Der Klimablog (118): Asphaltgeschichten. Die Anreise
Es scheint ruhig geworden zu sein um die Gruppe „Die Letzte Generation“ – zumindest die Mainstream-Medien verzichten derzeit auf reißerische Schlagzeilen gegen die Maßnahmen der Klimaschützer*innen. Dabei gehen ihre Aktionen weiter.
Es ist schon interessant, über was die meisten Medien berichten. Und über was nicht. Im Unterschied zu ihren halsschreierischen Artikeln über die „Klimakleber“ verzichteten viele Zeitungen zuletzt über einige interessante Sachverhalte rund um die Aktionen der Letzten Generation:
– So konnten offenbar viele Redaktionen in einem spektakulären Vorgehen Anfang Juni keinen größeren Nachrichtenwert erkennen – vielleicht auch deshalb, weil es zur Abwechslung mal gegen die Superreichen ging. Auf der Ferieninsel Sylt hatten Aktivist*innen einen Privatjet mit oranger Farbe besprüht und sich an den Tragflächen festgeklebt.
– Ebenfalls gegen die Mächtigen richtete sich am 19. Juni eine Blockade beim Tag der Industrie in Berlin: Mehrere Unterstützer*innen versammelten sich auf den Zufahrtsstraßen und bemalten den Gebäudeeingang. Auf der Veranstaltung des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) sprachen unter anderem Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck. „Kanzler Scholz macht Politik für die Reichen und Mächtigen“, hieß es dazu in einer Presseerklärung der Letzten Generation.
– Einige Tage später entschied das Landgericht Berlin, dass der vielerorts und von unteren Instanzen vorgebrachte Vorwurf der Nötigung bei Klebeaktionen nicht immer erhoben werden könne, vor allem dann nicht, wenn die Aktion angekündigt sei: Autofahrer*nnen hätten ja auch auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen können.
– Und am Wochenende räumte die Münchner Staatsanwaltschaft ein, dass sie monatelang die Telefone und Handys von Letzte-Generation-Mitgliedern abgehört hatte – darunter auch (ziemlich rechtswidrig) die Telefongespräche mit Journalist*innen.
An einem Sonntag im Mai
Aber wie ist es, wenn sich jemand an Aktionen der Letzten Generation beteiligen möchte – und noch dazu aus dem (aus hauptstädtischer Sicht) weit entfernten Konstanz kommt? Eileen Blum, Sprecherin der Konstanzer Gruppe von Letzte Generation, hat sich Mitte Mai aufgemacht und ist zu Aktionen nach Berlin gefahren. Was sie dabei empfand und dort erlebte, schildert sie in einem mehrteiligen Beitrag:
Es ist 8 Uhr morgens. Ich sitze am Bahnhof und die Augen fallen mir fast zu. Ich denke an mein Zuhause. An das Bett, in das ich mich jetzt nach der Nachtschicht gerne legen möchte, an meine Familie, der ich noch nicht erzählt habe, dass ich die nächsten Tage nicht nach Hause kommen werde. An die Kollegin, die so nett war, mit mir Dienste zu tauschen, damit es sich für mich lohnt, nach Berlin zu fahren, um mit der Letzten Generation für den Erhalt unserer Erde auf die Straßen zu gehen.
Ich schlucke. Es fühlt sich komisch an, nicht an meinem Heimatort auszusteigen, sondern einfach immer weiter in den Norden zu fahren. Von Zuhause abzuhauen, um Straftaten zu begehen. Zeit, mir im Voraus eine Fahrkarte zu buchen, hatte ich nicht. Und so fahre ich einfach drauf los. Von Konstanz aus fährt ja so ziemlich alles nach Norden.
Ich öffne WhatsApp und fange an zu tippen: „Hi Leute, nicht wundern, ich komme heute nicht nach Hause. Ich fahre nach Berlin. Bin Donnerstagabend wieder da. Werde mit der Letzten Generation auf die Straße gehen, aber regt euch bitte nicht zu viel auf. Ich weiß, ihr seid dagegen, aber ich halte das für sehr wichtig. Deshalb habe ich euch vorher nichts davon erzählt.“
Es dauert eine Weile, bis ich Antwort bekomme. Die Reaktionen sind nicht ganz so aufgebracht wie beim letzten Mal, auch wenn das absolut nicht heißt, dass irgendjemand aus meinem näheren Umfeld mit meinem Aktivismus einverstanden wäre.
Ich werde darauf hingewiesen, dass Festkleben dumm und peinlich ist, ohnehin nichts bringt und ich mich unter keinen Umständen selber festkleben soll, weil das gefährlich ist. Ich antworte, dass ich mich trotzdem festkleben werde und sie mich nicht davon abhalten können. Warum, das habe ich schon oft genug zu erklären versucht.
Zweieinhalb Stunden Schlaf
Ich mache mein Handy aus, um Akku zu sparen, versuche die Gedanken beiseite zuschieben und ein bisschen zu schlafen. Nur, dass das nicht so einfach ist, wenn der ganze Zug überfüllt ist, man häufig umsteigen muss und keinen Sitzplatz bekommt, weil man vorher keine Zeit hatte, die Anfahrt zu planen. Schlussendlich läuft es doch darauf hinaus, dass ich doch überwiegend am Handy hänge, versuche, herauszufinden, wo ich heute Nacht unterkommen und an welchen Aktionen ich die nächsten Tage teilnehmen kann.
Es gibt ein Hostel, in dem die letzte Generation Zimmer gemietet hat. Ich kenne niemanden und trage mich einfach irgendwo ein. Für den nächsten Tag melde ich mich als Unterstützung bei einem Protest, wo der Verkehr auf einer großen Autobahn erst heruntergebremst werden soll, damit Aktivisten sich dann mit der einen Hand an den vordersten Autos festkleben und die andere Hand zur Fixierung auf die Straße betonieren können. Einer der Aktivisten meldet sich bei mir, um mir die nötigen Informationen zur Aktion und unserer Unterkunft zu geben. Vermutlich werde ich erst gegen Mitternacht in Berlin ankommen. Die Aktion am nächsten Morgen startet kurz vor 7 Uhr. Er fragt, ob ich trotzdem dabei sein möchte.
„Sicher“, antwortete ich. „Wenn ich schon extra so lange nach Berlin fahre, soll sich das schon lohnen.“
Bis ich schlussendlich in der Unterkunft bin, ist es kurz nach 3 Uhr morgens. Schuld war eine ziemliche Zugverspätung und die Tatsache, dass nachts kaum öffentliche Verkehrsmittel durch Berlin fahren, ich mich ziemlich verfahre und dann beschließe, zwei Stunden zu Fuß zu laufen, weil ich da im Gegensatz zum Nachtbus-, U- und S-Bahnnetz wenigstens checke, wie es geht. Gut, dass meine Eltern nicht wissen, dass ich nachts alleine über zwei Stunden quer durch Berlin laufe.
Als ich ankomme, bin ich völlig durchgefroren und todmüde. Leise schleiche ich mich in das vereinbarte Zimmer. Alle anderen schlafen. Im Halbdunkeln suche ich mir ein freies Bett, stelle den Wecker auf 5:30 Uhr und decke mich mit meiner Jacke zu. Bettwäsche habe ich nirgends gefunden und ich will die anderen nicht wecken.
[Die Fortsetzung lesen Sie hier.]
Text: Eileen Blum (Einleitung: Pit Wuhrer)
Fotos: Pressematerial der Gruppe Letzte Generation
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