Der Klimablog (115): „Für wie beschränkt halten die uns eigentlich?“

Noch hoffen die Mitglieder der Klimagruppe Letzte Generation, dass die Regierung künftig eher Maßnahmen gegen den Klimawandel als gegen sie ergreift. Das sagte die Konstanzer Aktivistin Eileen Blum im ersten Teil des Interviews. Im zweiten Teil erläutert sie, weshalb die Gruppe zu Straßenblockaden greift und andere Protestformen eher skeptisch sieht.

Dies ist Teil 2 des Gesprächs, Teil 1 finden Sie hier.

seemoz: Um eure Ziele oder beispielweise den Gesellschaftsrat durchzusetzen, braucht ihr mehr Unterstützung. Es gibt viele Leute, die euren zivilen Protest grundsätzlich gut finden, aber die Zielsetzung und das Mittel hinterfragen. Ohne breite Unterstützung aber nichts zu erreichen ist. Was tut ihr dafür?

Blum: Wir hören häufig, dass das Festkleben auf Straßen für ein 9-Euro-Ticket und Tempo 100 auf Autobahnen der falsche Weg für zu bescheidene Ziele seien.

seemoz: Ist die Protestform die richtige?

Blum: Es wird oft kritisiert, dass es die falschen trifft. Aber wir haben uns auch schon vor dem Bundestag und vor dem Landwirtschaftsministerium festgeklebt, wir haben Gasleitungen abgedreht, mit anderen Klimaschützern Kohlegruben besetzt. Aber kaum jemand weiß davon, weil darüber selten berichtet wird. Der beste Protest nützt nichts, wenn ihn niemand mitkriegt.

seemoz: Und das ist bei Straßenblockaden anders?

Blum: Sie finden in der Mitte der Gesellschaft statt, da ist es schwierig, uns zu ignorieren. Leute regen sich auf, und es ist halt in unserer aktuellen Medienkultur so: Sobald sich jemand aufregt, wird darüber berichtet und diskutiert. Laut Protestforschung ist das bei anderen Widerstandsformen weniger der Fall – weil niemand sie mitkriegt.

seemoz: Letzte Woche haben hundert Aktivist:innen den Genfer Flughafen besetzt und die Startbahn für einige Stunden blockiert. Das hat Schlagzeilen gemacht.

Blum: Das ist eine ähnliche Form; sie haben ebenfalls den Verkehr blockiert.

seemoz: Nur richtete sich die Aktion vor allem gegen Privatflieger, die wesentlich mehr zur Klimakatastrophe beitragen als die kleinen Angestellten im Auto.

Blum: Gute Idee. Aber krieg mal genug Leute zusammen, die eine Flughafenblockade machen. Es ist nicht so einfach, auf eine Landebahn zu kommen, bei Straßen ist das einfacher. Außerdem ist die Repression nochmals deutlich stärker.

seemoz: Warum dann keine Besetzung des Bundesverkehrsministeriums? Da würden sicher viele zustimmen.

Blum: Das kann durchaus sein. Aber unsere Besetzung des Landwirtschaftsministeriums hat keiner mitgekriegt. Ich weiß nicht, ob das Schlagzeilen machen würde.

Eileen Blum ist ausgebildete Krankenpflegerin und arbeitet im Konstanzer Klinikum. Als aktives Mitglied der Organisation Letzte Generation war die 22-Jährige (aufgewachsen in Allensbach) vor kurzem in Berlin (wo sie sich an einer Straßenblockade des Gesundheitspersonals beteiligte). Sie hält Vorträge über Klimaentwicklung und Widerstand, leitet Aktionstrainings und ist Sprecherin der Konstanzer Gruppe von Letzte Generation. Und einen Tipp hat sie auch: Für eine Straßenaktion, sagt sie, reiche der ganz normale Sekundenkleber.

seemoz: Noch ein Vorschlag, diesmal von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung, Zitat: „Vielleicht würde es sich mehr lohnen, in Karlsruhe, am Sitz des Bundesverfassungsgerichts, zu protestieren. Das höchste deutsche Gericht hat sich seit seinem vielgerühmten Klimabeschluss vom März/April 2021 der Fortschreibung des Klimaschutzes verweigert. Es nimmt seine eigene damalige Entscheidung selber nicht ernst: Es hat alle weiteren Klagen, die mehr Klimaschutz erreichen wollten, abgewiesen – zum Teil ohne jede Begründung. Da lohnt sich ein Protest.“ Ein Ziel?

