Der geplante Thüga-Deal (1): In aller Heimlichkeit
Viele Städte bemühen sich gerade mit viel Aufwand und hohen Kosten darum, dereinst privatisierte Bereiche der Daseinsfürsorge wie den öffentlichen Nahverkehr, Krankenhäuser, Wasserwerke, Energieversorgung oder gar Wohnungen wieder in kommunale Trägerschaft zu überführen. Der Fraktionsvorsitzende der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus, Dirk Stettner, denkt in einem Interview sogar laut darüber nach, Energieunternehmen zu „enteignen“, um die Klimaziele zu erreichen. Doch in Konstanz geht man einen anderen Weg: Hier soll nahezu alles, mit dem die Stadtwerke bislang Geld verdienten, in eine neue Gesellschaft ausgegliedert werden, an der dann der bundesweit agierende Energiekonzern Thüga beteiligt ist.
Betroffen ist mit den Sparten Strom, Gas, Trinkwasser, Wärmedienstleistungen und Telekommunikation/Glasfasernetze nahezu alles, mit dem die Stadtwerke Konstanz (SWK) bislang Geld verdienen. Außen vor bleiben die defizitären Bereiche wie Bäder und Busverkehr, als einziger potentieller Goldesel aus dem Kerngeschäft soll der Fährbetrieb im Alleinbesitz der SWK bleiben.
Noch im November 2021, der Gemeinderat hatte gerade ein „Klima-Plus-Szenario“ zur schnellen Absenkung der Treibhausgasemissionen beschlossen, beharrten die SWK darauf, man brauche dringend eine zweite Erdgasleitung in die Stadt, damit die Konstanzer:innen auch künftig an kalten Wintertagen ausreichend heizen könnten. Während die Stadtwerke nach außen also noch ein „Gas-Plus-Szenario“ verteidigten und dies auch mit einem Expertengutachten untermauerten, machte sich intern wohl schon ein kleiner Kreis um die Geschäftsführung Gedanken darüber, wie man die SWK vom Gasversorger zum „Wärmedienstleister“ entwickeln könne.
Diese Überlegungen mündeten dann in den im März 2023 vom Aufsichtsrat abgesegneten Plan, die Thüga Holding GmbH & Co. KGaA als „strategischen Partner“ mit ins Boot zu holen – mit einer Minderheitsbeteiligung von 25,1 Prozent an der auszugliedernden Energiesparte samt Telekommunikation und Wasser. Warum 25,1 Prozent? Ab diesem Anteil haben Minderheitsgesellschafter eine sogenannte Sperrminorität, die ihnen ein erhebliches Maß an Mitsprache garantiert und ihnen erlaubt, wichtige Entscheidungen zu blockieren.
Bunte Bilder fröhlicher Menschen
Das Vorhaben wurde in einem achtseitigen Letter of Intent (LoI), also einer noch unverbindlichen Absichtserklärung der beiden Partner, fixiert und bedurfte der Zustimmung der Eigentümer, auf Konstanzer Seite die Stadt und damit der Gemeinderat. Dem vorberatenden Haupt-, Finanz- und Klimaausschuss (HFK) legte die Stadtverwaltung deshalb auf der Sitzung am 9. Mai 2023 den Beschlussantrag vor: Man möge die „strategische Partnerschaft“ der Stadtwerke mit der Thüga auf Basis des LoI doch bitte befürworten.
Um dem Ausschuss nicht nur ein bloßes „Ja“ abzuverlangen, sondern ihm auch etwas Mitsprache zu den Inhalten einzuräumen, durften die Rät:innen zwischen Variante A (die Thüga wird auch an der Trinkwassersparte beteiligt) und Variante B entscheiden, bei der die Thüga lediglich an der Betriebsführung von Wassergewinnung und -verteilung partizipiert, nicht aber am Eigentum. Unterfüttert war die Vorlage mit einer langen Auflistung der Vorteile, welche die Thüga-Beteiligung den Stadtwerken bringen würde, und vielen bunten Bildchen mit hübschen, bei der Thüga fröhlich an der Energiewende arbeitender Menschen.
Der Ausschuss ließ sich davon nicht einlullen, mochte weder für A noch für B votieren, ja fühlte sich mit diesem von manchen als Jahrhundertentscheidung bezeichneten Geschäft wohl überfordert. Man sprach sich, ohne die Thüga zu nennen, nur ganz allgemein für eine „strategische Partnerschaft“ aus. Und verlangte darüber hinaus, einen Beirat mit sachkundigen Bürger:innen einzurichten, der mit seiner Einschätzung dem Gemeinderat eine breitere Entscheidungsgrundlage liefern soll.
Beratung wie sogar Beschluss waren – wie bei dergleichen Traktanden unseres Gemeinderats leider allzu häufig – geheim, zum „Schutz der Geschäftsgeheimnisse“, denn die Stadtwerke stünden ja im Wettbewerb.
