Der Wunderspuhler

Ein Volk, ein Kapital?? Der Thurgauer Nationalrat Peter Spuhler ist Leitungsmitglied der europafeindlichen SVP und macht als Unternehmer fleißig Geschäfte mit dem Ausland. Er gibt sich als Patron und regional verantwortungsbewusst. Geht das alles zusammen – und wenn ja, wie(so)?? Matthias Brenner versucht eine Annäherung an einen erfolgreichen Unternehmer, der recht gut mit seinen Widersprüchen als Politiker lebt.

Peter Spuhler (s. Foto), zum dritten Mal bestätigter SVP-Nationalrat für den Kanton Thurgau, Inhaber und Firmenchef der Stadler Rail AG, verdient sein Geld mit Zügen. Und da Mobilität das Kerngeschäft des 52-jährigen Unternehmers ist, verwundert es wenig, dass er auf die Frage, wie unternehmerische Weltoffenheit und nationalistisches Parteiprogramm in Einklang zu bringen seien, überraschend beweglich argumentiert. Seine Antworten sind für einen Exponenten der SVP recht ungewöhnlich und widersprüchlich: Der mit Schengen eingeschlagene, bilaterale Weg und die damit verknüpfte Personenfreizügigkeit sei für die Schweiz „überlebenswichtig“. Andererseits sei das Land auch nicht für 10 Millionen EinwohnerInnen „gebaut“. Die Initiative gegen „Masseneinwanderung“ werde er nicht unterzeichnen, auch wenn er mit den ins Rassistische tendierenden Plakatmotiven grundsätzlich leben könne. Und überhaupt verstünde er sich als Teil des Wirtschaftsflügels seiner Partei, und habe in diesen Fragen eben eine andere Ansicht als die Hardliner um Christoph Blocher.

So tänzelt Spuhler, mal gekonnt, mal etwas schwerfällig, zwischen den Extremen seiner Partei und den Realitäten eines Unternehmers, der auf ausländische Fachkräfte und den Export angewiesen ist. Doch je lauter die SVP ihre ausländerfeindliche Propaganda unkt, desto häufiger muss sich Spuhler eben diesen Fragen stellen. Lächelnd versucht er sich im immer breiter werdenden Spagat zwischen erzkonservativen Wertvorstellungen und globalisiertem Markt.

Die Thurbojugend

Es schmeckt nach Energydrink, billigem Teenie-Deo und Chips der Geschmacksrichtung Cervelat. Willkommen im THURBO, dem Regionalzug zwischen der Kreuzlinger Peripherie und dem Kantonshauptort Frauenfeld. Überall sitzen junge Menschen, die sich lautstark im wohl unpopulärsten Dialekt der Ostschweiz unterhalten. Sie fahren von Zuhause in die Schule, von dort zum Eishockeytraining oder einfach zu «Kollegä», zum «Poschtä» oder «in dä Usgang». Thurbojugend – so habe ich sie in Anlehnung an die Fanorganisation der norwegischen Band Turbonegro getauft.

Ein Gratis-Boulevardblatt, das sich einer der jungen Fahrgäste als Schmutzschutz unter seine Turnschuhe gelegt hat, informiert darüber, dass laut einer aktuellen Umfrage der Bundesämter für Statistik und Raumentwicklung das Zugfahren unter jungen SchweizerInnen immer populärer wird. Die Studie folgert, dass das Auto als Statussymbol an Bedeutung verliert, vor allem weil die Regionalzüge auch immer schneller würden. Der Thurbo als „Jugendbewegung“ ist zum Symbol für die hohe Mobilität des Kantons Thurgau geworden. Denn die Gelenktriebwagen der Firma Stadler Rail halten, anders als die Intercityverbindungen, auf Verlangen an jeder noch so kleinen Haltestelle und bringen am Wochenende für einen fünf Franken Nachtzuschlag die Halbwüchsigen nach dem Feiern bis spät in die Nacht zurück. Zwar können die vielen Zwischenstopps in Ortschaften mit klangvollen Namen wie «Kradolf», «Landschlacht» oder «Siegershausen» nerven, bemerkenswert ist aber, dass sich die Fahrtzeit im Vergleich mit den Stadtverbindungen kaum unterscheidet. Der Trend geht zurück zum Pendeln, berichtet die Studie weiter. Auch weil die Mieten – vor allem im Großraum Zürich – stetig steigen, entscheiden sich viele ArbeitnehmerInnen, auf das Pendeln umzusteigen statt umzuziehen. Zug statt Züglä, sozusagen.

