Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!
Seit dem Überfall Russlands unter Präsident Wladimir Putin auf die Ukraine werden auch in Deutschland die Kräfte stärker, die eine Aufrüstung des Landes fordern. Dagegen richtet sich jetzt die Unterschriftenaktion „Der Appell“, initiiert von einem breiten Bündnis verschiedener Gruppen und Organisationen. Hier der Aufruf in vollem Wortlaut.
Am 24. Februar überfiel Russland unter Präsident Wladimir Putin die Ukraine. Schon jetzt hat dieser Krieg Tausende Opfer gefordert und Hunderttausende die Heimat gekostet.
Dieser Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen. Putin trägt die volle Verantwortung für die Toten und die Menschen auf der Flucht. Putins Begründungen für den Krieg sind Lügen und Propaganda. Wir machen uns große Sorgen über die Zukunft von Frieden und Sicherheit in Europa und der Welt. Diese Angst verbindet uns mit den Hunderttausenden Menschen, die nach Beginn des Krieges allein in Köln, Berlin, München, Frankfurt, Hamburg und Hunderten anderen Städten auf die Straße gingen und dort ihrer Empörung über Putins Krieg, ihre Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, ihrer Angst vor einer weiteren Eskalation und ihrem Wunsch nach Frieden und Sicherheit Ausdruck verliehen. Mit ihnen gemeinsam haben wir gegen Putins Krieg und für Frieden demonstriert.
Die Anschaffung von konventionellen Waffen wie Kampfflugzeugen und bewaffnungsfähigen Drohnen als Abschreckung unter atomaren Militärblöcken ist sinnlos.
Diese Demonstrationen waren die größten Friedensdemonstrationen seit den Protesten gegen den Irakkrieg im Jahr 2003. Noch am selben Tag, an dem in Berlin die Menschen gegen den Krieg auf die Straße gingen, präsentierte die Bundesregierung mit Unterstützung der CDU/CSU ein Maßnahmenpaket, das die größte Aufrüstung Deutschlands seit Ende des Zweiten Weltkriegs vorsieht. Eine massive Hochrüstung der Bundeswehr hilft den Menschen in der Ukraine nicht. Die neu anzuschaffenden Waffen werden die Ukrainer:innen in ihrem Kampf und Recht auf Selbstverteidigung nicht unterstützen. Schon jetzt übersteigen die „Verteidigungsausgaben“ aller 30 NATO-Staaten die russischen um fast das Zwanzigfache. Die Anschaffung von konventionellen Waffen wie Kampfflugzeugen und bewaffnungsfähigen Drohnen als Abschreckung unter atomaren Militärblöcken ist sinnlos. Die NATO-Länder und auch Deutschland haben schon vor 2014, das heißt lange bevor es den Ukrainekonflikt gab, begonnen, ihre Rüstungsausgaben deutlich zu steigern. Teile der Hochrüstungspläne finden sich schon im Koalitionsvertrag, weit vor den ersten Warnungen vor einer bevorstehenden russischen Invasion. Dieser Krieg und die fürchterlichen Bilder der Toten und Zerstörungen in der Ukraine können jedoch eine radikale Kursänderung in der deutschen Außenpolitik und die höchste Steigerung der deutschen Rüstungsausgaben seit dem Zweiten Weltkrieg – gar durch eine Grundgesetzänderung – nicht rechtfertigen.
Eine solche Wende der deutschen Außenpolitik um 180 Grad, mit entsprechend dramatischen Folgen auch für die Innenpolitik – für den Sozialstaat, für Liberalität und Mitmenschlichkeit – ganz ohne breite gesellschaftliche Debatte, ohne parlamentarische, ja sogar ganz ohne innerparteiliche Debatte zu beschließen, wäre ein demokratiepolitischer Skandal.
Zusätzlich zu den bisherigen 49 Milliarden Rüstungsausgaben im Haushalt 2022 sollen noch in diesem Jahr 100 Milliarden als Sondervermögen eingestellt werden, das der Bundeswehr über mehrere Jahre zur Verfügung stehen soll. Diese Summe entspricht den Ausgaben mehrerer Bundesministerien, darunter so wichtige Ressorts wie Gesundheit (16,03 Mrd.), Bildung und Forschung (19,36 Mrd.), Innen, Bau und Heimat (18,52 Mrd.), Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12,16 Mrd.), Wirtschaft und Energie (9,81 Mrd.), Umwelt (2,7 Mrd.), Zusammenarbeit und Entwicklung (10,8 Mrd.) sowie Ernährung und Landwirtschaft (6,98 Mrd.). Zukünftig sollen dann dauerhaft 2% des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung ausgeben werden. Damit würden diese Ausgaben auf deutlich über 70 Milliarden Euro jährlich steigen. Gleichzeitig will die Bundesregierung an der „Schuldenbremse“ festhalten, was langfristig die Frage unserer demokratischen Prioritäten aufwirft und die Gefahr massiver Kürzungen im sozialen, im kulturellen, im öffentlichen Bereich mit sich bringt. Diese politische Weichenstellung zusätzlich mit einer Grundgesetzverankerung auch für zukünftige Regierungen verpflichtend zu machen, lehnen wir im Namen der Demokratie ab. Nicht Hochrüstung, sondern Sicherheit und soziale Gerechtigkeit sind Auftrag des Grundgesetzes.