Ohne Wohnung keine Wende
Zu diesem Zeitpunkt war der geplante Thüga-Einstieg jedoch längst Stadtgespräch – aus der Gerüchteküche ins Rampenlicht gebracht durch einen Artikel des Südkurier mit anschließendem Interview des Stadtwerkechefs Norbert Reuter. Südkurier-Lokalchef Jörg-Peter Rau war es dann auch, der am 20. Juni in der voll besetzten Spiegelhalle die Bürgerinformation zur Neuaufstellung der Stadtwerke moderieren durfte.
An diesem Abend erläuterte Reuter dem Publikum, warum kein Weg an der Thüga vorbeiführe und redete die dem Konzern einzuräumende Sperrminorität klein („Wir werden nahezu alle Entscheidungen selbst festlegen“). Den als besonders sensibel eingestuften Teilverkauf der Wasserversorgung erwähnte er nicht.
Dann kamen die Podiumsgäste zu Wort: Matthias Nikolay, langjähriger Vorstand des über Kreuzbeteiligungen mit der Thüga verflochtenen Energieversorgers Badenova, und Tobias Hagemeyer, Chef der zur Hälfte der Thüga gehörenden Stadtwerke Radolfzell, rührten logischerweise die Werbetrommel für die geplante Beteiligung. Weiter dabei Guido H. Baltes, Direktor des Instituts für Strategische Innovation und Technologiemanagement an der HTWG, der dem Publikum die eigentlich wenig überraschende Mitteilung machte, für die Energiewende brauche es technisches Wissen und spezielles Know How, das auf dem Arbeitsmarkt aktuell kaum und in Zukunft noch weniger zur Verfügung stünde.
Gespannt durfte man auf den Auftritt von Bene Müller sein, Mitbegründer und Vorstandssprecher der Singener Firma solarcomplex, die gerade in Dingelsdorf ein Nahwärmenetz mit Energie aus dem Bodensee konzipiert. Der äußerte sich zwar nicht weiter zum Thüga-Einstieg, wohl aber zur Finanzierbarkeit der auch für die Kernstadt unabdingbaren Nahwärmenetze – doch dazu später mehr.
Platz auf dem für Publikumsgäste vorgesehenen Podiumsstuhl durfte zuerst Oberbürgermeister Uli Burchardt nehmen. Der hatte extra eine Ausschusssitzung vorzeitig verlassen, wartete in der ersten Stuhlreihe Mitte („reserviert für Stadtverwaltung“) geduldig auf seinen Einsatz, um dann, aufs Podium gerufen, dem versammelten Stadtvolk kundzutun, dass er als Aufsichtsratschef der Stadtwerke voll hinter dem Plan stehe. Die SWK bekämen nämlich das für die Energiewende nötigen Fachpersonal nicht, die fänden hier ja nicht mal eine Wohnung; deshalb brauche es die Expertise der Thüga.
Auch Publikumsgäste von den nicht-reservierten Plätzen durften aufs Podium und kritische Fragen stellen. Warum denn die Sperrminorität nötig sei (Antwort Norbert Reuter sinngemäß: „Wir wollen doch fair zu unserem neuen Partner sein“); und wie man nur mit einem Gaslobbyisten kooperieren könne, der auf Bundesebene die Energiewende hintertreibe (Antwort Tobias Hagemeyer: „Mir fällt nichts ein, wo die Thüga uns behindert hätte.“)
Eine Frau unter Männern
Im nächsten Schritt soll sich nun am kommenden Donnerstag, 6. Juli, der von den Rät:innen gewünschte Expertenrat zu ganztägiger Beratung treffen. Wer vermutet, das Gremium solle sich eine Meinung über den geplanten Thüga-Einstieg bilden und diese dann öffentlich kundtun, der irrt. Gefragt, so die Stadtverwaltung, seien „Impulse, Anregungen und die Abwägung von Argumenten“, nicht aber eine Empfehlung an den Gemeinderat. Getagt wird wiederum nicht-öffentlich. Immerhin veröffentlicht wird das Ergebnis des Treffens in Form einer vom Moderator erstellten „Kurzdokumentation“. Nachtigall, ick hör dir trapsen, da scheint mir die Stadtverwaltung doch sehr darauf bedacht, von keiner Seite Gegenwind zu bekommen.
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Die CDU wiederum benannte mit dem langjährigen Kämmerer Hartmut Rohloff einen Finanzexperten, der seinerzeit die Umwandlung der Stadtwerke in eine GmbH orchestrierte und unter dessen Ägide der später zum Glück rückabgewickelte Verkauf der Kläranlage an US-amerikanische Investoren geschah. Ebenso jene – wer erinnert sich? – zu Ungunsten der Stadt ausgegangene Kreditwette auf den Schweizer Franken in einem Darlehen der Dexia-Bank an die Entsorgungsbetriebe. Auch wenn stets Alt-OB Horst Frank die Verträge unterschrieb – Hartmut Rohloff war mit im Boot. Eine Selbstkritik des Ruheständlers haben wir nie gehört.