Blum: Ja, definitiv. Den ersten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts fand ich super, aber danach war’s schon enttäuschend. Es kam nichts. Wir haben ein Strategieteam, die werden sich schon überlegt haben, warum sie das nicht vorschlagen …

seemoz: Warum nicht mal die Chefetagen der Energieriesen RWE und E.On oder die Konzernzentralen der Auto- und Chemieindustrie?

Blum: Mit politischen Zielen erreichen wir wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit. Dazu kommt: Bei bisherigen Aktionen zum Beispiel an Gaspipelines waren die Reaktionen sehr harsch, die Firmen haben mit Anwälten gedroht, hohe Geldstrafen in Aussicht gestellt und verlangt, dass alle Aussagen widerrufen und alle Beiträge von Netz genommen werden. Und dann ist es schwierig, die Presse bei Hausfriedensbruch mitzunehmen. Auf der Straße geht das einfacher.

seemoz: Dabei müsste man doch genau an diese Firmen ran.

Blum: Richtig. Aber man hat viel mehr Ärger mit denen.

„Ein paar Schilder abschrauben genügt.“

seemoz: Fragt ihr euch nicht, ob sich euer persönlicher Einsatz und die damit verbundenen Risiken für ein 9-Euro-Ticket und ein Tempolimit lohnen. Solltet ihr da nicht ein bisschen mehr wollen?

Blum: Was ist die Alternative? Die Politik hat uns vorgeworfen, dass wir viel zu große Forderungen gestellt hätten, die nicht zu schaffen seien. Deshalb verlangen wir etwas, das sofort umgesetzt werden kann: Für das 9-Euro-Ticket und das Tempolimit gibt es bereits gesellschaftliche Mehrheiten, und der Organisationsaufwand wäre gering. Ein paar Schilder abschrauben genügt.

seemoz: Das Klimathema ist unglaublich umfassend und komplex. Da hatte es die Anti-AKW-Bewegung mit der Besetzung von Bauplätzen einfacher.

Blum: Das Thema ist allumfassend, und deswegen fragen auch viele: Warum protestiert ihr da – und nicht dort? Warum der Flughafen und nicht die Massentierhaltung, die ist auch wichtig, und warum die Massentierhaltung und nicht die Kohlegruben in NRW? Dabei gab es ja dort auch Proteste. Es gibt eben nicht diesen einen Symbolort, wo alle hinkommen können. Andererseits kann man dafür überall ansetzen, weil alles mit Klima zu tun hat.

seemoz: Ihr braucht Bündnispartner:innen. Was tut ihr dafür?

Blum: Wir fordern alle auf, uns zu unterstützen, führen Kampagnen, organisieren Veranstaltungen – und planen derzeit eine stärkere Vernetzung mit den Kirchen, Gewerkschaften und dem Kulturbereich wie beispielsweise Museen. Da haben wir schon einige Unterstützung bekommen …

seemoz: Von Museumsleitern, die sagen: Kommt rein, wir hätten da noch ein Bild?

Blum: Nein, nicht zum Ankleben (lacht). Wir haben zum Beispiel in Friedrichshafen mit dem Zeppelin-Museum kooperiert, das uns Räume für Veranstaltungen, Aktionstraining und Malworkshops mit Kindern anbot. Mittlerweile gibt es mit vielen Museen eine Zusammenarbeit.

seemoz: Mit den Gewerkschaften ist es wahrscheinlich nicht so einfach. Da gibt es zwar eine bundesweite Kooperation zwischen ver.di und Fridays for Future, aber vor Ort läuft nichts.

