagebuch 7. August 1914 bis 30. Juni 1919. Hrsg. und eingel. von Gisela und Dieter Riesenberger. Bremen 2005.
– Guido Grünewald (Hrsg.): Alfred Hermann Fried: „Organisiert die Welt!“ Der Friedens-Nobelpreisträger – sein Leben, Werk und bleibende Impulse. Bremen 2015.

Text: Helmut Donat (Bild: Wikipedia, George Grantham Bain Collection (Library of Congress), Public domain, via Wikimedia Commons)