Wer Waffen sät, wird Kriege ernten

Fallschirmjäger SchlachfeldSeit über einem Jahr führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Und seit dieser Zeit findet in der deutschen Gesellschaft und in ihren Medien eine Debatte statt, die sehr stark binär strukturiert ist. Das heißt: Auf der einen Seite steht Russland als Aggressor, auf der anderen Seite steht die Ukraine als Opfer. Das haben die Autorinnen im folgenden Beitrag kritisch hinterfragt.

Auf der einen Seite stehen diejenigen, die es ablehnen, dass Deutschland Waffen an die Ukraine liefert, auf der anderen Seite diejenigen, die dies befürworten. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die als Folge des Krieges eine massive Aufrüstung der Bundeswehr befürworten, auf der anderen Seite die Teile der Gesellschaft, die dies ablehnen.

Auf diese Weise wird jedoch übersehen bzw. ausgeblendet, dass es in Russland nicht nur Kriegsbefürworter*innen gibt und in der Ukraine nicht nur Kriegsgegner*innen bzw. pazifistisch orientierte Menschen. Auch werden die Argumente, die diejenigen vorbringen, die sich für oder gegen Waffenlieferungen, für oder gegen eine Aufrüstung der Bundeswehr aussprechen, nicht in den Mittelpunkt gestellt. Es wird mit gegenseitigen Abwertungen gearbeitet, auf der einen Seite die Putin-Versteher*innen; auf der anderen Seite die Kriegstreiber*innen.

Dass die Debatte in Deutschland von solchen binären Oppositionen geleitet wird, wurde bereits in den Reaktionen unmittelbar nach Ausbruch des Krieges deutlich. Künstler*innen aus Russland wurden aufgefordert, sich von Russland zu distanzieren, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) setzte „alle von ihr geförderten Forschungsprojekte zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland und Russland aus“. Förderanträge für deutsch-russische Kooperationen und Fortsetzungsanträge wurden kurzfristig nicht angenommen.1

Aufrüstung der Bundeswehr

Bereits Anfang März stand fest: Deutschland wird aufrüsten – 100 Milliarden werden für die Bundeswehr als Sondervermögen bereitgestellt.2 Damit vollendete die Koalition von SPD, Grüne und FDP jedoch eine politische Kehrtwende um 180 Grad. Denn in den letzten Jahrzehnten hatte sich die außenpolitische Orientierung Deutschlands gegenüber Russland stark auf einen Friedensdiskurs verlegt. Das Augenmerk wurde auf einen Wandel durch Handelsbeziehungen gelegt, mit dem der Frieden zwischen den beiden Staaten gesichert werden sollte.

Die Umkehr dieser friedenspolitischen Orientierung vollzog sich nahezu geräuschlos. Nachdem das Bundeskabinett am 16.3.2022 einen entsprechenden Gesetzesvorschlag beschlossen hatte, wurde das Gesetz nach einer Expertenanhörung am 3.6.2022 im Bundestag verabschiedet. Der Bundesrat stimmte am 10.6.2022 zu.

Die von Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigte Aufrüstung der Bundeswehr, die mit dem Euphemismus „Sondervermögen“ belegt ist, wurde im Mediendiskurs kaum diskutiert, geschweige denn in der Gesellschaft. Bei dem Tempo, mit dem das Gesetz „durchgepeitscht“ wurde, war dies auch kaum möglich.3

Nur von der Partei Die Linke, und aus der Friedensbewegung, etwa von der DFG/VK und den Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), wurden die Maßnahmen kritisiert.4

Waffenlieferungen an die Ukraine

Nach anfänglichem Zögern beschloss die Bundesregierung dann Anfang Mai 2023, dass auch schwere Waffen an die Ukraine zur Unterstützung ihrer Verteidigung geliefert werden.5

Im Mediendiskurs wurde darüber eine kontroverse Debatte geführt. Doch auch diese Diskussion folgte über weite Strecken einer binären Logik. Mit offenen Briefen wurde z.B. an Bundeskanzler Scholz appelliert, dies zu tun bzw. dies zu lassen. So folgte dem von Alice Schwarzer initiierten Brief vom 29.4.2022, in dem vor einer Rüstungsspirale gewarnt wurde, ein paar Tage später ein von Ralf Fücks initiierter Brief, der sich für die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine aussprach.

Auch in den TV-Medien wurde die Diskussion kontrovers geführt – allerdings mit einer Schlagseite zugunsten von Waffenlieferungen.6 Dies zeigte sich z.B. an den Gästelisten der Talkshow von Markus Lanz, in denen Gegner*innen der Waffenlieferungen jeweils einer Mehrheit von Befürworter*innen gegenüberstanden.7

Binaristische Debatten sind nun keineswegs neu in Deutschland. Erinnert sei nur an die Debatte um die Bewältigung der Corona-Pandemie 2020/2021, die eine Kluft zwischen Befürworter*innen einer Impfpflicht und Impfgegner*innen entstehen ließ.