Bleiben die gemeinschaftlich von Stadt und SWK benannten Expert:innen: Vertreter von WOBAK, Mieterverein und der Hausbesitzerlobby Haus & Grund; ein pensionierter Bänker der Landesbank Hessen-Thüringen, dort lange zuständig für das Kommunalgeschäft, man darf vermuten also auch für die Finanzierung des Thüga-Aktionärs Mainova. Dazu kommen der Betriebsratsvorsitzende der Stadtwerke sowie – auf Drängen der Linken Liste – eine noch zu benennende Vertreter:in des DGB. Und Schließlich Sabine Rein, Präsidentin der HTWG: Alibifrau im ansonsten rein männlichen Gremium? Wir sind gespannt auf die „Impulse und Anregungen“ des Beirats.
Fazit zum Verfahren: In einer für die Daseinsfürsorge zentralen Frage, welche die Versorgung mit Trinkwasser, Strom und Wärme betrifft und sich über den damit verbundenen CO2-Ausstoß auf die ganze Menschheit auswirkt, wird unter höchster Geheimhaltung verhandelt: Die notgedrungen zu beteiligenden Aufsichts- und Gemeinderät:innen werden zu strengstem Stillschweigen verpflichtet, der ausgehandelte Deal wird als alternativlos verkauft, es soll nur ja keine öffentliche Diskussion geben. Da liegt der Verdacht nahe, dass es unter der Oberfläche noch ganz andere Beweggründe für den Thüga-Einstieg gibt, zu denen nur ja niemand vordringen soll. Dem wird seemoz in den nächsten Beiträgen nachgehen.
Text: Ralph-Raymond Braun / Fotos: Pit Wuhrer (oben der Konstanzer Gasspeicher, unten Protestaktion der FFF Konstanz vor dem Rathaus)
Der Thüga-Deal (2): „Es geht nicht ums Geld.“ Oder doch?
Der Thüga-Deal (3): „Wir brauchen Expertise!“ Doch müssen wir dafür verkaufen?
Der Thüga-Deal (4): Wer ist die Thüga, was treibt sie?
Ich denke, dass Einrichtungen, die der öffentlichen Daseinsvorsorge dienen und Eigentum des Landes, der Kommunen oder des Bundes sind, eher nicht privatisiert werden sollten. Die Welle an Privatisierungen in den 1980er und 1990er Jahren hat nicht in jedem Fall zu Verbesserungen für den Bürger geführt; man sollte also etwas vorsichtiger sein. Es gilt zu bedenken: Ein privater Investor will und muss schließlich Geld verdienen…..
„Den als besonders sensibel eingestuften Teilverkauf der Wasserversorgung erwähnte er nicht.“
Das ist so nicht ganz richtig. Herr Reuther hat die geplante Privatisierung zwar nicht erwähnt, in seiner Folie war aber klar zu lesen, dass das Trinkwasserwerk nicht verkauft werden solle. Und das obwohl Stadtwerke und THÜGA Konzern den Verkauf längst geplant hatten.
Das Thema Wassernetz hat er tatsächlich nicht erwähnt, wer genau zugehört hat, konnte aber heraushören, dass die Stadtwerke eben doch die verschiedenen Konstanzer Netze mit an die THÜGA verkaufen wollen, um zukünftige Planungen zu erleichtern.
Wenn ein Stadtwerke Geschäftsführer die Bürger:innen so intransparent (wenn auch hoffentlich nicht bewußt falsch) über den geplanten Verkauf Ihrer Stadtwerke und öffentlichen Infrastruktur „informiert“, dann müsste eigentlich bei uns allen eine sehr große Alarmglocke angehen. Denn wenn es wirklich so ein toller Deal wäre, dürfte es doch nichts zu verbergen geben.
Zuerst wird die Stadtgesellschaft mit einem völlig unsinnigen BoFo ausgeplündert und dann Jahre später behauptet, diese habe nicht genug Finanzmittel für ein Nahwärmenetz? Läuft so diese Diskussion?
Wichtiger wäre doch zu überlegen, ob es überhaupt eines Nahwärmenetzes bedarf, oder?
Meines Erachtens ist sowohl die angeblich jetzt vom Bund verabschiedete Wärmewende als auch das Heizungsgesetz Erfolg von Lobbyisten:
Beide Gesetze dienen zu allererst Bau- & Betonindustrie sowie Wärmepumpenherstellern in Asien und USA! Der Klimaschutz wird nichts oder erst sehr spät davon etwas haben!
Dabei gibt es seit ungefähr 50 Jahren bereits die Möglichkeit Wärme mittels Sonnenkollektoren einfach und dezentral zu erzeugen!