Der Thüga-Deal (3): „Wir brauchen Expertise!“ Doch müssen wir dafür verkaufen?

Energiequelle Seewasser

Die Stadtwerke Konstanz (SWK) planen die Ausgliederung der Sparten Strom, Gas, Trinkwasser, Wärmedienstleistungen und Telekommunikation/Glasfasernetze in eine Tochtergesellschaft (Arbeitstitel Energie GmbH), an der dann zu 25,1 Prozent die Thüga AG beteiligt werden soll. In den ersten beiden Folgen haben wir uns mit der Geheimniskrämerei und den finanziellen Folgen des Deals beschäftigt. Heute soll es darum gehen, ob und inwieweit die SWK dringend auf fremde Expertise angewiesen sind, um die Wärmewende zu meistern.

Der Verfasser ist Mitglied einer Heizgemeinschaft, die mit einer in die Jahre gekommenen Gasheizung und einem kleinen Nahwärmenetz mehrere Altbauten von zusammen 8000 Quadratmeter Nutzfläche mit Wärme versorgt. Vor zwei Jahren, also noch vor dem Ukrainekrieg, fragte man die SWK, ob diese nicht die Anlage erneuern und künftig ohne fossile Brennstoffe, also ohne Gas betreiben könnten. Wir boten auch Dachflächen für Fotovoltaik an, sofern dies für die neue Heizung von Nutzen sei.

Antwort der SWK: Erdwärme habe man nicht im Portfolio. Eine denkbare Luftwärmepumpe wäre so groß und so laut, dass sie im Wohngebiet nicht aufgestellt werden dürfe. Für eine Pelletheizung müsse die Heizgemeinschaft zunächst auf eigene Kosten ein neues Betriebsgebäude errichten. Der Anschluss an ein benachbartes, bereits von den SWK betriebenes Nahwärmenetz sei nicht möglich. Angeboten wurde also nur wieder eine Gasheizung. Fotovoltaik sei hierfür nicht von Nutzen, die falle zudem auch in die Zuständigkeit einer anderen Abteilung der SWK.

Kürzlich erneuerten wir die Anfrage. Hat sich nun, da die Wärmewende nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch durch die Sanktionen gegen russisches Gas Fahrt aufgenommen hat, etwas geändert? Antwort: Betreiben Sie ihren Gaskessel weiter oder tauschen Sie ihn in Eigenregie aus, bis zu einer eventuellen Anschlussmöglichkeit an ein neues Wärmenetz in Ihrem Stadtgebiet. Mehr dazu auf unserer Website …

Anfüttern mit kleiner Gratiszugabe

Der Eindruck des Kunden: Anders als vor zwei Jahren setzen die SWK heute nicht mehr aufs Gas. Sie haben, zumindest für größere Altbauten, aber aktuell keine Lösung parat, sondern vertrösten auf irgendwann einmal zu errichtende Wärmenetze. Solche wärmegedämmte Rohrnetze, durch die thermische Energie mittels aufgeheiztem Wasser zu einzelnen Häusern geleitet und dort für Raumwärme und etwa zum Duschen verwendet wird, gibt es in Städten seit über hundert Jahren (um nicht zu sagen seit den Thermen der alten Römer), wobei sich die Technologie natürlich stetig weiterentwickelt hat. Wärmenetze sind also eine etablierte und bewährte Technologie.

Doch um sie zu planen und zu bauen braucht’s Personal. Solches sei für Konstanz nicht zu bekommen, weil es keine Wohnungen gebe, sagt der Oberbürgermeister. Mag sein, dass die Stadtwerke es versäumt haben, für ihr Personal Betriebswohnungen vorzuhalten. Aber gibt es da nicht auch eine städtische Wohnungsbaugesellschaft mit über viertausend Wohnungen? Eine Stadtwerkeingenieur:in wäre nicht die erste, die hier, an allen Wartelisten vorbei, mit oberbürgermeisterlicher Empfehlung umgehend eine Wohnung bekäme. Und hat Konstanz nicht auch einen hohen Freizeitwert, der es für Fachkräfte attraktiv macht? Jedenfalls ist nicht nachzuvollziehen, wie man mit einer Thüga-Beteiligung leichter Personal rekrutieren kann als ohne.

Und wo die eigene Manpower dann doch nicht ausreicht, können Netzplanung und Bau bei spezialisierten Firmen eingekauft werden. Auch hier würde es keinen Sinn haben, sich an die Thüga zu binden, die ihre Dienstleistungen ja nicht umsonst anbietet. In der Thüga-Präsentation für den SWK-Aufsichtsrat lesen wir, dass die Morgengabe „Zugriff auf die Beratung“ lediglich drei Jahre kostenfrei angeboten wird, eine Projektplanung eingeschränkt nur 155 Beratertage. „Anfüttern“ nennt man solche Geschäftspraktiken in der Drogenszene.

Braucht es eine Thüga für Verhandlungen mit der Schweiz?

