„Starkbier“, nicht „Starkregen“ im Duden der 90er Jahre (III)

So viel Schönfärberei war selten, meint Winfried Wolf in diesem bemerkenswerten Text, den wir in drei Teilen veröffentlichen. Der bekannte Verkehrsexperte und Autor geht darin den Ursachen und möglichen Konsequenzen der aktuellen Hochwasserkatastrophe auf den Grund. Er stößt dabei heute auf: Grüne HoffnungsträgerInnen, die auch nach der Bundestagswahl wenig Gutes erwarten lassen, und viele Beispiele dafür, dass die viel beschworene „Wende“ zur Rettung von Umwelt und Klima kaum ernst gemeint sein dürfte.

Teil 1     Teil 2

Es könnte durchaus sein, dass – ähnlich wie 2011 nach der Fukushima-AKW-Katastrophe – das Hochwasser die Grünen, nach den peinlichen Fehltritten ihrer Kanzlerkandidatin und dem Absturz der Grünen-Partei in der Wählergunst um fast 10 Prozentpunkte – wieder stärkt. Zweimal in der Geschichte der Bundesrepublik veränderten hohe Pegelstände auch die politische Landschaft. Während der Sturmflut, die im Februar 1962 große Teile Hamburgs unter Wasser setzte, agierte der damals amtierende Innensenator Helmut Schmidt (SPD) zupackend und auf eine Art und Weise, dass ihn sein neues Macherimage zwölf Jahre später ins Kanzleramt trug. Sein Nachnachfolger, Parteifreund Gerhard Schröder, entschied 2002 den sogenannten Gummistiefel-Wahlkampf für sich. Schröder packte vor Ort mit an; während sein Kontrahent, Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber, im Urlaub auf einer Nordseeinsel weilte.

Die Grünen könnten vom Hochwasser deutlich profitieren – und dann die in sie gesetzten Hoffnungen enttäuschen

2021 gibt Laschet den Schröder – und leistet sich allerdings einige heftige Pannen, so sein mit Kameras festgehaltenes kumpelhaftes Feixen während eines Steinmeier-Statements. Annalena Baerbock verhält sich bislang eher klug und zurückhaltend und lehnt bei ihren Besuchen vor Ort jede mediale Präsenz ab.

Durchaus also möglich, dass die Stimmung ein weiteres Mal hin zu den Grünen kippt. Doch für den Klimaschutz wird eine Regierung mit starker Grünen-Präsenz kaum etwas bringen. Das lässt sich allein auf Grundlage der vorliegenden Erfahrungen mit grünen Regierungsbeteiligungen feststellen. Drei Beispiele:

Verkehrspolitik in Baden-Württemberg und Hessen. In Baden-Württemberg wuchs in den zehn Jahren mit einem grünen Ministerpräsidenten die Pkw-Dichte überproportional im Vergleich zum Rest der Republik. Die Straßenbaulobby und Autokonzerne wie Daimler und Porsche, die in den ersten Jahren mit einem grünen Verkehrsminister Winfried Hermann noch ausgesprochen kritisch waren, loben inzwischen unisono die grüne Verkehrspolitik, einschließlich des deutlich vorangetriebenen Straßenbaus. Im neuen grün-schwarzen Koalitionsvertrag vom Mai 2021 wird nicht nur das Festhalten an Stuttgart 21 dokumentiert. Dort werden ein zweites Stuttgart 21 in Form eines unterirdischen Kopfbahnhofs, der ergänzend zum unterirdischen S21-Tiefbahnhof zu bauen sei, und ein weiterer zehn Kilometer langer Tunnelbau festgehalten. Angesichts der jüngsten Hochwasser-Ereignisse sind Verkehrsplanungen, bei denen die Landeshauptstadt Stuttgart, die sich in einer besonderen Kessellage befindet, mit rund 100 Kilometern neuen Tunnelbauten unterfahren wird, schlichtweg kriminell: Man riskiert auf diese Weise im Fall von Hochwasser den Tod von Hunderten Menschen.

In Hessen stellen die Grünen zwar nur den Minderheitspartner in der schwarz-grünen Regierung – doch sie stellen mit Tarek al-Wazir auch hier den (Wirtschafts- und) Verkehrsminister. Im Dannenröder Forst ging dann die hessische Polizei mit äußerster Härte gegen Klimaaktivisten vor. Der einzige Zweck der militanten Praxis: den Wald zu roden … für den Bau einer Autobahn.

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Flugverkehr in Hessen. Mit dem Frankfurt Airport befindet sich in Hessen der größte Flughafen der Republik. Dass Flugverkehr das Klima am stärksten unter allen motorisierten Verkehrsarten schädigt, ist allgemein bekannt. Die „Verwaltung“ eines derart großen Flughafens durch einen grünen Verkehrsminister ist bereits problematisch genug. Und wie charakterisiert man dann den weiteren Ausbau? Im April 2019 war es so weit. Es gab die Grundsteinlegung für ein neues, ein drittes Terminal. Als Oppositionspolitiker hatte Tarek al-Wazir versprochen, Terminal 3 zu verhindern. Um es dann als Minister doch durchzuwinken. Und als im Corona-Jahr 2020 der Flugverkehr in Rhein-Main – wie auch an allen anderen Flughäfen – kollabierte, erklärte Tarek Al-Wazir: „Wir federn die Folgen der Corona-Pandemie ab und setzen gemeinsam mit Fraport auf mehr Nachhaltigkeit.“[18] Man hoffe, bald wieder das Niveau von 2019 erreichen zu können. Warum sagt man nicht: Es gilt aus Klimaschutzgründen zu prüfen, den Flugverkehr auf dem niedrigen Niveau von 2020 zu halten – um auf einen großen Teil des Flugverkehrs zu verzichten und einen anderen Teil auf den Schienenverkehr, insbesondere auf Nachtzüge, zu verlagern. Konkret: Im Jahr 2019 wurden auf allen deutschen Flughäfen 251 Millionen Fluggäste gezählt. 2020 waren es 135 Millionen. Doch 135 Millionen Fluggäste – das entspricht dem Niveau von … 2002. Hatten wir vor 18 Jahren ein Jahr der Immobilität? Gab es damals Stark-Tränen-Flüsse wegen verwehrter Flugreisen?[19]