Und wer durch den Thurgau pendelt, kommt an IHM in doppelter Hinsicht einfach nicht vorbei: Peter Spuhler. Nicht nur, weil man in den Gelenktriebwägen mit der Fertigungsplakette «Stadler» fährt. Auch wurden die PassantInnen und Passagiere an den Bahnhöfen im Wahljahr 2011 täglich vom überlebensgroßen, breit lächelnden Konterfei des Thurgauer Politstars angegrinst. Abgelöst wurde die Wahlwerbung zunächst von den schwarzen, über das Schweizerkreuz latschenden Kampfstiefeln, die vor den Massen der Einwander-Innen warnten und für eine neue, xenophobe Kampagne der Volkspartei warben. Und schließlich folgte erneut ein Schweizerkreuz: „JA zur Schweiz – hier kaufe ich ein.“ Ein Slogan des Schweizer Gewerbeverbands, der sich damit – erfolglos – gegen den Einkaufstourismus in Zeiten des historisch schwachen Euros zur Wehr setzt.

Arbeiten lassen und verhetzen

Und genau im Spannungsfeld dieser drei Plakate bewegt sich der Unternehmer und Parteisoldat im Rang eines Hauptmanns in letzter Zeit zunehmend wie auf einem Minenfeld. Als ihn beispielsweise sein Jugendfreund aus Eishockeyzeiten, Roger Schawinski, auf die Hetzkampagne und die verbreitete Schlagzeile „Kosovaren schlitzen Schweizer auf“ ansprach und fragte, wie denn die kosovostämmige Stadlerbelegschaft bei solchem Populismus reagiere, musste Spuhler zugeben: „Die werden da schon nicht ihre Freude dran haben.“ Aber das sei nun mal der Wahlkampf und die SVP müsse die Sorgen und Ängste des Volkssouveräns dann doch «a chli ernscht näh?!». Wer äußert sich auch schon gern gegen den eigenen Chef, selbst wenn man auf dem Weg zur Schicht täglich an diffamierenden Plakatwänden vorbeikommt??

In einem Interview mit dem Tagesanzeiger sprach Spuhler von einem „Verdrängungsprozess“, der gerade stattfinde und der nun von der Politik gelenkt werden müsse. Die ‚alten# Einwanderer, oft Südeuropäer aus dem Straßenbau oder anderen, weniger ausbildungsintensiven Branchen, würden zunehmend von hoch spezialisierten Fachkräften aus dem Norden verdrängt. Spuhler äusserte hier die Meinung, dass die alten Einwanderer zu einer Rückkehr in ihr Ursprungsland motiviert werden sollten.

FLIRT mit dem Ausland

Ausgerechnet in den Krisenjahren 2008 und 2011 wurde Spuhler von den Lesern der „Handelszeitung“ zum Unternehmer des Jahres gekürt. Und der unternehmerische Erfolg des in Spanien geborenen, in Zürich aufgewachsenen und an der HSG studierten Thurgauer Eisenbahntycoons ist in der Tat beeindruckend: Nach der Übernahme des Traditionsbetriebs Stadler, dem letzten Fabrikanten von Zahnradbahnen in der Schweiz, der 1989 gerade mal 15 Mitarbeiter und einen Umsatz von wenigen Millionen vorweisen konnte, baute er das Unternehmen sukzessive zu einem internationalen Konzern mit 8 Tochtergesellschaften, 4000 MitarbeiterInnen und einem bereinigtem Jahresumsatz in Milliardenhöhe aus. Als Familienunternehmen veröffentlicht Stadler keinen Jahresbericht, doch die auf der Homepage stolz präsentierte Umsatzentwicklung zeigt steil nach oben. Lediglich im Krisenjahr 2008 musste man einen leichten Rückschritt konstatieren.

Auch wenn die Firma Stadler mit dem Thurbo oder den TANGO-Straßenbahnen in Genf und Basel einen großen Markt im Inland bedient, ist ein Wachstum in diesen Dimensionen nur mit großen Exportaufträgen zu bewerkstelligen. Und die Auftragsbücher sind prall gefüllt: Norwegen, Deutschland, Russland, aber auch die USA, Brasilien oder Indien werden mit Rollmaterial aus den Stadlerwerken beliefert. KISS, FLIRT oder TANGO heißen die Fahrzeuge, die in alle Welt verschickt werden.

Gerade der Transport nach Übersee ist extrem aufwändig und kostenintensiv. Für die 64 Züge, die man zwischen 2008 und 2010 über den Hafen in Savona nach Algier verschiffte, mussten eigens Schienen auf dem Schiff verlegt werden. Auch jetzt gerade sucht man nach einer Lösung, wie man die für Brasilien fertig gestellten Rangierloks dort hin verfrachten kann. Und so ist es aus Unternehmersicht nur verständlich, dass Stadler die Produktion mehr und mehr in die jeweiligen Auftragsländer verlegt. Zudem macht der schwache Euro der Exportindustrie schwer zu schaffen, denn die bereits vor Jahren geschlossenen Lieferverträge ins europäische Ausland haben durch das Einknicken des Wechselkurses eine gut fünfzehnprozentige Wertminderung erfahren.

