Aus gegebenem Anlass

Der in der nahen Schweiz ansässige Schriftsteller Jochen Kelter hat sich mit einem offenen Brief an den PEN gewandt und darin zur jüngsten Debatte um den PEN-Präsidenten Deniz Yücel Stellung genommen, der eine Flugverbotszone über der Ukraine für die russische Luftwaffe gefordert hatte. Wir bringen diesen Brief hier in vollem Wortlaut mit einer kurzen Einleitung.

Der „Welt“ – Journalist Deniz Yücel sass 2027/2018 ein Jahr lang wegen „Terrorpropaganda“ in der Türkei in Haft und wurde nach seiner Entlassung im Sommer 2020 in Abwesenheit in Istanbul zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und neun Monate verurteilt. 2019 wurde er in die deutsche Sektion des internationalen PEN-Clubs aufgenommen, im Herbst 2021 zum deutschen PEN-Präsidenten gewählt – eher ungewöhnlich, dass ein Journalist an die Spitze einer Schriftstellervereinigung gewählt wird  (PEN bedeutet einerseits „Schreibfeder“, andererseits die Abkürzung für „Poets, Essayists, Novelists“). Aber wahrscheinlich hat ihm seine Bekanntheit zu dieser Wahl verholfen, nachdem einige seiner Vorgänger nicht gerade zu den bekannten Autoren gehörten.

Im März dieses Jahres setzte sich Yücel als Gast der „Lit.Cologne“, einer der grössten Literaturshows des Landes, für eine von der NATO verhängte Flugverbotszone über der Ukraine für die russische Luftwaffe ein, wie sie auch die ukrainische Führung fordert. Das würde mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen der NATO und Russland führen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen
Liebe Mitglieder des Präsidiums

Ich bin seit 1985 Mitglied des PEN und habe mich in der Vergangenheit kaum und fast nur zu Wort gemeldet, wenn ich darum gebeten worden bin (etwa in Urheberrechtsfragen). Aber ich habe erlebt, wie sich der Verband deutscher Schriftsteller (VS) in den achtziger Jahren in langen Grabenkämpfen bis zur heutigen Bedeutungslosigkeit selbst zerlegt hat – auch damals schon war es zu Beginn eine Auseinandersetzung zwischen ost-politischen „Falken“ und „Tauben“.

Ich kenne die Auseinandersetzungen zwischen Teilen des Präsidiums, dem Generalsekretär und der Geschäftsstelle nicht und will sie auch gar nicht kennen. Für Aussenstehende ist das Waschen schmutziger Wäsche kaum von Interesse.

Es geht vielmehr darum, dass der PEN-Präsident Deniz Yücel bei einer öffentlichen Veranstaltung eine Flugverbotszone über der Ukraine im Krieg gegen Russland gefordert hat. Sollte er darauf hingewiesen haben, dass das seine persönliche Meinung als PEN-Präsident ist, wäre dagegen aus meiner Sicht nichts auszusetzen. Ich persönlich halte die Forderung für gefährlich, obwohl ich selten die Meinung westlicher Politiker teile. Sollte Yücel die Forderung hingegen ausdrücklich im Namen des PEN gestellt haben, hielte ich das für bedenklich. Aber muss man deshalb gleich seinen Rücktritt fordern? Die deutsche „Rübe ab“-Mentalität war mir schon immer zuwider, Ausdruck zivilgesellschaftlicher Souveränität ist sie sicher nicht.

Ich hoffe sehr, der PEN, der sowieso nicht über allzu grossen politischen und kulturpolitischen Einfluss verfügt – hierzulande witzelte die NZZ  bereits, durch den Knatsch bekomme er endlich mal Aufmerksamkeit –, beschreitet nicht den Weg, den der VS vor über dreissig Jahren gegangen ist.

Mit kollegialen Grüssen,
Jochen Kelter

Foto: Isolde Ohlbaum