Wo soll die bislang übers Verbrennen von Öl und Gas erzeugte Energie künftig herkommen? Die SWK setzen für ihr künftiges Wärmenetz vorrangig auf drei Quellen: Thermische Seewassernutzung, die geplante neue Müllverbrennungsanlage Weinfelden (KVA) und das von der Kläranlage gereinigte, in den See geleitete Abwasser.

Expertise für die Nutzung von Seewasser findet man aktuell vor allem in der Schweiz, während diese Energiequelle in Deutschland kaum genutzt wird. Für die KVA Weinfelden, die auch den Restmüll aus Konstanz verbrennt, planen die Schweizer eine Fernwärmeleitung durch das Thurtal bis nach Bischofszell. Eine Leitung nach Kreuzlingen/Konstanz wäre theoretisch möglich. Der Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) stuft auch Abwärme aus Müllverbrennungsanlagen als „erneuerbar“ ein, wenngleich dies unter Naturschützer:innen und selbst in der Recyclingbranche hoch umstritten ist.

Wie auch immer: Auch hier braucht’s keine Thüga, sondern Lokalpolitik, die mit den Schweizern einen Deal – „Wir liefern euch weiter Müll und bekommen dafür Wärme“ – aushandelt.

Bleibt die Wärmegewinnung aus Abwasser. Ein komplexes Thema: Wie viel Wärme darf man bereits vor der Kläranlage aus dem Abwasser abgreifen, ohne die für die biologischen Prozesse im Klärwerk erforderliche Mindesttemperatur zu unterschreiten? Hier sind die Stadtwerke Radolfzell, Thüga-Beteiligung 49 Prozent, deutlich weiter als die nach eigenen Angaben größte Kläranlage am Bodensee in Konstanz. Doch auch dieses Knowhow gibt es nicht nur bei der Thüga.

Beispiel Tübingen, Beispiel Friedrichhafen

[the_ad id=“94028″]Eher von Außenstehenden als aus den SWK selbst wird als Argument für die Thüga-Beteiligung oft angeführt, die SWK seien zu klein, um die Wärmewende selbst zu stemmen. Innovative Angebote wie etwa im westfälischen Münster, wo die Stadtwerke den Hausbesitzer:innen Solaranlagen und Wärmepumpen im Contracting, also zur Miete anbieten, gibt es hier jedenfalls nicht. Selbst beim Omnibusverkehr agieren die SWK eher bräsig und schaffen es nicht, die letzten der seit vielen Jahren defekten Fahrscheinautomaten abzubauen und die wenigen Echtzeitanzeigen an den Haltestellen in Betrieb zu halten.

Lassen wir für den Moment offen, weshalb die Unternehmensgröße hier bedeutsamer sein sollte als die Geschäftsführung oder der politische Wille der Anteilseigner:innen, und schauen uns in der Region um. Die Stadtwerke Tübingen, an Umsatz und Bilanzsumme den SWK vergleichbar, beteiligen sich gerade an einem Windpark und trauen sich die Wärmewende aus eigener Kraft zu. Sie scheinen irgendwie besser zu wirtschaften als die SWK, erzielen in 2021 steigende Umsätze und ein positives Betriebsergebnis. Dort klappt’s, warum nicht in Konstanz?

Auch unsere unmittelbaren Nachbarn, die Stadtwerke am See (Friedrichshafen/Überlingen), glänzen mit steigenden Umsätzen und positivem Ergebnis. Gleich auf der Startseite des Internetauftritts werben sie um Bürgerkapital in Form verzinslicher Genussrechte, wovon sie bislang 20 Millionen Euro eingesammelt haben. Die Bilanzen der letzten Jahre sind im Webauftritt leicht zu finden und müssen sich, anders als in Konstanz, nicht verstecken.

Wenn die SWK wirklich für die Wärmewende zu klein sind und einen Partner „auf Augenhöhe“ brauchen, warum nicht die Stadtwerke am See? Über die gemeinsame Katamaran-Reederei ist man doch bereits miteinander verbunden. Die Unternehmenskulturen passten nicht zusammen, heißt es sybillinisch. Wir vermuten persönliche Animositäten auf Leitungsebene. Ist es legitim, eine Jahrhundertentscheidung wie den Teilverkauf der Konstanzer Strom- Gas- und Wassernetze von so was beeinflussen zu lassen?

Fassen wir zusammen: Die SWK brauchen in der Tat externe Expertise, um die Wärmewende zu stemmen. Diese muss aber nicht zwingend durch einen Teilverkauf des Anlagevermögens an die Thüga oder andere erfolgen. Erachtet man indes eine auf Dauer angelegte und über Beteiligungen abgesicherte Partnerschaft auf Augenhöhe als unabdingbar, bieten sich statt eines milliardenschweren Konzerns wie die Thüga die Stadtwerke am See an. Der geplante Teilverkauf der Glasfaser- und Wassernetze sowie des Wasserwerks allerdings ist in jedem Fall unnötig und wird auch nicht weiter begründet.

Text: Ralph-Raymond Braun / Fotos: Pit Wuhrer

Im nächsten Teil unserer Serie nehmen wir die Thüga ins Visier. Wer ist sie? Was treibt sie? Ist sie der richtige Partner auf dem Weg zur Klimaneutralität?

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