Der Trick mit den Gegengeschäften

„Das tut natürlich weh“, wie Spuhler in einem Interview am Rande des Davoser WEFs zu Protokoll gab. Doch der findige Betriebswirt hat auch auf den starken Franken eine passende Antwort: So versuche man, die ausstehenden Zahlungen direkt in Gegengeschäfte mit teuren Maschinenteilen und anderen Produktionsmitteln umzuwandeln und so die wechselkursbedingten Einbussen abzufedern. Auch bei diesem Krisenplan muss sich der SVPler tief in den Spagat beugen, wie er im April bei einem Vortrag am Wirtschaftsmeeting der Industrie- und Arbeitgebervereine aus dem Oberthurgau merken musste. Viele Zulieferer aus der Region hätten (wieder einmal) keine Freude an seinen Plänen. Doch glaube er, versuchte Spuhler zu relativieren, dass das Einkaufsvolumen wachse und somit die Schweizer Zulieferer hoffentlich nicht zu stark in Mitleidenschaft gezogen würden.

Doch schon jetzt wächst beispielsweise das Deutsche Werk in Berlin-Pankow viel schneller als die Schweizer Standorte. Noch werden gut zwei Drittel der Stadlerfahrzeuge in der Schweiz gefertigt, doch scheint es nur eine Frage der Zeit, dass dieses Verhältnis kippt. Die Eurokrise ist eine essentielle Bedrohung für den Exportriesen, wie Spuhler nicht müde wird zu betonen.

Patron alter Schule

Die Handelszeitung beschreibt Spuhler als „Patron alter Schule mit moderner Prägung“. Der Titel ‚Patron‘ scheint durchaus passend, denn Spuhler legt viel Wert darauf, die absolute Aktienmehrheit der unter ihm zum Global Player avancierten Stadler Rail zu halten. Erst Anfang Jahres vereinbarte er, 20 Prozent der Aktien von der Beteiligungsgesellschaft Capvis zurückzukaufen. Nach Abschluss dieser Transaktion hält der Patron 85 Prozent der Aktien. Die übrigen 15 Prozent verteilte er im Stile eines Grandseigneurs als Gewinnbeteiligung an langjährige Kadermitglieder. Die Firma zu verkaufen, käme für ihn nur dann in Frage, wenn keines seiner drei Kinder an einer Übernahme interessiert sei oder, um einen Aufkauf durch die Konkurrenz zu verhindern.

Auch eine Kandidatur für den Bundesrat schlug er immer wieder mit der Begründung aus, dass sein unternehmerisches Engagement darunter leiden würde. Lieber schraubt Spuhler seine parteiinternen Ambitionen zurück, um weiterhin zweigleisig fahren zu können: Denn als Mitglied der Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) kann er sich aktiv für eine liberale Wirtschaftsordnung einsetzen und nutzt so sein politisches Mandat, wie er selbst zugibt, zum Lobbying für den Industriestandort Schweiz.

Wie schwierig der Konflikt zwischen Unternehmertum und Parteimandat bisweilen werden kann, verdeutlicht am besten die aktuelle Swissnessdebatte zum Markenschutzgesetz. Zwar stimmte Spuhler in der großen Kammer für das Gesetz, welches einen festgesetzten Pflichtanteil von Schweizer Zutaten in Schweizer Produkten fordert, da ihm die Marke Schweiz am Herzen liege. Allerdings unter dem Vorbehalt, dass der Pflicht-Wertschöpfungsanteil für die unter dem starken Franken leidende Industrie nicht über 50 Prozent angesetzt würde. Der Politiker scheiterte mit seinem Antrag knapp, so dass der Pflichtanteil auch für die Industrie bei 60 Prozent festgeschrieben wurde.

Gerade beim Markenschutz tut sich Spuhlers SVP schwer, obwohl sie selbst am meisten mit der Marke Schweiz hausieren geht. Der Widerspruch liegt auf der Hand: Als Großunternehmer möchte man sich am globalisierten Markt behaupten und wettbewerbsfähig bleiben. Man ist angewiesen auf das Know How und die Werkkraft der ausländischen FacharbeiterInnen, auf Rohstoffe und High-Tech-Bauteile aus dem Ausland. Trotzdem möchte man sich das Label «Schweizer Fabrikat» nicht nehmen lassen. Manchmal gelingt eben auch einem Wunderspuhler der Spagat zwischen Industrielobbying und Parteitreue nicht. Vielleicht ist der Mann aber auch einfach in der falschen Partei. Es sieht zumindest im Moment nicht so aus, als ob der Unternehmer versuchen würde, der Fremdenfeindlichkeit und Hetze seiner Partei im eigenen Interesse offensiv entgegen zu wirken oder gar sein Parteibuch abgeben wollte. Doch wer weiß?? Wunder gibt es ja angeblich immer wieder.

Autor. Matthias Brenner/antidotincl.ch (M.B. schreibt regelmäßig für das Kulturmagazin «Saiten»)