Entschließung zum sogenannten „Radikalenerlass“ und Berufsverboten

Initiative gegen BerufsverboteBei der morgigen Gemeinderatssitzung wird auch über einen Antrag entschieden, den die Linke Liste und die Freie Grüne Liste eingereicht haben. Die baden-württembergische Landesregierung und der Landtag sollen hiermit aufgefordert werden, dem Wunsch der von Berufsverboten Betroffenen nach Aufarbeitung, Entschuldigung und Rehabilitierung nachzukommen sowie einen Entschädigungsfonds einzurichten, um besonders in Fällen von Altersarmut und drastischen Pensions- bzw. Rentenkürzungen entstandene Verluste auszugleichen. Hier der Antrag im Wortlaut.

Begründung

Nach dem ergebnislosen Gespräch von Betroffenen mit Ministerpräsident Kretschmann am 8.2.2023, in dem dieser erneut eine Entschuldigung, die Rehabilitierung und die Entschädigung von Betroffenen ablehnte, unterstützen verschiedene Initiativen, Gewerkschaften und die SPD im Baden-Württembergischen Landtag die Forderungen der Betroffenen.

Die Auswirkungen der Berufsverbote waren und sind bis heute verheerend. Die Maßnahmen von „Radikalen“- und „Schiess-Erlass“ zeitigten drastischere Folgen als „nur“ den Verlust des Arbeitsplatzes: Existenznöte, psychische und körperliche Erkrankungen, familiäre Brüche sowie mehrere Suizide.

Viele der damals Betroffenen spüren die Auswirkungen der Berufsverbote bis heute als Altersarmut mit weniger als 700 Euro Rente im Monat und Kürzungen bei ihren Ruhegehältern. Ihre materiellen Nachteile müssen ausgeglichen werden

Zur Geschichte der Berufsverbote

Am 28. Januar 2022 jährte sich zum 50. Mal der sogenannte „Radikalenerlass“. Er wurde 1972 von der Ministerpräsidentenkonferenz der Länder unter dem Titel „Grundsätze zur Frage verfassungsfeindlicher Kräfte im Öffentlichen Dienst“ beschlossen.

Eine große Zahl von Betroffenen

In Baden-Württemberg wurde der Beschluss gemäß dem sogenannten „Schiess-Erlass“ (benannt nach dem damaligen Innenminister Karl Schiess) vom 2. Oktober 1973 umgesetzt. Auf das Land entfielen nach Angaben des Innenministeriums 222 Nichteinstellungen und 66 Entlassungen (Quelle: Wolfrum, Edgar (ed.), „Verfassungsfeinde im Land? Der ‚Radikalenerlass’ von 1972 in der Geschichte Baden-Württembergs und der Bundesrepublik“, 2022).

Berufsverbote und große Solidarität mit Betroffenen auch in Konstanz

Der sogenannte „Radikalenerlass“ hat der Demokratie und dem gesellschaftlichen Klima in der Bundesrepublik schweren Schaden zugefügt. Binnen kürzester Zeit wurden in Konstanz 50 Personen auf Grundlage von Spitzelberichten des Verfassungsschutzes erfasst und waren von Entlassung bedroht.

Das Rektorat der Universität Konstanz Informierte in einem Sonderdruck des Uni-Infos darüber, dass mit Stichtag 18. Oktober 1974 bereits 500 Überprüfungsverfahren zu Uni-Angehörigen vom Innenministerium vorlagen (damals hatte die Uni gerade einmal 2.000 Studierende). Professoren unter anderem der Universität Konstanz und auch der Kleine Senat der Uni Konstanz mit Rektor Frieder Naschold wandten sich damals ausdrücklich gegen die Überprüfungsverfahren.

Die Praxis der Berufsverbote wurde 1987 von der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO / ILO) und 1995 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg als Unrecht verurteilt.

Text: Antrag von LLK und FGL
Bild: Initiative gegen Berufsverbote

Anmerkung (hr) Alleine die Stimmen von LLK und FGL (insgesamt 16) werden nicht reichen, damit der Antrag durchkommt. Mit Spannung darf man darauf warten, wie sich die örtliche SPD dazu verhält, deren Landtagsfraktion sich für diese Entschließung stark gemacht hat. Die Konservativen (CDU, inklusive OB Burchardt, FDP und Freie Wähler) werden den Antrag ziemlich sicher nicht unterstützen. Und wie sich die vier Rät:innen des Jungen Forums entscheiden, ist derzeit noch nicht absehbar.