Die auf Jahrzehnte geplante Hochrüstung beendet das Sterben in der Ukraine nicht und macht unsere Welt nicht friedlicher und nicht sicherer.
Wir fordern statt Entscheidungen, die quasi über Nacht und im kleinsten Kreis getroffen werden, die breite demokratische Diskussion über ein umfassendes Sicherheitskonzept, das die Sicherheit vor militärischen Angriffen genauso einschließt wie pandemische und ökologische Aspekte und dem das Konzept der Einheit von Sicherheit und gemeinsamer Entwicklung zugrunde liegt.
Wir sind konfrontiert mit Krieg und unendlichem Leid, mit Flucht, mit Armut und sozialer Unsicherheit, mit einer globalen Pandemie, die aufgezeigt hat, wie unsere Gesundheitssysteme auf Kante genäht sind, mit einer öffentlichen Infrastruktur, deren jahrzehntelange Vernachlässigung uns heute teuer zu stehen kommt, einer Kulturszene, die auf dem Zahnfleisch geht, und mit einer Klimakatastrophe, die genauso wenig vor Staatsgrenzen Halt macht und immense Investitionen in Zukunftstechnologien und soziale Abfederung erforderlich macht. Die auf Jahrzehnte geplante Hochrüstung beendet das Sterben in der Ukraine nicht, macht unsere Welt nicht friedlicher und nicht sicherer. Wir können sie uns im Namen der Zukunft nicht leisten.
Hier können Sie unterschreiben.
Text: MM, Symbolbild: Michael Drummond auf Pixabay
Dass sich unsere Außenministerin noch zwei Tage vor Putins Überfall klar gegen Waffenlieferungen aussprach und kurz danach das komplette Gegenteil forderte bzw. zusicherte und dies jetzt sogar wiederholte, ist schon bemerkenswert. Auch Herr Habeck scheint verstanden zu haben, dass nur schnelle Waffenlieferungen jetzt noch helfen können. Allerdings müssen es komplexe Waffensysteme inklusive Flugzeuge sein, den Putin wird sonst demnächst die Ostukraine aufrollen, dann hätte er sein Minimalziel erreicht.
Wundere mich, dass hier keine Kommentare der Friedens- Aktivisten auftauchen. Hatten ja immer gegen die böse Rüstungsindustrie am Bodensee demonstriert. Habe letztes Jahr zum ersten Mal „Grün“ gewählt, finde es super wie unsere Außenministerin sich positioniert !
Sehr geehrter Herr Leba,
da schließe ich mich Ihrer Meinung an. Ich habe ebenfalls gedient und war bei der ABC-Abwehr, eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Vor dem Hintergrund der sich überschlagenden Ereignisse in der Ukraine, hilft mir dabei das bei der Bundeswehr Erlernte, die militärische Lage und Strategien sehr viel besser zu verstehen. Man sieht, was eine seit 2014 gut ausgebildete und spezialisierte Armee gegen eine vermeintlich weit überlegene Invasionsarmee alles ausrichten und bewirken kann. Es ist bewundernswert mit welcher patriotischen Verbundenheit die Ukrainer ihr Land und ihre Freiheit verteidigen und gleichzeitig beschämend, wie sich unsere Bundesregierung anstellt, der Ukraine schnell die geforderten und dringend notwendigen Waffen bzw. Waffengattungen zur Verfügung stellt, damit dieser russische Kriegsverbrecher in die Knie gezwungen wird.
Angst ist falsch, die NATO muss auch militärisch handeln. Leider sind in unserer realen Welt wehrfähige Armeen und eine tatsächliche Waffengleichheit notwendig um Kriege zu verhindern. Das hat Helmut Schmidt Ende der 70er Jahre richtig erkannt, aber nach 1990 glaubte man naiver Weise, man könne es sich leisten den Wehretat herunterzufahren und über Jahrzehnte unten zu halten. Auch deshalb brauchen wir uns nicht zu wundern, dass es diesen Angriffskrieg gibt – Putin ist ein guter Schachspieler.
@Herrn Greszki,
Zitat „Sie Sozen haben uns Russland ausgeliefert und einen schönen Schnitt gemacht.“ Solcherart gegenseitige Beschuldigungen und extremen Vereinfachungen nehmen derzeit überhand, differenziertes Herangehen, differenzierte Analysen der Situation, Versuche der Deeskalation kommen in Verruf und wir so alle zusammen mit Karacho in Teufels Küche, als wäre die Schlamastik nicht schon gross genug.
Aus dem Archiv des Deutschlandfunks vom Jahr 2007 ein Beitrag des leider früh verstorbenen Sozialdemokraten Hermann Scheer, von 1980 bis zu seinem Tod Mitglied des Deutschen Bundestags, 1999 wurde ihm der Right Livelihood Award für sein Engagement für die erneuerbaren Energien verliehen:
«Scheer: Dreiste Lügen der Atomlobby und der Union.