Blum: Vor Ort ist es ein bisschen schwierig, weil niemand freie Kapazitäten hat. Da fragt man sich etwa vor Klimastreiktagen: Machen die anderen hier eigentlich auch was, haben die sich mal  gemeldet, warum hört man nichts, wer könnte sie anschreiben? Aber dafür hat dann niemand Zeit …

seemoz: Wie viele seid ihr denn hier?

Blum: Aktiv sind etwa ein Dutzend. Das ist mehr als noch vor Kurzem und verglichen mit anderen Orten gar nicht so schlecht, aber wir wollen natürlich mehr werden.

seemoz: Liegt es an der geringen Zahl von Aktiven, dass es bisher in Konstanz nur eine Aktion gab?

Blum: Uns gibt es seit 2021, und lange Zeit war ich die Einzige. Allein lässt es sich schlecht protestieren. Aber dann kamen mehrere Leute dazu, wir machten die Aktion, planten eine weitere, doch dann hat unser regionales Strategieteam, das mit der Protestforschung zusammenarbeitet, abgewunken. Aber es wird bis Herbst ein paar Aktionen geben.

seemoz: Jetzt warnt die SPD vor einer Radikalisierung und empfiehlt eine weitere Beobachtung durch Sicherheitsbehörden. Steht eine Radikalisierung an?

Blum: Die Forschung hat ergeben, dass radikalere Proteste nicht immer die wirksameren sind – aber Protest auch irgendwo stören und kontrovers sein muss, damit er wirkt. Und dass ziviler Ungehorsam die beste Form ist. Es entspricht unserem Grundkonsens, Leben zu schützen und ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Radikalere Formen lassen sich mit unseren Überzeugungen nicht vereinbaren und sind auch nicht effektiv. Da frage ich mich: Für wie beschränkt halten die uns eigentlich?

seemoz: Was erwartet ihr nach dieser Repressionswelle, was kommt da auf euch zu?

Blum: Es gibt ein schönes Zitat, ich glaube, es ist von Gandhi: „Zuerst ignorieren sie dich, dann bekämpfen sie dich, dann gewinnst du“. Wir stellen uns schon darauf ein, dass der Staat vielleicht noch zu heftigeren Mitteln greift, inklusive Gefängnisstrafen. Aber das mobilisiert ja auch Leute, wie wir derzeit sehen, die sagen: „Wir finden nicht alles gut, was ihr tut. Aber was der Staat da macht, ist nicht okay. Es ist offenbar nicht gewillt, auf vernünftige Forderungen einzugehen oder selber Vorschläge für mehr Klimaschutz zu machen – und so bin ich jetzt auf eurer Seite.“

seemoz: Das staatliche Vorgehen ist also kontraproduktiv?

Blum: Es sieht so aus. Manche geben sich jetzt einen Ruck und sagen sich: „Wenn ich mich schon für eine Seite entscheiden muss, dann bin ich eher für die Klimaaktivisten.“ Wir sehen das ja auch beim Spendeneingang – wenn nicht gerade, wie jetzt, die Konten beschlagnahmt werden.

seemoz: Woher kommt das Geld?

Blum: Es gibt ein paar Großspender, die 10.000 Euro überweisen, weil sie sich sagen, dass das Geld bei uns besser investiert ist als in Aktien der Ölfirmen. Aber meist sind es kleine Beträge.

Interview: Pit Wuhrer, Vjollca Veliqi / Fotos: Pit Wuhrer

Veranstaltungshinweis: Letzte Generation Konstanz lädt ein zu einem Vortrag über Klimakrise, Protestforschung und die Letzte Generation. Treffpunkt: Donnerstag, 8. Juni, 18 Uhr, am Kaiserbrunnen auf der Marktstätte, Konstanz. Anschließend gibt es auch Raum für Fragen und Diskussion.
Der Vortrag findet draußen statt, wetterangepasste Kleidung ist von Vorteil.