Elektroautos und steigender Strombedarf. Die Regierungsparteien und die Grünen gehen davon aus, dass eine möglichst große Zahl von Elektroautos möglichst bald erreicht werden soll – und dass dies einen Beitrag zum Klimaschutz darstellt. Wörtlich heißt es auf der Website der Grünen: „Wir wollen klimafreundliche Autos […] Deutschland ist ein Land der Innovationen und Exporte. Darum wollen wir Vorreiter bei klimafreundlichen Fahrzeugen werden, denn ihnen gehört die Zukunft.“[20] Bislang lautet dabei die anspruchsvolle Zielmarke: 10 Millionen Batterieautos bis 2030. Die Tatsache, dass allein die Herstellung von 10 Millionen E-Pkw mit 50 Millionen Tonnen Treibhausgasen verbunden ist – was, auf den Herstellungsprozess bezogen, drei bis viermal mehr ist als im Fall der Herstellung von Verbrenner-Pkw – wird nirgendwo thematisiert. Dass ein Pkw-Park mit 10 Millionen Batterie-Autos im Jahr 2030 selbst dann, wenn der Gesamtbestand nicht größer als derjenige des Jahres 2021 ist, nicht wesentlich weniger Treibhausgase emittiert als der aktuelle Pkw-Bestand – auch dies ist kein Thema in einer grünen Verkehrspolitik.[21] Dass ein derart wachsender Bestand an E-Pkw einen massive zusätzliche Stromnachfrage mit sich bringt – wie dies vor einer Woche auch vom deutschen Wirtschaftsminister eingestanden wurde – auch dies wird nicht seriös diskutiert. Wobei damit ja auch alle Ziele hinsichtlich des Anteils erneuerbarer Energien im Jahr 2030 in Frage gestellt werden.

Insbesondere schweigen die Grünen zu der Tatsache, dass der Pkw-Bestand Jahr für Jahr weiter anwächst; selbst im Corona-Jahr waren es am 31. Dezember 2020 mehr als 500.000 Pkw mehr als am 11. Januar 2020. Bis 2030 gibt es damit mindestens fünf Millionen Pkw mehr – 53 Millionen anstelle von 48 Millionen. Wobei jeder Pkw – gleich welchen Antriebstrang er hat, dieselbe versiegelte Fläche benötigt. Das absehbare weitere Wachstum der Pkw-Flotte wird also für den weiteren Bau von Straßen verantwortlich sein.

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Das einzige, was immer neue Hochwasser-Gefahren mindern und eine zunehmend beschleunigte Klimaerhitzung abbremsen könnte, ist eine Politik der „gesteuerten Sparsamkeit“, wie dies jüngst die Politologin Birgit Mahnkopf formulierte: ein drastischer Abbau von motorisiertem Verkehrs allgemein, vor allem massiv weniger Autoverkehr und noch deutlich weniger Flugverkehr. Eine Reduktion des Energieverbrauchs (anstelle des nun gefeierten Ausbaus des Stromverbrauchs). Weniger Internet – das gewaltige Mengen Energie verschlingt – als dessen fortgesetzter Ausbau. Dabei wird, so Mahnkopf, „der erste Schritt darin bestehen, möglichst viele Menschen davon zu überzeugen, dass wir der Krise ins Auge schauen müssen […] Die Kraft für eine radikale Umwälzung der Verhältnisse können wir heute nicht aus dem tröstlichen Versprechen einer wunderbaren […] Zukunft beziehen. Nein, wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es gilt, das Schlimmste zu verhindern, und das muss als Antriebskraft genügen.“[22]

Text: Winfried Wolf (Bilder: Hermann Traub, Hermann Kollinger, Markus Distelrath auf Pixabay)

Anmerkungen:

[18] Nach: Tageszeitung/taz vom 30. April 2019. https://taz.de/Kommentar-Frankfurter-Flughafen/!5591697/

[19] Verkehr in Zahlen 2020/21, a.a.O., S. 88f.

[20] https://www.gruene.de/themen/verkehrspolitik

[21] Siehe Helmut Zell, Elektroautos konterkarieren die deutschen Klimaziele für 2030, in: Lunapark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie, Heft 54, Seite 62ff.

[22] „Wir brauchen eine gesteuerte Sparsamkeit“, Interview mit Birgit Mahnkopf in: WOZ, Zürich, Nr. 28 vom 15. Juli 2021, https://www.woz.ch/2128/klima-und-markt/wir-brauchen-eine-gesteuerte-sparsamkeit