Anlässlich des Energiestreits zwischen Russland und Weißrussland verlangt der energiepolitische Sprecher der SPD, Hermann Scheer, dass sich die Bundesrepublik bei der Energieversorgung so schnell wie möglich unabhängig machen soll. Dies könne nur durch den Ausbau erneuerbarer Energien erreicht werden. Dagegen würden jedoch in einigen Bundesländern regelrechte Feldzüge geführt, kritisierte Scheer. Ministerpräsidenten von CDU und CSU versuchten, den Ausstieg aus dem Atomausstieg zu verhindern.»
«..Scheer: Es geht nicht nur um die Abhängigkeit von Russland. Ich glaube, dass das eine verkürzte Debatte ist, es geht genauso um die Minderung der Abhängigkeit von den Erdöl- oder den Erdgasvorkommen aus anderen Teilen der Welt, vor allem aus dem arabischen Teil der Welt. Es ist eine generelle Aufgabe, Energieautonomie herbeizuführen, und das ist nur möglich durch erneuerbare Energien. Natürlich würden wir einen großen Schritt vorankommen, wenn die Europäische Union mit gleicher Intensität das machen würde, wie wir es zwischen 1998 und 2005 in Deutschland in der rot-grünen Koalition gemacht haben mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. Damit haben wir ja die modernste Technologie zustande gebracht auf dem Sektor der stromerzeugenden erneuerbaren Energien. Wir sind in eine Vorbildrolle weltweit gerückt. Umso grotesker ist es, dass man genau diese Karte jetzt einfach ignoriert oder so tut, als sei sie nicht da oder als sei sie nicht ausreichend. Das stimmt eben einfach nicht…»
https://www.deutschlandfunk.de/scheer-dreiste-luegen-der-atomlobby-und-der-union-100.html
Dies nur ein Beispiel dafür wie schräg und verkürzt Ihre Behauptung zu den Tatsachen steht, Weiteres zu Ihrem Kommentar (nun gut, wenn’s geholfen hat den Kropf zu leeren) unterlasse ich vorerst.
Sie Sozen haben uns Russland ausgeliefert und einen schönen Schnitt gemacht. Die Linke immer mit dabei. Wehrlos und von russischen Ressourcen abhängig. Das gesamte politische Establishment war mit dabei, von rechts bis links.
Wir brauchen keine 35x F35 oder Panzer, man sieht in der Ukraine dass man auch mit althergebrachter grundsolider Infanteriearbeit mit klassichen Defensivwaffen eine Armee stoppen kann. Damit sollten wir anfangen.
Putin können wir besiegen indem wir die 12.000 Beamten des Beschaffungsamtes nur mit Bleistiften und Faxgeräten bewaffnet gegen Russland schicken – einer wird schon durchkommen.
Sozialstaat, Liberalität und Mitmenschlichkeit sind schön und nötig, helfen aber nicht, wenn der russische Bär vor der Türe steht und ein durchgeknallter Oberbefehlshaber im Bunker hockt (hatten wir doch auch schon mal). Man muss realistisch sein: Atomwaffen wird (hoffentlich) keine Seite einsetzen aus Selbstschutz. Konventionelle Waffen schon, wie wir gerade sehen müssen. Wer da nichts entgegensetzen kann, ist schnell weg vom Fenster, trotz „Schutzmacht“. Denn wenn die USA sich tendenziell mehr dem pazifischen Raum zuwenden, wie man hört, wird es für Europa sicherheitsmäßig kritischer. Und selbst ob die USA eingreifen würden, wenn RU ein NATO-Mitglied angreift, scheint mir angesichts der Nuklearkriegs-Gefahr zweifelhaft; bleibt also nur konventionelle Abwehrbereitschaft und die Hoffnung, dass sie was bringt. Die Welt ist leider nicht so, wie man es gerne hätte. Die deutsche Abwehr ist desolat, Sparwahn und blindes Verlassen auf die Schutzmacht. Nicht in Abwehr zu investieren, wäre fahrlässig. Finanziell wird es in jedem Fall eng werden, die fetten Jahre scheinen tatsächlich vorüber. Europa wird nach einer langen Zeit des Wohlstandes härtere Zeiten erleben müssen, was dieser übersättigten Konsumgesellschaft letztlich aber vllt. auch wieder etwas mehr Sinn für die wahren Notwendigkeiten verschaffen wird (statt z.B. über ein drohendes Tempolimit zu lamentieren).
Wir hatten bis zur Ära Guttenberg oder so 😉 eine meiner Meinung nach eine gute Aufteilung für alle, in Wehrplicht und Zivildienst!
Sollte sofort wieder eingeführt werden.
Hatte ein geiles Jahr beim Jagdbombergeschwader 32 auf dem Lechfeld, ist ja leider auch aufgelöst worden.
Sollen wir in Zukunft mit Wattebällchen werfen ?