Binäre Debattenstrukturen sind jedoch problematisch, denn sie spalten die Gesellschaft, indem sie einfache Denkmuster und Zuordnungen von „gut vs. böse“, „richtig vs. falsch“ produzieren und einer facettenreichen, demokratisch und vielfältig orientierten Gesellschaftsentwicklung im Wege stehen. Nur wenige Stimmen aus der Zivilgesellschaft versuchten solch fatale Dichotomien zu vermeiden, indem sie – wie z.B. Pro Asyl – ein Recht auf Asyl für Kriegsdienstverweigernde und Desertierende aus Russland und der Ukraine fordern.

Der Krieg gegen die Ukraine geht weiter und seine Auswirkungen zeigen sich weltweit. Dabei gewinnt der Diskurs um Aufrüstung – und Aufrüstung ist hier nicht nur im militärischen Sinne gemeint – an Dynamik.

Bereits in der ersten Phase des Krieges kamen die Befürworter*innen von Waffenlieferungen im Mediendiskurs stärker zu Wort als diejenigen, die sich gegen Waffenlieferungen aussprachen. Dennoch zeigten Umfragen, dass große Teile der Bevölkerung Waffenlieferungen kritisch sahen und Angst vor einer Eskalation des Krieges hatten.8

Vor diesem Hintergrund wurde von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht im Februar 2023 die Online-Petition „Manifest für Frieden“ gestartet, der sich 69 Erstunterzeichner*innen anschlossen und die bis Mitte März von über 750.000 Personen unterzeichnet worden ist.

In dieser Petition wird Bundeskanzler Scholz dazu aufgerufen, im Rahmen der Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine „die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen“ und sich „für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen“ einzusetzen, um „weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern“.

Diese Petition löste erneut eine kontroverse Debatte aus, bei der Kritiker*innen den Unterzeichner*innen vorwarfen, sie würden die Ukraine schutzlos den russischen Angriffen ausliefern. Darüber hinaus könnte Putin zu weiteren Übergriffen auf andere Länder motiviert werden. Zudem würden sich die Initiatorinnen nicht ausreichend gegen Rechts abgrenzen; ein Vorwurf, der sich daran festmachte, dass auch AfD-Mitglieder die Petition unterzeichnet hatten und sie durch die extreme Rechte „gekapert“ werden könnte. Dies bewog einige Erstunterzeichnende ihre Unterschrift zurückzuziehen.9 Auf diese Weise wurde eine mediale Position verstärkt, die die Gegnerschaft zum Krieg in eine „rechte Ecke“ zu stellen versuchte, nach dem Motto: ‚Wer gegen den Krieg ist, ist rechts.

Roderich Kiesewetter (CDU) und andere Wissenschaftler*innen starteten eine Petition „Die Ukraine jetzt aufgeben? Nicht in unserem Namen!“ – denn, so argumentierten sie, Frieden ohne Freiheit sei kein Frieden. Am 24.2.2023 fand dazu eine Demonstration in Berlin statt.

Im Rahmen der Petition „Manifest für Frieden“ wurde zu einem „Aufstand für den Frieden“ am 25.2.2023 am Brandenburger Tor aufgerufen, an der zwischen 13.000 und 50.000 Personen teilnahmen – unter ihnen auch Mitglieder der rechten Szene, die jedoch keine rechten Fahnen und Symbole zeigten und somit ohne Vorkenntnis nicht identifiziert werden konnten.

Diese kontroverse Debatte zieht sich seitdem durch den gesamten medienpolitischen Diskurs und zeigt sich in zahlreichen Äußerungen von Politiker*innen und Talkshow-Gästen.

Einen weiteren Höhepunkt der Debatte lieferte die Äußerung von Außenministerin Annalena Baerbock nach einer Rede vor der parlamentarischen Versammlung in Straßburg im Januar 2023. Auf die Frage eines britischen Parlamentariers antwortete sie in frei formuliertem Englisch: „Ja, wir müssen noch mehr tun. Auch in Bezug auf Panzer. Aber das Wichtigste und Entscheidende ist, dass wir es zusammen tun – und nicht Schuldzuweisungen machen in Europa. Denn wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander.“10 Obwohl sie diese Äußerung im Nachgang relativierte und Völkerrechtler zu der Einschätzung kommen, dass Deutschland auch durch die Panzerlieferungen nicht zur Kriegspartei wird,11 kursierte auf Twitter sofort das Wort „Kriegserklärung“. Auch von Rechts wurde dieser Satz kritisch aufgegriffen. Dies bestärkt noch einmal die diskursive Herstellung eines Zusammenhangs zwischen der Ablehnung des Ukraine-Kriegs und rechtem Gedankengut.

Von der Aufrüstung zur „Kriegswirtschaft“

Nachdem der Begriff „Kriegserklärung“ diskursiv eingeführt wurde, wird am 19.3.2023 in der Sendung „Anne Will“ neuen Begriffen in Zusammenhang mit dem Krieg der Boden bereitet. Während Hedwig Richter, Professorin für neuere und neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München, Ralf Stegner (SPD) vorwarf, seine Partei habe historisch einen „Kaputte-Panzer-Pazifismus“ betrieben12, fordert der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst André Wüstner, den Umbau der deutschen Wirtschaft in eine „Art Kriegswirtschaft“. Unabhängig vom Ausgang des Ukraine-Kriegs müssten die Zeichen in Deutschland auf eine langfristige Abschreckung gegenüber Russland gestellt werden. Deshalb sei ein Umbau der deutschen Wirtschaft notwendig.

In zahlreichen Interviews breitet der Oberst seit einigen Monaten seine Zukunftsaussichten für die militärische Aufrüstung von Deutschland in Talk-Shows und anderen Medien aus. Die Politik müsse mehr Geld zur Verfügung stellen. „Die rechtlichen Fesseln für die Rüstungsindustrie müssen gelockert werden, damit die Industrie schnellstmöglich Planungssicherheit für den groß angelegten Ausbau von Fertigungskapazitäten hat.“ Auch die Bevorratungslage bei der Munition müsse angegangen werden, so Wüstner. Mit Blick auf die Kampfpanzer sagt er, er hoffe, „dass es den tapferen Ukrainern damit gelingt, den Angriffen der russischen Armee weiter standzuhalten, und ihre territoriale Integrität wiederherzustellen.“ Auf die Frage, was zu tun sei, wenn es nicht gelingt, Putin bis 2025 nachhaltig zu schlagen, antwortet er, dann brauche es eine Bundeswehr und eine NATO, die nicht nur von Abschreckung sprechen, sondern „diese auch konventionell unterfüttern können.“ „Wer Schaden vom deutschen Volk abwenden will, muss also endlich das tun, was Bundeskanzler Scholz zu Recht im Rahmen seiner Zeitenwende-Rede angekündigt hat: die Verteidigungsfähigkeit und Wehrhaftigkeit stärken“. Regierung und Parlament müssten endlich aufwachen und „im wahrsten Sinne des Wortes jetzt den Schuss hören“.13

Auf diesen Diskurs müssen sich Kriegsgegner*innen einstellen und Strategien entwickeln, die oben dargestellten Diskurspositionen aufzudecken, um ihnen mit schlagkräftigen Argumenten begegnen zu können. Hierzu ist auch der Einbezug der Klimaziele und der Nachhaltigkeitspolitik notwendig, denn unter einer Kriegswirtschaft – auch wenn es sich nur um eine ‚Art Kriegswirtschaft‘ handelt – werden Gelder und Kapazitäten blockiert, die für eine zukunftsfähige Klimapolitik notwendig sind.

Anmerkungen

1 Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Pressemitteilung Nr. 1, 2.3.2022.
2 Historische Scholz-Rede im Wortlaut: „Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie davor“, RND, 27.2.2023.
3 Vgl. der Freitag v. 3.6.2022.
4 Nein zu 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr! DFG-VK, 3.6.2022.
5 Bundestag stimmt für Lieferung schwerer Waffen, tagesschau 28.4.2022.
6 Die folgenden Einschätzungen ergaben sich aufgrund erster Leseergebnisse ausgewählter Artikel. Eine dezidierte Mediendiskursanalyse konnte in der Kürze der Zeit nicht durchgeführt werden.
7 Markus Lanz vom 3. Mai 2022, Markus Lanz vom 10. Mai 2022, Markus Lanz vom 11. Mai 2022, Markus Lanz vom 17. Mai 2022.
8 Zu diesem Ergebnis kommen auch Harald Welzer und Leo Keller in ihrem Beitrag „Die veröffentlichte Meinung“ in Neue Rundschau, Nr. 114/2023, fischerverlage.de.
9 Vgl. dazu auch: Manifest für Frieden, wikipedia.org
10 Hat Baerbock Russland den Krieg erklärt? zdf.de, 26.1.2023,
11 Keine „Konfliktpartei“ – Auswärtiges Amt erklärt Baerbocks „Krieg gegen Russland“-Satz, welt.de, 26.1.2023
Zum rechtlichen Hintergrund sei darauf hingewiesen, dass im Kontext mit Waffenlieferungen zumindest eine Grauzone betreten wird. So weist z.B. ein Sachstand des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 16.3.2022 darauf hin, dass spätestens mit der Ausbildung ukrainischer Soldat*innen an diesen Waffen die Grenze zur Konfliktteilnahme überschritten sein könnte. Vgl. „Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme“, bundestag.de (Pdf-Download).
12 Bundeswehr-Oberst zur Zeitenwende: „Grundsätzlich fehlt der politische Wille“ RND, 20.3.2023
13 Rüstung: Bundeswehrverband für eine „Art Kriegswirtschaft“ NEOpresse, 24.1.2023

Text: Margarete Jäger und Iris Tonks. Der Beitrag erschien zuerst auf: https://www.imi-online.de
Symbolbild: Pixabay